Der Journalismus in der Türkei befinde sich in einem "Koma", doch sei er noch nicht tot, sagt der Journalist Kadri Gürsel.

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Istanbul – Trotz der Verfolgung kritischer Journalisten in der Türkei hofft der kürzlich freigelassene "Cumhuriyet"-Kolumnist Kadri Gürsel auf eine Wiederbelebung des Journalismus im Land. Der Journalismus in der Türkei befinde sich in einem "Koma", doch sei er noch nicht tot, sagte Gürsel in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. Dies gebe ihm Hoffnung, dass er "aus dem Koma erweckt werden" könne.

"Es werden die Journalisten sein, die helfen werden, den Journalismus wiederzubeleben und aus dem Koma zu erwecken", sagte der Kolumnist, der nach elf Monaten im Gefängnis am 26. September aus der Haft entlassen worden war. Ohne Meinungs- und Pressefreiheit könnten die Menschen nicht leben, sagte er. "Die Freiheiten existieren dank denen, die sie verteidigen gegen jene, die sie zerstören wollen."

Kolumnist für "Milliyet"

Gürsel ist seit drei Jahrzehnten als Journalist tätig. Nachdem er in 90er-Jahren auch für AFP gearbeitet hatte, schrieb er lange als Kolumnist für "Milliyet". Da die Zeitung zunehmend auf Regierungslinie einschwenkte, wechselte er vergangenes Jahr zu "Cumhuriyet". Anders als die meisten Zeitungen in der Türkei gehört "Cumhuriyet" keinem Großkonzern, sondern einer Stiftung, die ihre Unabhängigkeit sichert.

Wegen ihrer kritischen Berichterstattung ist "Cumhuriyet" dem islamisch-konservativen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan seit langem ein Dorn im Auge. Im Oktober 2016 wurde ein Dutzend Journalisten und Mitarbeiter der Zeitung unter dem Vorwurf festgenommen, "Terrororganisationen" wie die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die islamische Gülen-Bewegung zu unterstützen.

Die Tage nicht gezählt

Gürsel sagte, er habe in Haft immer nach vorne geschaut und die Tage nicht gezählt. Die Zeit im Gefängnis habe er viel zum Lesen genutzt, so dass er sich nie gelangweilt habe, sagte er. Dass er und seine Ehefrau Nazire sich zum Unmut mancher Landsleute nach seiner Freilassung öffentlich küssten, sei normal gewesen, sagte Gürsel. Bei Nazires Besuchen in Haft hätten die Wachen nie etwas dagegen gehabt.

Der Kolumnist kündigte an, weiter für "Cumhuriyet" zu schreiben. "Ich kenne nichts anderes als Journalismus. Natürlich werde ich meinen Job und mein Recht auf Leben verteidigen", sagte Gürsel. Obwohl er ebenso wie sieben Kollegen freigelassen wurde, bleibt er weiter angeklagt. Vier Kollegen sitzen noch in Haft. Der nächste Gerichtstermin ist am 31. Oktober. Den Angeklagten drohen lange Haftstrafen. (Fulya Ozerkan, AFP, 8.10.2017)