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Der Klimawandel in Afrika hat viele Gesichter. In Tansania und Kenia wird der fruchtbare Boden knapper.

Foto: Reuters / Radu Sigheti

Wien/Arusha – Der Urteilsspruch ist einmalig in Österreich, ging aber im Wahlkampfgetöse unter: Wie im September bekannt wurde, hat das Bundesverwaltungsgericht in Wien einem Somalier aufgrund von Klimagründen subsidiären Schutz gewährt. Eine langanhaltende Dürre habe im ostafrikanischen Staat eine humanitäre Katastrophe hervorgerufen, hieß es in der Begründung. Rund 6,2 Millionen Menschen haben zu wenig zu essen. "Der Klimawandel darf niemals ein anerkannter Asylgrund werden", reagierte FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl via Aussendung.

Das Thema wird weltweit heftig diskutiert. Im Sinne der Genfer Flüchtlingskonventionen gibt es gar keine Klimaflüchtlinge. Kritiker fordern eine zeitgemäße Anpassung der 1951 festgesetzten juristischen Grundlagen. Gegner fürchten dadurch jedoch eine Massenfluchtbewegung. Denn ohne Ausnahme stiegen die globalen Durchschnittstemperaturen seit den 1980er-Jahren. Nach Einschätzungen des Weltklimarates ist Afrika der durch den Klimawandel am meisten bedrohte Kontinent. Das liegt vor allem an den Auswirkungen auf die Landwirtschaft, von der rund 70 Prozent aller Afrikaner leben. Laut Weltbank befinden sich 14 der 15 Länder mit dem höchsten Anteil der Landwirtschaft an ihrer Gesamtwirtschaftsleistung in Afrika.

Landwirtschaft unter Wetterextremen

Die Aussaat wird zunehmend zum Glücksspiel: Dürre, Starkregen oder Stürme können die Ernte eines Jahres innerhalb kurzer Zeit zerstören. Aufgrund der Hitze leidet die Gesundheit der Bevölkerung, was auch die Produktion drückt. Besonders in Afrika breiten sich die Wüsten immer schneller aus: Durch Desertifikation gehen jährlich 120.000 Quadratkilometer fruchtbaren Bodens verloren. Geopolitisch gehe von den Auswirkungen des Klimawandels in Afrika mehr Gefahr aus als von dem EU-Austritt Großbritanniens, sagte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble im Juni bei einer Wirtschaftskonferenz in Durban in Südafrika.

Laut einer Studie des Instituts für politische Wissenschaft der Universität Hamburg, die von Greenpeace in Auftrag gegeben wurde, fliehen jedes Jahr doppelt so viele Menschen vor Umweltkatastrophen wie vor Krieg und gewalttätigen Konflikten. Ziel der Studie sei es nicht, Krisen gegeneinander aufzuwiegen, sondern auf die Verzerrung in der öffentlichen Wahrnehmung aufmerksam zu machen.

Verlässliche Zahlen, wie viele Klimaflüchtlinge es gibt und wie sich Fluchtbewegungen weiterentwickeln werden, gibt es nicht. Seit fast 25 Jahren geistert die Zahl von 200 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2050 durch die Medien. Sie wurde zuerst vom britischen Naturschützer Norman Myers genannt. So gegensätzliche Organisationen wie die Vereinten Nationen oder die Internationale Organisation für Migration (IOM) bezogen sich wiederholt darauf.

Klimatische Extremereignisse werden zudem immer öfter als Vorläufer sozialer Konflikte identifiziert. Wenn Wasser und fruchtbares Land knapp werden, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass Konflikte explodieren können. Auch dem Syrien-Krieg ging eine lange Dürreperiode voraus, die das Konfliktpotenzial, das schon in der Gesellschaft vorhanden war, verstärkte.

Konkurrenz um Land steigt

Wie gesellschaftliche Entwicklungen dagegen Knappheit erzeugen können, zeigt ein Blick nach Ostafrika: Es ist halb sieben Uhr morgens, und die Sonne beginnt erst auf die weite Steppenlandschaft außerhalb der Stadt Arusha im Norden Tansanias zu scheinen. Die Massai sind mit ihren Rindern schon auf dem Weg zu Wasserstellen. Die Volksgruppe gerät zunehmend unter Druck: Nationalparks dürfen sie mit ihrem Vieh nicht betreten, und mit sesshaften Bauern kommt es regelmäßig zu Konflikten. Auch im benachbarten Kenia hungern 2,6 Millionen Menschen aufgrund von Dürren.

Zudem schwinden die Wasserreserven. Als eines der Symbole für den Klimawandel gilt in Tansania das Abschmelzen der Gletscher des Kilimandscharo. 90 Prozent der einstigen Eismassen sind heute verschwunden. Das tansanische Amt für Meteorologie führt das auf einen Rückgang des Niederschlags zurück. Vor zehn Jahren wurden in einigen Regionen noch 990 Millimeter Regen pro Jahr verzeichnet, nun regnet es um die Hälfte weniger. Die Bewegungsfreiheit der Massai in Tansania und Kenia wird zunehmend durch Landverkauf der Regierung an Private eingeschränkt.

Weil fruchtbarer Boden weniger wird, versuchen Konzerne, sich möglichst viel davon zu sichern. Denn der Appetit der industrialisierten Staaten des Nordens und von Schwellenländern nach Soja, Raps, Zuckerrohr, Palmöl und anderen Rohstoffen wächst. Bei der "Land Matrix Initiative", die mit der EU-Kommission kooperiert, können Fälle von Landgrabbing gemeldet werden. Die Betreiber stellen sie nach einer Prüfung online. Laut Berechnungen auf Grundlage dieser Daten wurden bereits zehn Millionen Hektar in Afrika von internationalen Investoren – unter anderen aus Malaysia, den USA, Großbritannien und Saudi-Arabien – übernommen.

Die Ausbeutung wird hier in gewisser Weise "normalisiert", sagt Politikwissenschafter Ulrich Brand. "Dahinter stehen natürlich politische und Unternehmensstrategien, internationale Konkurrenzverhältnisse und auch rassistische Muster im Sinne von 'Na, die Menschen in Afrika schaffen es ja eh nicht, sich selbst zu entwickeln'." Menschen würden nicht einfach nur wegen der Verknappung natürlicher Ressourcen oder des Klimawandels in die Flucht getrieben, betont der Wissenschafter: "Knappheit gibt es nicht einfach, sondern sie wird durch gesellschaftliche Verhältnisse und Interessen erzeugt."

Krisen werden verstärkt

In seinem neuen Buch Imperiale Lebensweisen widmet sich Brand mit Koautor Markus Wissen der Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Zeitalter. Gemeint ist damit eine Lebensweise, die Krisenphänomene wie Klimawandel, Vernichtung von Ökosystemen, soziale Polarisierung und Verarmung verstärkt – auch durch Zerstörung lokaler Ökonomien. Eine Folge ist die Flucht afrikanischer Kleinbauern nach Europa. Die EU fördert zudem den Export hochsubventionierter Agrarprodukte nach Afrika. Dortige Märkte brechen so weg, kritisiert Brand. (Julia Schilly, 8.10.2017)