Ein Blade Runner im virtuellen Niemandsland: Ryan Gosling tritt in Denis Villeneuves Sequel in die Fußstapfen von Harrison Ford.

Foto: Sony

Wien – Die ersten Bilder von 2049: spiralförmige angelegte Plantagen, die ein wenig an die Land Art von Robert Smithson erinnern, dazu der an Vangelis orientierte Score von Hans Zimmer, der die sphärischen Synthieklänge dröhnender aufdreht. Der größte Unterschied zum Original liegt aber darin, dass statt neondurchleuchteter Nacht nun unfreundliches Tageslicht herrscht: ein wenig so wie in Wien im November. Milchige Nebeldecken, keine Sonne.

Ryan Gosling spielt den Blade Runner K. Wenn er ein paar Minuten nach Beginn das erste Altmodell eines Replikanten – für die Neueinsteiger: So heißen die künstlichen Menschen – tötet, ist es noch kein Spoiler, zu verraten, dass er selbst einer von ihnen ist. Seine Lebensdauer ist begrenzt. Für den der Polizei zuarbeitenden Vollstrecker gibt es nur ein virtuelles Ersatzleben. Zu Hause wartet eine verblüffend wandlungsfähige Hologramm-Ehefrau (Ana de Armas), die mitten im Kuss einfriert, sobald eine E-Mail eintrudelt.

Blade Runner 2049 – Trailer
Warner Bros. Pictures

An der Originalität und Sorgfalt, mit denen diese Szenen von Regisseur Denis Villeneuve umgesetzt sind, kann man schon erkennen, dass Blade Runner 2049 die Ausnahme im Sequel-seligen Hollywood der Gegenwart ist. Man mag es damit erklären, dass Ridley Scotts Blade Runner (1982) ein zu stilprägender Science-Fiction-Klassiker wurde, um Schlendrian zu rechtfertigen. Der Neo-Noir-Look des Films, der das dystopische Los Angeles als globalen Moloch ausmalte und mit Cyberpunk-Romantik versetzte, hat bis heute seine Nachahmer gefunden.

Schweres Erbe

Villeneuve war dieses schwierige Erbe bewusst (siehe Interview), und als einer der ambitioniertesten Autoren in Hollywood (Arrival, Sicario) hatte er auch viel zu verlieren. Mit dem Kameravirtuosen Roger Deakins und dem Ausstatter Dennis Gassner an seiner Seite hat er jedoch einen Weg gefunden, zugleich werktreu und innovativ vorzugehen. Das träumerische, verschleppte Tempo des Originals ist ebenso geblieben wie die ästhetische Anbindung daran.

Zugleich fand er Möglichkeiten, diese Welt zu erweitern: Nicht nur ist der Dauerregen dem Schneetreiben gewichen – vor allem in der farblichen und architektonischen Ausgestaltung setzt der Film starke Akzente. Das Innere der Wallace Corporation, dem Unternehmen, das sich auf Replikanten spezialisiert, wirkt zum Beispiel wie eine vom legendären Setdesigner Ken Adams entworfene Kathedrale, in der das gelbe Licht an den Wänden wie von Wasseroberflächen reflektiert.

Wiedersehen mit Harrison Ford

Überhaupt verstecken sich zahlreiche andere Versatzstücke in diesem Film – der brutalste Replikant, eine Frau namens Luv, erinnert an Terminator (eine Rolle, mit der sich die Niederländerin Sylvia Hoeks ins Weltkino katapultiert). Ähnlich nachgezimmert wirkt der Plot, über den es im Vorfeld viel Geheimnistuerei gab. Nur so viel: Es ist eine messianisch angelegte Suche nach einem Erlöser, von dem sich mehrere Seiten Fortschritte erhoffen. Erzählt wird sie als Detektivgeschichte, die K schließlich auch zu Deckard führt und ein ergreifendes Wiedersehen mit Harrison Ford in einem verfallenen Kasino bringt.

Solche auratischen, aufgeladenen Momente gibt es ein paar zu wenige in Blade Runner 2049. Vielleicht liegt es daran, dass ein wichtiger Twist, der die Fallhöhe des Helden mitbestimmt, zu spät erfolgt; vielleicht auch daran, dass Villeneuve eine Spur zu selbstverliebt in seinen Bildern schwelgt. Die Poesie ist auch eine Kunst des Weglassens, der Lücken, aus denen das Pathos steigt. Blade Runner 2049 bleibt selbst ein wenig ein Replikant, der nach seiner Seele sucht. (Dominik Kamalzadeh, 4.10.2017)