Der Musiker und Dichter Georg Kreisler beherrschte spielend die große und die kleine Form. Seine tiefschwarze Weltsicht wurde immer wieder zum Politikum.

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Artikulation Gerade seine schwärzesten Lieder trug Georg Kreisler (1922–2011) mit freundlicher und daher beinahe befremdlicher Inbrunst am Flügel vor. Der aus Wien gebürtige Komponist, Texter, Lyriker und Pianist schuf nach dem Krieg das Genre des schwarzhumorigen Chansons gleichsam neu. Unschöne Begebenheiten wurden von Kreisler leicht übertrieben. Polemisch wirkte der Eifer des Autors nur insofern, als er half, die Erkenntnis von der moralisch fragwürdigen Natur des Menschengeschlechts zu befördern.

Aspirin Kreisler begann etwa ab Mitte der 1950er-Jahre, seine "Everblacks" zu singen. Die virtuos vertonten Begebenheiten waren meist makabren Inhalts, verloren aber durch die (akustische) Unschuldsmiene des Rezitators nichts von ihrem Schrecken. Kreisler, der freundliche Kassenbeamte mit der auffälligen Brille, entlarvte das "goldene Wienerherz" als vergleichsweise unedlen Gegenstand. In dem Lied Bidla Buh mimt er einen besonders sympathischen Frauenmörder, der bei Bedarf das Aspirin durch eine tödliche Dosis Strychnins ersetzt. Das Frohlocken in der Stimme drückt die Befriedigung über die ebenso einfache wie überzeugende Wahl des Tötungsmittels aus.

Canetti Kreislers ingeniöse Vortragskunst lässt an Elias Canettis Konzept der "akustischen Maske" denken. Menschen sprechen nicht bloß ein regional gefärbtes Idiom. Die Art ihrer Artikulation verdichtet sich zum Abbild ihres wahren Charakters. Kreisler bediente sich bei der Kunst des jiddischen Sprachspiels und schuf "nichtarische Arien". Ein Refrain für die Ewigkeit lautet: "Schuld ist der Onkel Joschi, und der kann nix dafür!"

Herkunft Als Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts floh Kreisler 1938 mit seinen Eltern in die USA. Der Vater sattelte mühsam auf Steuerberater um, Georg arbeitete bereits in Jünglingsjahren als Korrepetitor. In New York schlug er sich als Unterhaltungsmusiker durch. 1955 in Wien gelandet, spielte er seine säurehaltigen Chansons zunächst in der Marietta-Bar.

Hits Hits wie Der gute alte Franz waren bereits zuvor in Amerika entstanden. In dieser unsittlichen Erzählung wird das Konzept der Übervorteilung eines naiven Bekannten genüsslich ausgebreitet. Besagter Franz lässt sich sogar dazu überreden, in den Doppellauf einer Jagdflinte zu blicken: "Jetzt is' er im Himmel, der gute alte Franz ..."

Liebeslieder Auf Vorschlag des Norddeutschen Rundfunks bereicherte Kreisler seine Palette um "seltsame Liebeslieder". Erinnert sei an das Chanson von Barbara, einer Person, der die ganze Zuneigung des Erzählers gilt, die jedoch den kleinen Makel besitzt, überhaupt nicht zu existieren. Andere Seltsamkeiten verraten die Schulung an Ringelnatz, Morgenstern und Schwitters. Dann "spielt ein Neger auf der Flöte Palestrina am Girardiplatz", und es "dreht ein Mädchen namens Mia sich gen Mekka" (Frühlingsmärchen). Alliterative Titel wie Zwei alte Tanten tanzen Tango sind in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen.

Taubenvergiften Dass im Überschwang der Frühlingsgefühle ausgerechnet harmlosen Tauben zu Leibe gerückt wird, zeugt von der Beschaffenheit des Wienerherzens als Mördergrube. Natürlich hatte Kreisler stets den Zivilisationsbruch der NS-Verbrechen im Blick, als er lebhaft für ein "Wien ohne Wiener" warb. Hinter der Liebe zum Diminutiv verbirgt sich die Begabung zur Mordshetz. Hinter den "Guckerln und Wuckerln, den Madeln und Wadeln" wartet der (gewaltsame) Tod.

Volkstheater Der Georg-Kreisler-Abend im Wiener Volkstheater heißt tatsächlich Wien ohne Wiener und hat am Mittwochabend Premiere. Puppenspieler Nikolaus Habjan gedenkt des unbequemen – und vielfach unbedankten – Künstlers Kreisler im Verein mit Franui und wichtigen Stützen des Ensembles (Claudia Sabitzer, Günter Franzmeier, Gábor Biedermann und andere). (Ronald Pohl, 11.10.2017)