Schottlands Premierministerin Nicola Sturgeon (vorne) im Mai 2016 mit Abgeordneten ihrer Schottischen Nationalpartei (SNS). Die Statue im Hintergrund ist auch Symbol für die Kraft des Landes.

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Wien – Kaum eine Woche vor dem Versuch der Katalanen, sich per Volksabstimmung von Madrid loszusagen, weckte ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum Ängste vor gewalttätigen Konflikten und unvorhersehbaren politischen Folgen: Mehr als 93 Prozent der Kurden im Nordirak haben sich vergangenen Montag für einen eigenen Staat ausgesprochen – und sorgten damit für Nervosität in Bagdad und in den Nachbarstaaten Iran und Türkei, wo es ebenfalls kurdische Minderheiten gibt.

Doch auch innerhalb Europas steht Katalonien mit seinen Abspaltungsgelüsten nicht allein da. Spanien selbst blickt auf den jahrzehntelangen Konflikt mit baskischen Separatisten zurück – und auf den Terror der Eta. In Großbritannien wiederum gibt es den Traum von der Unabhängigkeit Schottlands, der allerdings längst nicht von allen Schotten mitgeträumt wird: Bei einer Abstimmung im September 2014 sprachen sich mehr als 55 Prozent für den Verbleib im Vereinigten Königreich aus.

"Grönland-Variante"

Nach der Brexit-Entscheidung im vergangenen Jahr wurde bei den traditionell eher EU-freundlichen Schotten dann der Ruf nach einem neuerlichen Referendum laut. Premierministerin Nicola Sturgeon aber kündigte an, damit auf jeden Fall warten zu wollen, bis die Bedingungen des Brexits geklärt seien. Seither spukt sogar die "Grönland-Variante" in manchen Köpfen herum: 1985 war Grönland aus der damaligen EWG, der Vorgängerorganisation der EU, ausgetreten, blieb aber Teil des Königreichs Dänemark, das wiederum bis heute Mitglied der Europäischen Union ist.

Dies zeigt zwar, dass auch nur Teile eines Staatsgebildes der EU angehören können, doch hinsichtlich der Austrittsprozedur hinkt der Vergleich gewaltig: Dass London den Brexit am Ende für das Vereinigte Königreich minus Schottland aushandelt, dürfte heute wohl niemand ernsthaft annehmen.

Faktor Wirtschaftskraft

In Katalonien, wo ebenfalls viele Separatisten in der EU bleiben wollen, trägt auch die traumatische Erinnerung an die Franco-Diktatur zur Festigung eines eigenen Nationalbewusstseins bei. Gleichzeitig aber handelt es sich dabei nicht um den einzigen europäischen Fall, bei dem sich zumindest Teile der Bevölkerung einer reicheren Region vom wirtschaftlich schwächeren Mutterland trennen wollen. Ähnliches nämlich gilt für den belgischen Landesteil Flandern oder für Padanien, die Fantasiegeburt rechtspopulistischer Parteien in Nord- und Mittelitalien. Die norditalienischen Regionen Lombardei und Venetien wiederum wollen am 22. Oktober zumindest eine Volksbefragung über "zusätzliche Formen der Autonomie" abhalten.

Auch Paris sieht sich mit Unabhängigkeitsbewegungen konfrontiert, etwa in der westfranzösischen Bretagne oder auf der Insel Korsika. Während beide – trotz Anschlägen in der Vergangenheit – vor allem Insider beschäftigen dürften, sorgen Separatisten und deren Unterstützer in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und Jugoslawiens für Instabilität oder veritable Krisen – in der Ostukraine, den georgischen Regionen Abchasien und Südossetien, im moldauischen Transnistrien sowie in der Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina.

Los von Böhmen

Rund um ein paar mährische Separatisten, die sich von Böhmen – und damit aus der Tschechischen Republik – verabschieden wollen und die im Zuge des Zerfalls der Tschechoslowakei vor knapp 25 Jahren einige mediale Aufmerksamkeit erhielten, ist es hingegen ruhig geworden – was freilich nicht heißt, dass es sie nicht mehr gibt. Selbst in Deutschland, das derzeit als politischer Stabilitätsanker in Europa gilt, gibt es mit der Bayernpartei eine Gruppierung, die mit dem Austritt aus dem deutschen Staatsverband liebäugelt.

Dazu kommen noch all jene Separatisten, die sich nicht in die Unabhängigkeit verabschieden, sondern sich einem anderen Staat anschließen wollen oder wollten – in Südtirol, in Nordirland, im Kosovo oder zuletzt auf der Krim. (Gerald Schubert, 2.10.2017)