Wien – Drei Tage vor der Nationalratswahl hat sich SPÖ-Chef Christian Kern eine Erklärung vor dem Nationalrat gegönnt, freilich in seiner Funktion als Kanzler. In dieser warb er vor allem für Zusammenhalt und eine aktive inhaltliche Politik. Den anderen Parteien gefiel weder, was Kern sagte, noch dass er überhaupt etwas sagte.
In seiner gerade einmal 7,5-minütigen Rede sprach der SPÖ-Chef von einer Verantwortung für die politische Kultur in Österreich: "Wer weiter Misstrauen schürt, hat seine Lektion nicht gelernt." Politische Debatten müssten von Achtung gegenüber dem anderen geprägt sein. Man brauche eine Kultur, die von Argumenten und inhaltlicher Substanz geprägt sei und die das Land verbinde, statt es zu spalten.
Große Aufgaben stünden für die Politik nach den Wahlen bevor, die es gemeinsam zu lösen gelte. Schon jetzt könne man erste Schritte setzen, etwa in der heutigen Sitzung den Beschluss einer Angleichung der Rechte von Arbeitern und Angestellten.
Strache: "Das war skurril"
FPÖ-Klubobmann Heinz-Christian Strache gab sich amüsiert ob des Vortrags: "Das war fast Kabarett, das war skurril, das war eigentlich der Witz des Tages." Kern spreche von Verantwortung für Österreich, nachdem er Dirty Campaigning auf Kosten der Steuerzahler betrieben habe: "Heute muss man fast schon dem Werner Faymann ein paar Tränen nachweinen."
Kern wurde von Strache vorgeworfen, sich vor Verantwortung zu drücken. Nicht einmal für die "Bonzen-Schutzmauer" im Regierungsviertel sei der Kanzler eingestanden und einen Manager-Test in der "Kronen Zeitung" habe er nach 34 Minuten abgebrochen, weil er überlastet gewesen sei. Den Konter der SPÖ trug Klubchef Andreas Schieder vor. In Richtung der Freiheitlichen meinte er: "Alle, die mit ihnen unter einer Decke gesteckt sind und alle ausgesackelt haben, wie sie an der Macht waren, werden verhaftet." Dies hielt die FPÖ nicht ab, wenig später einen Misstrauensantrag gegen Kanzler Kern einzubringen.
Schwarzer Spott über Kanzler
VP-Sozialsprecher August Wöginger spottete, dass der SPÖ-Chef gescheiter eine Parteiaktion am Viktor-Adler-Markt machen hätte sollen statt hier im Nationalrat. In Richtung Kanzler meinte er in Sachen Dirty Campaigning: "Kehren sie vor der eigenen Tür und räumen sie zusammen." Schließlich habe Kern "den schmutzigsten Wahlkampfmanager weltweit" in seine Partei geholt.
Dass die ÖVP diversen Beschlüssen in der heutigen Sitzung nicht zustimmt, begründete Wöginger damit, dass man nicht bereit sei, Husch-Pfusch-Gesetze mitzutragen. Vizekanzler Wolfgang Brandstetter (ÖVP) bedauerte wiederum in einer Rede, die doppelt so lang dauerte wie jene Kerns, dass so manch anderer Beschluss wegen der SPÖ nicht mehr gefällt werden konnte, speziell das Sicherheitspaket, aber auch die Flexibilisierung der Arbeitszeit.
Steinhauser verärgert über Wahlkampf im Parlament
Verärgert über die Rede des Kanzlers zeigte sich auch Grünen-Klubchef Albert Steinhauser. Es sei schade, dass hier das Recht des Regierungschefs, jederzeit eine Erklärung im Nationalrat halten zu können, für den Wahlkampf missbraucht werde.
Für die Grünen warb er derart, dass seine Partei immer Wert auf politische Kultur gelegt habe, ganz im Gegensatz zu SPÖ, ÖVP und FPÖ: "An diesen Parteien ist nichts echt. Wir stehen für authentische Politik." Die Grünen stellten sich ausschließlich in den Dienst der Bürger und nicht der Großspender. Die drei anderen Parteien versänken derweil im Wahlkampf-Sumpf.
Strolz: Gut, dass es zu Ende geht
Sehr friedlich gab sich Neos-Obmann Matthias Strolz. Aus seiner Sicht ist es gut, dass der Wahlkampf jetzt zu Ende gehe: "Die ganze Republik hat langsam genug."
Für die Zukunft meinte Strolz, dass man zu einem ganz anderen Stil des Zusammenarbeitens kommen müsse. Die NEOS würden sich dabei für ihre Allianz für Freiheit und Verantwortung stark machen: "Inhalt statt Intrige, Freiheit statt Filz, Tempo statt Taktik."
Nachdem sich die Abgeordneten der anderen Fraktionen erst darüber ärgerten, dass Kern seine Funktion als Kanzler für eine Erklärung und damit einen Wahlkampf-Auftritt im Nationalrat nutzte, störte es die Mandatare, dass er plötzlich nicht mehr da war. Eine kleine Abstimmungsgroteske folgte.
Abstimmung über Kerns Anwesenheit
Die Grünen ließen nämlich abstimmen, ob der Kanzler zur Debatte geholt werden sollte. SP-Klubchef Andreas Schieder warf ein, dass Kern eigentlich durch Staatssekretärin Muna Duzdar ordentlich vertreten sei. An der Abstimmung änderte das nichts. Alle vier anderen Fraktionen und die freien Mandatare sprangen auf, um Kern herholen zu lassen, woraufhin sich sogar die roten Abgeordneten aus ihren Sesseln erhoben.
Reale Auswirkung hatte das allerdings keine. Denn unmittelbar danach wurde die Debatte zur Kern-Erklärung für die Aussprache zur "Dringlichen Anfrage" unterbrochen. Der Kanzler konnte somit zumindest fürs erste fern bleiben.
Start mit Umweltdebatte
Der Nationalrat tagt am Donnerstag zum letzten Mal in der gegenwärtigen Zusammensetzung. Mit einer von den Grünen initiierten Umweltdebatte hatte die Sitzung begonnen, erwartet wird eine Marathonsitzung bis nach Mitternacht mit Gesetzesvorhaben, die SPÖ, FPÖ und Grüne auch gegen den Widerstand der ÖVP durchbringen wollen.
Angesichts der Wahl drei Tage danach sind heftige Auseinandersetzungen zu erwarten, speziell in der Aussprache nach einer kurzfristig angesetzten Rede von Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern. Aber auch eine Ceta-Debatte hat Potenzial für Zank und Hader.
In der "Aktuellen Stunde" rechnete Grünen-Umweltsprecherin Christiane Brunner zu Beginn mit den Leistungen von Landwirtschafts- und Umweltminister Andrä Rupprechter (ÖVP) ab. Die Regierung wolle weitermachen, als ob es die Klimakrise nicht gäbe, was angesichts der "größten Herausforderung der Menschheitsgeschichte" verantwortungslos sei. "Wir können uns das Nichtstun nicht mehr leisten", sagte sie: "Wir sind die erste Generation, die den Klimawandel voll spürt, und wir sind die letzte Generation, die etwas tun kann."
Rupprechter zeigte sich von der Kritik unberührt. Österreich bekenne sich "im Sinne unserer Schöpfungsverantwortung" zu den Klimazielen von Paris und habe diese aktiv mitverhandelt.
Volksbegehren zu Ceta behandelt
Das Volksbegehren zu den Freihandelsabkommen Ceta und TTIP ist im Nationalrat am Donnerstag abschließend beraten worden. Grüne und FPÖ haben dabei einmal mehr eine Volksbefragung zu dem Thema gefordert – ihre Anträge wurden jedoch abgelehnt. Auch ein Antrag er SPÖ wurde abgelehnt. Die ÖVP hob die Bedeutung für die Wirtschaft hervor.
Das Volksbegehren haben Anfang des Jahres 562.379 Personen bzw. 8,87 Prozent der Stimmberechtigten unterschrieben. Wirtschaftsminister Harald Mahrer (ÖVP) bedankte sich bei den Initiatoren des Volksbegehrens und wies auch darauf hin, dass im Vertrag im Rahmen der Präzisierung noch Interpretationsspielräume beseitigt werden konnten: "Das wäre nicht möglich gewesen ohne breite Bürgerbeteiligung."
Ausbau der Kinderbetreuung wird beschlossen
Beschlossen werden dürfte in der Sitzung noch einiges, unter anderem eine Pensionserhöhung, die Bezieher kleinerer Renten bevorzugt. Fortgeschrieben werden die zusätzlichen Mittel zum Ausbau der Kinderbetreuung. Schließlich dürften es auch noch einige Gesetze schaffen, die gegen den Widerstand der ÖVP von SPÖ, FPÖ und Grünen umgesetzt werden sollen, etwa die Übernahme der Lehrlingsheimkosten durch den Insolvenzentgeltfonds oder eine Verdoppelung der Mittel für aktive Behindertenpolitik.
Angleichung Arbeiter und Angestellte
Die Angleichung der Rechte von Arbeitern und Angestellten ist so gut wie fix. SPÖ, FPÖ und Grüne haben sich auf einen entsprechenden Antrag, der die bestehenden Unterschiede etwa bei Kündigungsfristen und Entgeltfortzahlung beseitigen soll, verständigt. Einem Beschluss heute Abend im Nationalrat sollte nun nichts mehr entgegen stehen.
Schließlich wird noch wie erwartet eine Reform bei der Notstandshilfe durchgeführt. Dieses von den Grünen eingebrachte Begehren sieht vor, dass das Partnereinkommen künftig nicht mehr bei der Errechnung der Höhe herangezogen wird. Die Kosten dafür sollen 130 Millionen betragen.
Weitere für den Abend anvisierte Beschlüsse waren schon länger außer Streit gestanden, etwa die von der FPÖ beantragte Abschaffung der Mietvertragsgebühr oder die Verdoppelung der Mittel für aktive Behindertenpolitik. (APA, 12.10.2017)