Wien – Unweit des Kongressbads schlängeln sich im 16. Bezirk in Wien Fußwege zwischen gelb gestrichenen Häusern. Auch Brunnen, Bäume, getrimmte Rasenflächen und versteckte Durchgänge finden sich um die einzelnen Gebäude des offen angelegten Sandleitenhofs. Während Laub herbstlich durch die Luft wirbelt, geht eine Frau mit ihrem Hund spazieren. Von den Spielplätzen ist kein Kinderlärm zu hören. Es ist still an diesem Nachmittag in Wiens größtem Gemeindebau.
Errichtet vom Roten Wien in den Jahren 1924 bis 1928, sollte die Wohnhausanlage "den Bewohnern die möglichst gesündesten Daseinsbedingungen bieten", wie es in einer Beschreibung von damals heißt. "Ihre Fenster", so wird erklärt, "grüßen die Sonne." Inspiriert von den Architekten Otto Wagner und Camillo Sitte wollte man vermeiden, dass der an den Hängen des Wienerwalds errichtete Komplex "den Charakter einer großen Anstalt" annimmt.
Theatersaal meist ungenutzt
Neben den rund 1.500 Wohnungen für 5.000 bis 6.000 Menschen entstanden dutzende Geschäftslokale. Schuhmacher und Holzkohleverkäufer, Ärzte und Apotheker zogen ein. Kindergärten, ein Postamt und eine Bücherei eröffneten.
Von der geschäftigen Stadt in der Stadt zeugen heute nur die inzwischen obsolet gewordenen Lokale. Wo früher Greißler ihre Waren feilboten, sind jetzt heruntergezogene Rollläden zu sehen. Der Theater- und Kinosaal mit rund 600 Sitzplätzen in der Liebknechtgasse schloss in den 1960er-Jahren seine Pforten. Später befand sich dort ein Supermarkt. Heute sind die Säle meist ungenutzt.
In der ehemaligen Wäscherei in der Gomperzgasse befand sich von 1994 bis 2002 das Elektropathologische Museum. Dessen Sammlung, die 2005 ins Technische Museum überstellt wurde, geht auf den Wiener Arzt Stefan Jellinek (1871-1968) zurück. Er forschte zu Blitzeinschlägen und Stromunfällen und gilt als Pionier der Unfallprävention auf diesem Gebiet.
Nahversorger unter Druck
Auch diese Räumlichkeiten stehen jetzt fast immer leer. Grund sei, so heißt es aus dem Büro von Bezirksvorsteher Franz Prokop (SPÖ), dass Nahversorger unter Druck seien und dass Menschen lieber im Internet einkaufen würden. Der Supermarkt um die Ecke des Gemeindebaus sei zum "Haupteinkaufsort" geworden, erzählt Ula Schneider, Initiatorin von Soho in Ottakring.
Der Kulturverein, der seit 2016 auch die städtische Leerstandsagentur Kreative Räume betreibt, ist seit 1999 aktiv. Jahrelang arbeitete er im Brunnenviertel. Seit 2014 organisiert er sein gleichnamiges zweijährliches Festival, das sich um Fragen des Zusammenlebens im urbanen Raum dreht, im alten Theater- und Kinosaal des Sandleitenhofs. Auch mit weiteren Projekten – etwa kollektivem Singen oder einer Reihe, bei der Suppe ausgeschenkt und ein Film gezeigt wird – bemüht sich der Verein um die Belebung des Wohnkomplexes. Ab 25. Oktober wird im alten Kino eine Fotoausstellung zur "Anerkennung in der Arbeitswelt" gezeigt. Doch der Leerstand sei so groß, dass die Möglichkeiten des kleinen Kulturvereins allein für die Bespielung nicht ausreichten, sagt Schneider.
Konfliktpunkt Lärmbelästigung
Wichtig sei ihr zudem, bei den Bewohnern wieder mehr Wertschätzung für ihren Gemeindebau zu wecken. Und es brauche Zeit, bis die Menschen "auftauen", meint Schneider. Einer der größten Konfliktpunkte sei aktuell Lärmbelästigung. Wie im Brunnenviertel wolle man auch hier "behutsam" vorgehen und dem Grätzel Zeit lassen.
Im Bezirk jedenfalls setzt man Hoffnung in die Belebungsversuche: Die kulturelle Nutzung solle die Wohnanlage sowie das umliegende Gebiet für Geschäftstreibende wieder interessanter machen, sagt ein Sprecher Prokops.
Auch bei Wiener Wohnen, der Hausverwaltung des Gemeindebaus, zeigt man sich angetan von der Kooperation. So habe sich etwa bereits das Zoom-Kindermuseum mit einer Kreativwerkstatt eingemietet. Vor allem für die Elektropathologie und das Kino suche man Mieter, schreibt eine Sprecherin dem STANDARD. Man freue sich über Angebote. (Christa Minkin, 13.10.2017)