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Im untersten sozialen Netz streichen anstatt Integration offensiv anzugehen, das ist keine Lösung.

Foto: AP/Ronald Zak

In Wahlkampfzeiten wird gern etwas breiter ausgeteilt und flacher gesprochen. Wahrscheinlich deshalb, weil die Menschen in Wahlkampfzeiten geringere Differenzierungsfähigkeiten aufweisen und die Botschaften nachgerade eingehämmert werden müssen. Bei Sebastian Kurz jedenfalls ist aus der ja nicht zum ersten Mal geäußerten Kritik an der Wiener Integrationspolitik eine sehr allgemeine Forderung nach reduzierter Zuwanderung geworden. Und zwar, weil sich die "Wiener in ihrer Gasse mittlerweile etwas fremd fühlen".

Ausländer mag man generell nicht, da muss nicht groß zwischen EU oder anderem unterschieden werden, alle kommen her und liegen der Heimat großer Sozialleistungen auf der Tasche, ohne daran zu denken, in das System auch einzuzahlen.

Nettozuwanderung sinkt

Schon ein starkes Stück. Die Statistik Austria, auf die sich Kurz ebenfalls bezieht, sagt dazu Folgendes: Die österreichische Nettozuwanderung, also der Saldo aus Zu- und Abwanderung, betrug im Jahr 2016 nicht einmal 65.000 Personen, auf Wien als attraktivste Region entfielen dabei etwa 21.000. Das mag sich in manchen Wiener Gassen anders anfühlen als in anderen, ist aber insgesamt für eine Stadt dieser Größe nicht wirklich viel, möglicherweise sogar etwas zu wenig für eine internationale Metropole. Noch dazu ist dieser Anteil seit dem Jahr 1996 – so weit reicht die Zeitreihe zurück – nahezu permanent und sehr stark gefallen, nämlich von 166 Prozent auf 33 Prozent. Anteile über 100 Prozent in den Jahren 1996 und 1997 heißen, dass die anderen Bundesländer einen negativen Saldo aufwiesen, also Wien allein die positive Nettozuwanderung verantwortete.

Auch wissen wir, dass die Mehrzahl der Personen ohne österreichischen Pass aus der Europäischen Union kommen. Egal, die Deutschen mögen wir ja auch nicht, wenn sie im Supermarkt nach einer Tüte fragen und uns dann die Studienplätze wegnehmen oder sich im Burgtheater aufspielen. In irgendeiner Weise naschen sie alle am österreichischen Kuchen, Pardon, an der Mehlspeise.

Wien ist Forschungs- und Innovationsstandort

Eines sollte man sich aber auch in Wahlkampfzeiten genauer anschauen, und hier hilft ebenfalls die Statistik Austria: Gerade in Wien ist das allgemeine Bildungsniveau in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten enorm angewachsen, der Anteil der Personen mit Hochschulabschluss beträgt etwa 23 Prozent, im Österreichschnitt sind es etwa 14 Prozent. Kann es etwa sein, dass einige dieser Ausländer höherqualifiziert sind? Dass etwa Universitäten – da gibt es ja einige größere in Wien – sowie Forschungseinrichtungen und innovative Unternehmen, die wir alle so gern mögen, weil sie die Wettbewerbsfähigkeit des Landes sichern und hochqualifizierte Arbeitskräfte schaffen, mit voller Absicht Ausländer ins Land holen, weil sie weltweit die besten Köpfe wollen und ihnen die Staatsbürgerschaft dabei ziemlich egal ist? Wien ist ein Forschungs- und Innovationsstandort. Wien hat enorme Anstrengungen unternommen und nicht wenig öffentliches Geld in die Hand genommen, um den Standort international attraktiv zu machen. Darauf kann und soll Wien stolz sein.

Und ebenso kann und soll Wien stolz darauf sein, beim Angstmachethema Mindestsicherung Rückgrat zu zeigen. Es kann ja wohl nicht sein, dass wir im untersten sozialen Netz streichen, anstatt Integration offensiv anzugehen. Und am Ende in eine allgemeine Ausländerhetze einstimmen. Weil wir uns in der Gasse fremd fühlen. Wenn Kurz konstruktive Politik machen möchte, dann muss er aus dieser hohlen Gasse herauskommen. Zugegeben, der "Schwachsinn"-Sager des Bürgermeisters war jetzt rhetorisch auch nicht gerade ganz die feine Klinge. Aber richtig. (Dorothea Sturn, 10.10.2017)