Wer nach Stephanskirchen will, nimmt den Zug nach Rosenheim und dann ein Taxi. Hinter einigen Kurven versteckt sich das 10.000-Einwohner-Städtchen am Inn inmitten bayerischer Idylle: Zwanzig Autominuten sind es von hier bis zum Chiemsee, rund eine Stunde bis nach München.

Mittendrin in Stephanskirchen der Firmencampus des Unternehmens Marc O'Polo, eine Ansammlung aus unauffälligen Firmengebäuden, mit viel Holz und Glas. In einem Besprechungszimmer im ersten Stock sitzt Werner Böck, ein drahtiger Mann, weißes Hemd, unüberhörbare bayerische Dialektfärbung, man merkt ihm die Ungeduld beim Herumsitzen an. Herumtun ist seine Sache nicht, herumreden auch nicht. Werner Böck, Jahrgang 1943, Sohn eines Herrenmodeausstatters aus Stephanskirchen, ist schuld daran, dass Marc O'Polo ausgerechnet hier gelandet ist – in der unterbayerischen Provinz.

Begonnen hat Böck, heute Mehrheitseigentümer und Vorstandsvorsitzender des Unternehmens, im Herrenmodegeschäft seiner Eltern. 1968, als in Frankfurt und Bonn die Studenten auf die Barrikaden gingen, machte der Mittzwanziger aus Stephanskirchen eine Entdeckung. Allzu weit musste er dafür nicht fahren, genauer: ins Rheinland.

Werner Böck hat das Unternehmen Marc' O Polo nach Deutschland gebracht
Foto: Marc O'Polo, Bengt Erwald in "Marc O'Polo – The Story", published by teNeues, www.teneues.com

Auf der Kölner Herrenmodemesse entdeckte der junge Böck zwischen all der Konfektionsware aus Polyester den kleinen Stand von Rolf Lind, Göte Huss und Jerry O. Sheets. Die beiden Schweden und der Amerikaner hatten ihr Unternehmen nach dem Entdecker Marco Polo benannt, mit dem großen O zitierten sie den Amerikaner im Team. Was das Label aus Stockholm anders machte? Die drei stellten simple, schmal geschnittene Baumwollhemden und -blusen her. Und: "Die T-Shirts trugen ein Logo am Ärmel und die Sweatshirts eines am Rücken."

Marc O'Polo 1981 von vorn wie hinten: Das Unternehmen hat seinen Erfolg auch dem Logo-Schriftzug zu verdanken.
Foto: Foto: Marc O'Polo, Carl-Johann Renn aus "Marc O'Polo – The Story", published by teNeues, www.teneues.com

Was damals bei Labels aus dem Sportbereich bereits gang und gäbe war, das sei in der Mode neu gewesen, erklärt Böck. Das kleine Unternehmen trug sein Selbstbewusstsein damals in Form von Marc-O'Polo-Schriftzügen spazieren. Diese Haltung machte sich bald bezahlt. Die Logo-Sweater landeten in den 1980er-Jahren auf den Schulhöfen. Man trug aus Prestigegründen nicht mehr nur Benetton, Esprit, Fiorucci, Lacoste, sondern plötzlich auch Marc O'Polo.

Der Umzug

Verantwortlich dafür: Werner Böck. Er gab nach seiner Entdeckung auf der Kölner Herrenmodemesse Gas. 1967 wurde die Tochtergesellschaft Marc O'Polo Textilvertrieb Werner Böck GmbH gegründet, damals noch mit Sitz in Stockholm. In den 1980er- und 1990er-Jahren übernahm er einen Großteil der Anteile der Muttergesellschaft. Ende der Neunziger, als der schwedische Markt stagnierte, wurde der Sitz des Unternehmens kurzerhand nach Stephanskirchen verlegt – mit allem Drum und Dran.

Ausgerechnet eine XXL-Erdbeere erklärte Marc O'Polo 1967 zum Kampagnenmotiv.
Foto: Marc O'Polo, Bengt Erwald in "Marc O'Polo – The Story", published by teNeues, www.teneues.com

Heute verteilen sich Verwaltungsgebäude, Designabteilung, Showrooms, Fotostudio, Marketing, Firmenkantine sowie die Lager über den Marc-O'Polo-Campus. "Hier werden die Prototypen und die Muster gemacht", erklärt Böck. Ob das provinzielle Stephanskirchen jemals ein Problem war? Der Standort, der sei dabei heute nicht mehr entscheidend, wehrt Böck mit einer Handbewegung ab.

Und manchmal verirren sich auch Prominente hierher. Im Sommer kam anlässlich des fünfzigsten Geburtstags Robbie Williams, im Anhang Ehefrau Ayda Field und Hund (dessen Name: Mr. Showbiz), in die bayerische Provinz. Das Werbegesicht des Unternehmens gab in Stephanskirchen ein Konzert und vermittelte der Kleinstadt einen Abend lang ein Gefühl von Weltläufigkeit.

Robbie Williams kam nicht einfach so, er posiert gerade mit seiner Frau für eine Sweater-Kollektion von Marc O'Polo, fotografiert wurde das Paar von Starfotograf Peter Lindbergh. In den letzten Jahren hat das Unternehmen mit kernigen Prominenten geworben – zum Beispiel mit Männern, die aussehen, als würden sie am liebsten in einem schwedischen Holzhaus ihre Ruhe haben wollen: Männer wie Mads Mikkelsen oder Jeff Bridges.

In den letzten Jahren warb man mit kernigen Promis, hier Jeff Bridges.
Foto: Marc O'Polo, Bengt Erwald in "Marc O'Polo – The Story", published by teNeues, www.teneues.com

Radikaler waren die Kampagnen der Vergangenheit, die noch ohne Budgets für die Superstars vor und hinter der Linse auskommen mussten. Statt Models in Blusen und Hemden zu fotografieren, wurde 1967 eine vergrößerte Erdbeere kurzerhand zum Kampagnenmotiv und Symbol der Frühjahrskollektion erklärt.

Konkurrenzsituation

Dass es so etwas heute nicht mehr gibt, hat nicht nur mit dem Budget zu tun. So überschaubar wie in den 1980er-Jahren ist die Konkurrenzsituation nicht mehr. Marc O'Polo, der Spezialist für unaufgeregte Basics, hat sich nie mit schnellen Trends einen Namen gemacht. Mittlerweile aber hat sich die Modeindustrie verändert und das Tempo angezogen. Fast Fashion hat den Ton verändert. Diese Großwetterlage hatte auch Konsequenzen für das deutsche Unternehmen, das sich mittlerweile im Premiumsegment verortet.

Das Erfolgsprodukt, der Logo-Sweater, ist noch heute im Programm.
Foto: Marc O'Polo, Bengt Erwald in "Marc O'Polo – The Story", published by teNeues, www.teneues.com

Heute produziert die Designabteilung in Stephanskirchen acht Kollektionen im Jahr, die aktuelle hängt gerade im Showroom von Stephanskirchen, dem ovalen, verglasten Raum über der Betriebskantine, in der gerade die Belegschaft Nudeln mit Tomatensoße verspeist.

Mittlerweile sind alle sechs Wochen in den Filialen neue Produkte zu finden. Ab November werden in Stephanskirchen auch trendbewusstere Kapselkollektionen designt, die ein Team unabhängig von den gängigen Kollektionen entwickele, erklärt Böck. Das war in den Anfängen anders. In den 1970er-Jahren lagen zweimal im Jahr neue Kollektionen in den Läden. Auch hinter den Kulissen wird in Stephanskirchen an den Schrauben gedreht. Auf CEO Alexander Gedat folgte Anfang September Dieter Holzer, der ehemalige Chef von Tom Tailor.

Auch Böck kann es nicht lassen. Er ist dafür bekannt, dass er seinen Filialen regelmäßig zu Leibe rückt. "Ich komme vom Produkt, ich muss immer alles anfassen", erklärt Böck seine Streifzüge durch die Marc-O'Polo-Stores. 121 eigene Geschäfte, 169 Franchise-Stores und 1916 Handelspartner hat das Unternehmen heute.

Zuletzt hat Böck sich in der Münchner Filiale umgeschaut und wie immer Fotos gemacht. Auch nach Österreich komme er immer wieder, sein Sohn hat für Peek & Cloppenburg gearbeitet. Elf eigene Stores kann sich Böck hier heute anschauen. Die Österreicher hätten einen guten Geschmack, sagt er: "Die leisten sich gerne etwas", Böck verzieht keine Miene. Was er sagt, das meint er so. (Anne Feldkamp, RONDO Exklusiv, 6.12.2017)


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