Die Chronisch-Lymphatische Leukämie ist die häufigste Leukämieform in den westlichen Industrieländern. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts wird in Deutschland jedes Jahr diese Bluterkrankung bei etwa 5000 Personen neu diagnostiziert. Meistens verläuft die Krankheit sehr langsam, chronisch und über viele Jahre ist keine Therapie nötig.

Bei einem Teil der Betroffenen nimmt die Erkrankung jedoch einen viel aggressiveren Verlauf. Diese Patienten benötigen deutlich früher eine tumorspezifische Therapie. Bis zu zehn Prozent der CLL-Patienten entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung ein sogenanntes Richter-Syndrom, bei dem aus der niedrigmalignen CLL ein hochmalignes Lymphom entsteht. Diese Patienten stellen im klinischen Alltag eine besondere Herausforderung dar und sind durch eine besonders schlechte Prognose gekennzeichnet.

Protein für Immunantwort

Martin Müller aus der Abteilung für Onkologie, Hämatologie, Immunologie, Rheumatologie und Pulmonologie am Tübinger Universitätsklinikum konnte mit seiner Arbeitsgruppe das Protein NFAT2, welches in gesunden Zellen an der Regulation der Immunantwort beteiligt ist, als einen entscheidenden Faktor für den Verlauf der CLL identifizieren.

Dies untersuchten die Wissenschaftler an einem Mausmodell sowie an menschlichen Zellproben: Das Ausschalten von NFAT2 in den Leukämiezellen der Maus führte zu einem deutlich beschleunigten Krankheitsverlauf mit wichtigen Merkmalen des Richter-Syndroms beim Menschen. Die Tiere entwickeln ein aggressives Lymphom und zeigen eine deutlich kürzere Lebenserwartung.

Leukämiezellen von Patienten mit einem langsamen klinischen Verlauf zeigen eine große Menge des Proteins NFAT2, während die Produktion bei Patienten mit aggressiver Verlaufsform erheblich reduziert ist. Beim Richter-Syndrom kommt die Produktion von NFAT2 in den Tumorzellen sogar völlig zum Erliegen.

Im Ruhezustand

Die Studie demonstriert weiter, dass das Protein NFAT2 in den Leukämiezellen für die Ausbildung einer Art Ruhezustand, der in der Fachsprache als Anergie bezeichnet wird, verantwortlich ist. Der Verlust dieses Ruhezustandes führt hingegen zu einem aggressiveren Verlauf der Leukämie und zu einer deutlich schlechteren Prognose.

Müller und seine Mitarbeiter sind überzeugt, dass der entdeckte Mechanismus in absehbarer Zukunft auch therapeutisch genutzt werden könnte. "Insbesondere für Patienten mit Richter-Syndrom, für die es bislang nur wenig effektive Behandlungsmöglichkeiten gibt, birgt dieser Ansatz erhebliches Potenzial", so die Einschätzung von Müller. (red/idw, 2.10.2017)