Carles Puigdemont begann seine Rede mit einer Stunde Verspätung. Last-Minute-Diplomatie, hieß es als Begründung, Streitigkeiten mit der radikalen Linken, besagten Gerüchte. Die Rede, die der katalanische Regionalpräsident dann hielt, war der Versuch eines Spagats. Zwischen den Interessen in der katalanischen Regierung, denen in der gespaltenenen Bevölkerung, denen der Wirtschaft. Und es war ein Versuch, das Gesicht zu wahren.

Puigdemont wiederholte beinahe alle Narrative der katalanischen Erniedrigung. Die Milliarden, die in den Finanzausgleich fließen, der ignorante Kurs des Zentralstaates, das verwässerte Autonomiestatut von 2006. Dann endlich folgte der Teil, auf den alle gewartet hatten: Die Verkündung der Unabhängigkeit wird aufgeschoben. Notbremsung eingeleitet. Indirekt gab Puigdemont zu: Das Referendum hatte nur "symbolischen" Charakter. Ein Grund dafür könnte schlicht und ergreifend der Druck der Wirtschaft sein. Mehrere in der Region ansässige Banken und Großkonzerne haben bereits angekündigt, ihre Standorte zu verlegen.

Jetzt bleibt abzuwarten, wie Madrid seine Rede interpretiert. Rajoy wäre gut beraten, die Gunst der Stunde für Gespräche zu nutzen. Die könnten der erste Schritt dahin sein, die Unabhängkeitsbestrebungen auf legale Basis zu stellen. Vielleicht in Form eines neuerlichen Votums in beiderseitigem Einverständnis, bei dem die Katalanen mit ruhigem Kopf abstimmen könnten.(Manuela Honsig-Erlenburg, 10.10.2017)