Tal Silberstein nach seiner vorübergehenden Verhaftung im August in Israel: Der Ruf des Beraters begründete sich im überraschenden SPÖ-Sieg von 2006.

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Am Beginn des Desasters stand ein Triumph. Alfred Gusenbauer, lange als unmöglicher Kandidat abgeschrieben, hatte bei der Wahl 2006 dem haushohen Favoriten Wolfgang Schüssel trotz des Bawag-Skandals im roten Dunstkreis die Kanzlerschaft abgejagt, und die Überlieferung schreibt einem Mann einen gehörigen Anteil an diesem Kunststück zu: Tal Silberstein. An der Seite des amerikanischen Kampagnengurus Stanley Greenberg galt der Israeli als einer der Köpfe hinter der angriffigen SP-Linie, die das schwarze Wohlfühlgesülze ("Hier geht's uns gut") so effektiv entzauberte – und fortan als gewitzter Spindoctor, der einem Wahlkampf entscheidenden Pfiff verpassen könne.

Elf Jahre danach spielt Silberstein wieder eine wichtige Rolle bei einer Nationalratswahl, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Erst die (vorübergehende) Verhaftung in Israel im August, nun die aufgeflogene Verstrickung in eine ungustiöse Sudelkampagne via Facebook (siehe Artikel links): Die Sozialdemokraten drohen bei der Wahl am 15. Oktober den ersten Platz wegen eben jenes Beraters zu verlieren, der 2006 so viel zur Eroberung beigetragen hat.

Negative Campaigning

Referenzen als Experte für Negative Campaigning bringt der schon vor all den Kalamitäten öffentlichkeitsscheue Silberstein, von dem bis zu seiner Festnahme gerade eine Handvoll unscharfer Fotos kursierte, nicht nur aus Österreich mit. Die ehemaligen israelischen Premiers Ehud Barak und Ehud Olmert zählten ebenso zu seinen Kunden wie die einstige ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und diverse rumänische Spitzenpolitiker. Ein Leitspruch, wie ihn rote Wahlhelfer hierzulande vernommen haben wollen: "There is no democracy in campaigns."

In der heimischen Innenpolitik Fuß gefasst hat Silberstein im Wiener Wahlkampf 2001, als er im Team von Ex-Bill-Clinton-Berater Greenberg an der Rückeroberung der absoluten SPÖ-Mehrheit in der Stadt mitarbeitete. Aus den alten Erfolgen hätte die Partei eine Lehre ziehen müssen, sagen Genossen heute unter dem Eindruck des aktuellen Desasters: Silberstein sei ein kreativer Kopf, der manch tolle Idee geliefert habe, brauche aber auch jemanden, der ihn lenkt und einfängt. Solange Greenberg der Chef war, habe sich der als streitlustig bekannte Kampagnenprofi im Zaum halten lassen. Was hingegen passiert, wenn man ihm freien Lauf lasse, offenbare sich jetzt.

Wertvoller Blick von außen

Beraten hat Silberstein zwischenzeitlich, im Wiener Wahlkampf 2015, auch die Neos. Er habe einen wertvollen Blick von außen auf die Dinge geboten, erzählte die Wiener Parteichefin Beate Meinl-Reisinger unlängst dem STANDARD, "man brät ja schnell einmal im eigenen Saft". Seit damals besteht offenbar Silbersteins Verbindung zu Peter Puller, der zweiten Schlüsselfigur in der aktuellen Affäre. Der einstige Neos-Werber verriet einmal dem Trend: Nicht alle in der pinken Partei seien mit dem Berater glücklich gewesen.

Das galt auch für die SPÖ schon länger. Kritische Stimmen argwöhnten, dass Silberstein Parteichef Christian Kern bei der Debatte um die Verteilung von Flüchtlingen ("Relocation") in einen unsozialdemokratischen Hardlinerkurs hineintheatert habe. Doch als verbrieft gilt ebenso, dass der Kanzler auf die analytischen Fähigkeiten des Einflüsterers große Stücke gesetzt hat. Nachhaltigen Eindruck soll der von Vorvorgänger Gusenbauer empfohlene Silberstein bei Kern mit einer erstaunlichen Prognose hinterlassen haben: Anhand der von ihm veranlassten Befragungen in sogenannten Fokusgruppen habe er frühzeitig, als Norbert Hofer in allen Umfragen voranlag, Alexander Van der Bellens Sieg bei der Präsidentenwahl vorausgesagt – und zwar auf die Prozentzahl genau.

Im Konflikt mit der Justiz

Weniger genauen Einblick gewährte Silberstein der SPÖ-Spitze offenbar in seine vielfältigen Aktivitäten abseits der Politik. In Israel war Silberstein deshalb festgenommen und verhört worden, weil er gemeinsam mit dem Geschäftsmann Beny Steinmetz neun Millionen Euro Schmiergeld bereitgehalten haben soll, um eine Lizenz zum Schürfen von Eisen in Guinea zu erhalten. Andere Vorwürfe – in allen Fällen gilt die Unschuldsvermutung – sind schon länger bekannt: Die rumänische Korruptionsbehörde hat den Unternehmer bereits seit 2015 im Visier. Die längst gerichtsanhängige Causa dreht sich um den Verdacht von Geldwäsche und Anstiftung zum Amtsmissbrauch im Zuge von Immobiliendeals.

Trotzdem hat Kanzler Kern noch im Jänner dieses Jahres einen Satz gesagt, der ihm in den kommenden TV-Duellen womöglich um die Ohren fliegen wird. In der ORF-Pressestunde auf die rumänischen Vorwürfe gegen Silberstein angesprochen, sprach er von einem "völligen Unsinn". Erst nach der Verhaftung im August kündigte Kern die Zusammenarbeit auf und qualifizierte das Engagement des Beraters als Fehler.

Einen solchen räumt auch Ex-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler nach seinem unausweichlichen Rücktritt am Sonntag ein: "Es war ein Fehler, dass ich mich gegen den Einsatz Silbersteins nicht gewehrt habe." (Gerald John, Michael Völker, 1.10.2017)