Natürlich sind es nicht nur Textquellen, die uns Fakten zur Nahrung und Speisekultur vergangener Zeiten liefern: vor allem bildliche Darstellungen und archäologische Funde erweitern das Spektrum und können den Texten als gute Korrektive gegenübergestellt werden. Erst der Abgleich all dieser Informationen macht es möglich, ein relativ objektives Bild zu gewinnen. Die Tatsache, dass die Quellen, die uns aus dem Mittelalter erhalten sind, in erster Linie die Situation der Reichen, der Oberschicht, zeigen, bleibt dabei aber unverändert – ebenso wie der Umstand, dass die schriftlichen Quellen in der Regel nur besondere Anlässe dokumentieren oder – wie in der schönen Literatur – darstellen sollen.

Auf Alltagskost kann teilweise noch aus Textsorten wie Speiseordnungen geschlossen werden, doch sind diese meist nur für in sich geschlossene Lebensräume wie Klöster erhalten. Bauern- oder gar Armenkost wird nur indirekt und immer aus der Sicht einer gebildeten Oberschicht überliefert: Stereotype und standestypische Vorurteile sind dabei die Regel. Nahrungsmittel werden nicht selten als Metapher für soziale Unterschiede hergenommen.

Sozialkritik und Ständeordnung

In der sozialkritischen Versnovelle Helmbrecht Wernhers des Gärtners aus der Mitte des 13. Jahrhunderts argumentiert die Figur eines reichen Bauern die Ständeunterschiede zwischen Bauern und Rittern durchwegs mithilfe von Speisen. Die folgende Übertragung aus diesem Werk (Verse 859-890) beschreibt eine Szene in einem Bauernhaus, in der dem rücksichtslosen Sozialaufsteiger Helmbrecht für diese Umgebung völlig untypische Speisen kredenzt werden:

"Als der Knabe erwachte, war das Essen bereits fertig und nach dem Händewaschen wurde für ihn aufgetragen: Als erster Gang feingeschnittenes Weißkraut mit gut durchwachsenem Fleisch, dann ein fetter, aber mürber Käse, weiters eine Gans so groß wie eine Trappe, dann noch ein Brathuhn und 'coq au vin' ... und noch viel mehr Gerichte, die einem Bauern gänzlich unbekannt waren, wurden für den Knaben aufgetragen."

Wesentlich radikaler stellt Heinrich Wittenwîler in seinem Ring (um 1410) die bäuerliche Anmaßung dar, sich auf eine Stufe mit den Adeligen stellen zu wollen. Mit derber Sprache, beißendem Wortwitz und grotesken Bildern übt der Autor in seiner Moralsatire nicht nur Kritik am aufstrebenden Bauerntum, sondern auch an schlecht erzogenen Vertretern des adeligen Standes und nimmt damit bereits Elemente der grobianischen Tischzuchten vorweg:

"Spiegelmeise zögerte nicht lange, schenkte Frau Else den Krug mit dem Apfelmost randvoll. Er brachte Bratenstücke vom Esel, ihr erschien das wie ein edles Wildbret. Sie nahm sich einen Laib Brot an ihre Brust und schnitt ihn mühelos in der Mitte durch. Das wurden beachtliche Schnitten! Die legte sie zu einem stolzen Haufen zusammen, gerade so, als ob es ein Holzstoß wäre. Niemand wollte ihr das Messer wegnehmen, und so riss man das für sie bestimmte Fleisch in Stücke. Alles war für sie: Sie verschlang den Braten und nagte an den Knochen. Sie nagte und zerrte so heftig daran, dass ihr ein Zahn im Maul brach." (V. 5681-98)

Frühmittelalter – schriftliche Quellen sind rar

Eines der frühesten Dokumente, das Rückschlüsse auf die Ernährung im fränkischen Reich am Übergang von der Antike zum Mittelalter zulässt, ist der medizinische Traktat De Observatione Ciborum des byzantinischen Arztes Anthimus († 534). Darin beschreibt er einzelne Nahrungsmittel und manchmal auch deren Zubereitungsarten aus dem Blickwinkel der Medizintheorie seiner Zeit. Gerade bei Lebensmitteln, die er nicht aus seiner Heimat kennt, spürt man die Skepsis, mit der er sie betrachtet, und oft auch, wie widerwillig er sie in seinen Text aufnimmt:

"Nun will ich erklären, wie man Speck verzehren kann, damit er die beste Wirkung erzielt, denn es gibt keine Möglichkeit, wie ich diese fränkische Delikatesse verschweigen könnte. […] Was den rohen Speck betrifft, von dem man hört, dass die Franken ihn gerne essen, da bin ich nun wirklich neugierig, welche Person ihnen solch eine Medizin genannt hat, mit der man den Bedarf an anderen Medizinen umgehen kann. Sie essen ihn roh, weil er sehr zuträglich ist und als Heilmittel für ihre Gesundheit verantwortlich ist. Seine Wirkung auf ihre inneren Organe ist ähnlich wie von einer guten Medizin, und wenn sie irgendwelche Magen- oder Darmbeschwerden haben, heilt er sie." (Grant, S. 55)

Schriftliche Quellen zur Ernährung im Frühmittelalter sind rar. Almut Mikeleitis-Winter konnte aber in ihrer Dissertation interessante Rückschlüsse auf den alimentären Wortschatz des Althochdeutschen ziehen (S. 329-332): Die Wortfelder zu Nahrungsmittelbereitung aus Getreide und tierischen Produkten sowie die Speisen- und Getränkezubereitung sind weitgehend westgermanischen Ursprungs, Vokabel zum Weinbau, das Verb "kochen" und Verben zum Würzen und Mischen sind meist lateinische Lehnwörter und Lehnübersetzungen. Die Übernahme dieses Spezialwortschatzes lässt den Schluss zu, dass die frühmittelalterlichen germanischen Völker stark von der antiken Kelter- und Kochkunst beeinflusst wurden.

Hoher Anteil an weiblichen Berufsbezeichnungen

 Aus den althochdeutschen Glossen geht aber nicht nur hervor, dass in den einzelnen nahrungsmittelproduzierenden Gewerben sehr feine Differenzierungen zwischen den einzelnen Tätigkeitsbereichen bestanden, sondern auch dass ein hoher Anteil an weiblichen Berufsbezeichnungen überliefert ist: zum Beispiel Müller/Müllerin, Bäcker/Bäckerin, Feinbäckerin, Kneterin.

Diese feine Differenzierung der Tätigkeiten unterstützt den Befund einer hohen Kunstfertigkeit in der Nahrungsmittelverarbeitung im Frühmittelalter, die auch in einer langen Liste an unterschiedlichen Brotbezeichnungen in den Benedictiones ad mensas (10./11. Jh., Ekkehard IV. von St. Gallen) wiederzufinden ist: mondförmiges Brot, gesottenes Brot, geröstetes und mit Salz bestrichenes Brot, Brot, das mithilfe von Eiern zum Aufgehen gebracht wurde, mit Hefe getriebenes oder mit Sauerteig getriebenes Brot, Oblaten, ungesäuertes Brot, Brot aus Dinkel, Weizen, Roggen, Gerste und Hafer, frisches und altbackenes Brot, warmes Brot, kaltes Brot, unter der Asche gebackenes Brot (Schulz, S. 595-597).

Hochmittelalter – Opulenz und Fantasie

Die höfische Literatur des Hochmittelalters beschränkt sich – wenn es sich nicht gerade um didaktische Texte wie Helmbrecht handelt – in der Darstellung der Ernährung meist auf kurze Hinweise, dass das Essen dem adeligen Kontext entsprechend opulent war. "Man gab ihnen allen mehr als genug Essen und Getränke. Was immer sie sich hätte ausdenken können und was ihr Herz begehrte, davon gab man ihnen gerne", heißt es im Eneasroman (V. 13148-52).

Hier war die Fantasie des Publikums gefragt, sich jene Leckerbissen vorzustellen, die sie bei einem höfischen Fest erwarten würden. Für die Beschreibung der Mode, der Tischunterhaltung, der dargebotenen Geschenke wurden weit mehr Verse aufgewandt als für die Beschreibung der Nahrung. Aber die Aventiure – das Abenteuer – und die Minne stehen in den höfischen Romanen natürlich im Vordergrund.

Der Dichter Steinmar im Codex Manesse (UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, fol. 308v)
Foto: Public Domain

Am Übergang zum Spätmittelalter hat für einige Dichter die vom Liebesschmerz erfüllte Minne wohl ihren Reiz verloren und sie suchen nach anderen Sujets, denen sie Liebeserklärungen machen können: Der Dichter Steinmar (2. Hälfte 13. Jh.) hat dafür den Herbst auserkoren, eine Jahreszeit, die wohl das größte Nahrungsangebot zu bieten hatte. Entsprechend opulent präsentiert sich auch sein Minnegedicht:

"Wirt, du sollst uns Fische geben, mehr als zehnerlei! Gänse, Hühner, Vögel, Schweine, Würste, Pfauen soll es geben, Wein aus welschem Land: Davon gib uns viel und lass für uns die Schüsseln füllen! Was du uns gibst, das würze wohl, mehr als man nach Maßen soll, dass ein Dunst dem Trank zu gehe, wie ein Rauch von einer Feuersbrunst, und dass ein Mann in Schweiß ausbreche, dass er glaube, im heißen Bade zu sitzen. Mach, dass uns der Mund wie eine Apotheke schmeckt. Wirt, durch mich führt eine Straße, darauf schicke deinen ganzen Vorrat, vielerlei Speise! Vom Wein soviel, dass er ein Mühlrad antreiben könnte!" (Herbstlied, Str. 3-5)

Anfang des buoch von guoter spîse im Hausbuch Michaels de Leone (BSB, HS Cim. 4, fol. 156r)
Foto: Public Domain

Spätmittelalter – Rezepte werden überliefert

Mit dem Spätmittelalter setzt nicht nur die Überlieferung von Kochrezepttexten ein – die erste deutschsprachige Kochrezeptsammlung ist das sogenannte Buoch von guoter spîse von ca. 1350 –, sondern das Gebrauchsschrifttum nimmt insgesamt zu: Mit Papier gibt es einen neuen, günstigen Beschreibstoff, Deutsch setzt sich neben Latein als Schreibsprache durch und die Fertigkeit des Schreibens wird vermehrt von Laien beherrscht. Kulinarische Quellen sind neben den Rezeptsammlungen, von denen es immerhin 57 deutschsprachige mit annähernd 5.000 Rezepten gibt, Inventare, Rechnungen, Speiseordnungen, aber natürlich auch medizinische Schriften, historische Berichte und Predigten.

Vermerke zur Entstehungszeit und zu beteiligten Personen sind allerdings noch immer rar. Daher sind Quellen wie die Berichte zur Landshuter Hochzeit, die detaillierte Listen der beim Hochzeitsmahl servierten Speisen überliefern, oder das Itinerar des Paolo Santonino absolute Highlights. Diese Reisebeschreibung beinhaltet nicht nur genaue Datumsangaben, sondern auch den Ort und die beteiligten Personen verzeichnet diese Quelle: Die Angaben sind so detailliert, dass @PaoloSantonino gerade von seiner ersten Reise im Oktober 1485 auf den Tag genau twittert!

Überschwang im Kloster?

Der Eindruck, dass zu dieser Thematik eine sehr heterogene Überlieferungssituation vorliegt, ist vollkommen richtig! Dennoch ist es möglich, Kontinuität in der kulinarischen Entwicklung im Laufe des Mittelalters auszumachen. 1125 kritisiert der Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux die aus seiner Sicht im Benediktinerkloster Cluny herrschende Völlerei und veranschaulicht das plakativ an den unterschiedlichen Zubereitungsweisen von Eiern:

"Wer könnte denn aufzählen, auf wie viele Arten allein die Eier (um von anderen Speisen zu schweigen) gewendet und in die Pfanne geschlagen werden, mit welcher Sorgfalt sie umgewendet und gedreht werden, wie sie als Rühreier oder hartgekocht und zerhackt serviert werden, wie sie bald gebraten, bald geröstet, dann wieder gefüllt, jetzt mit anderen Speisen vermischt und ein anderes Mal allein auf den Tisch gebracht werden?" (S. 181)

Bernhard nennt zehn verschiedene Zubereitungsarten!

"Krosseier" – gefüllte, gekochte Eier nach einem mittelalterlichen Rezept.
Foto: Helmut W. Klug

Die Rezeptsammlungen vom Ende des Spätmittelalters, die also rund 300 Jahre später aufgezeichnet wurden, verzeichnen noch weit mehr: in der Schale gebratene Eier, gefüllte Eier, Eiermus, Eier am Spieß, gefüllte halbierte Eier, Eier mit Petersilie, Eierkuchen, Eierkrapfen, Pfannkuchen, dreierlei Pfannkuchen, mit Nüssen gefüllte Eier, in Papier gebackene Eier, Eierbraten, Eierspeise, Eierkäse, Eiersauce, ohne Fett gebackene Eier, Eier in Pfeffersauce, Nudelig geschnittenes Eiermus, Eierspeise mit Salbei, kugelrunde Eier, Krebs-Eier, gestürzte Eier, gebackene Eier, gekochte Eier, Wildbret aus Eiern, heidnische Eier, Mönchseier, Königseier, Rieseneier, Verlorene Eier, Seltsame Eier … und das ist nur eine Auswahl der überlieferten Rezepte!

Hier spiegelt sich Bernhards Text wieder und beide Quellen bestätigen, dass Eier – aufgrund der einfachen Produktion und der guten Lagerfähigkeit – eines der wichtigsten Nahrungsmittel des Mittelalters waren und die stärkehaltige Grundnahrung aus Getreide um Fett und Eiweiß ergänzten. (Helmut W. Klug, Karin Kranich, 11.10.2017)

Literaturtipps

  • Bernhard von Clairvaux: Apologia ad Guillelmum Abbatem. In: Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke Bd. 2. Hrsg. v. Gerhard B. Winkler. Tyrolia 1992, S. 137-204.

  • Buoch von guoter spîse. (fol. 156ra-165vb) In: Cim. 4 (= 2° Cod. ms. 731) – Hausbuch Michaels des Leone – Würzburger Liederhandschrift. urn:nbn:de:bvb:19-epub-10638-7

  • Grant, Mark (Hrsg.): Anthimus: De obseruatione ciborum. Prospect Books 1996.

  • Heinrich von Veldeke. Eneasroman. Nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar von Dieter Kartschoke. Reclam 1986.

  • Liedtexte Steinmars. In: Deutsche Lyrik des späten Mittelalters. Hrsg. v. Burghart Wachinger. Deutscher Klassiker Verlag 2006, S. 322-41.

  • Mikeleitis-Winter, Almut: Der Bereich Nahrungszubereitung im althochdeutschen Wortschatz. Akad.-Verl. 2001.

  • Schulz, Anne: Essen und Trinken im Mittelalter. de Gruyter 2011.

  • Wernher der Gärtner. Helmbrecht. Hrsg., übers. u. erläutert v. Fritz Tschirch. Reclam 1974.

  • Wittenwiler, Heinrich: Der Ring. Nach dem Text von Edmund Wießner ins Neuhochdeutsche übersetzt und herausgegeben von Horst Brunner. Reclam 1991.