Oppositionschef Henrique Capriles rief zur Teilnahme an der Wahl auf. Die Regierung Venezuelas setzt auf eine geringe Beteiligung.

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DER STANDARD

Caracas/Puebla – Am Sonntag startet die Opposition in Venezuela einen neuen Anlauf, die zunehmend autoritär regierenden Sozialisten in die Schranken zu weisen. Bei den anstehenden Regionalwahlen will sie 18 Bundesstaaten erringen; bisher kontrolliert sie drei. Umfragen zufolge könnte das gelingen. Ob es praktischen Nutzen bringt, ist aber fraglich.

Für den radikalsten Teil der Opposition, der die Wahl boykottiert, ist Venezuela längst eine Diktatur, die nicht per Urnengang umwandelbar ist. Die Wahl ist für sie nur Schminke, mit der Präsident Nicolás Maduro Kritik entkräften wolle. Laut Umfrageinstitut Venebarometro wollen bei den seit einem Jahr überfälligen Wahlen rund zwei Drittel ihre Stimme abgeben, knapp 52 Prozent für die Opposition, 27 Prozent für Regierungskandidaten, der Rest ist unentschlossen. Doch das Regime hat Hürden eingebaut und setzt für den Wahlkampf sogar den immer noch populären verstorbenen Expräsidenten Hugo Chávez ein.

Für alle Fälle hat Machthaber Maduro bereits angekündigt, die neu gewählten Gouverneure hätten sich den Beschlüssen der von der Regierung kontrollierten Verfassungsgebenden Versammlung zu unterwerfen. Diese kann Gouverneure entmachten. Die Versammlung einzuberufen war Maduros Antwort auf die Massenproteste vom Frühjahr. Ihre Schaffung verstieß laut Juristen gegen die Verfassung, ebenso wie die hauptsächlich indirekte Wahl ihrer Vertreter, von der Parteien ausgeschlossen waren.

Großes Misstrauen

Laut der Firma Smartmatic, die mit der technischen Ausführung beauftragt war, kam es außerdem zu Betrug. Allerdings erreichte Maduro – unterstützt vom regierungstreuen Militär – damit sein Ziel, das oppositionelle Parlament kaltzustellen und die Proteste einzudämmen. Die Einlösung von Versprechungen – die Wirtschaftskrise zu lösen, die Korruption und die Gewaltkriminalität einzudämmen – blieben die Delegierten bisher schuldig. Selbst an der arg geschrumpften sozialistischen Basis wurde in den vergangenen Tagen Kritik laut.

Generell herrscht in Venezuela eine gedrückte Stimmung. Hoffnung auf einen Regierungswechsel, die bei Beginn der Massenproteste im April aufkeimte, ist nach 120 Toten und über 5.000 Verletzten und Inhaftierten verpufft. Viele Oppositionelle sind im Gefängnis oder im Exil; die Bevölkerung ist mit ihrem persönlichen Überlebenskampf beschäftigt; mehr als zwei Millionen Menschen haben dem Land den Rücken gekehrt. "Die Wahlen verursachen bei den meisten einen inneren Kurzschluss", so der Autor Alberto Barrera Tyszka. "Seit Jahren unternehmen wir alles, um den Machthabern demokratische Wahlen abzuringen. Gemeinsam sind wir gescheitert an ihrer Gewalt und ihren Tricks. Das schafft Frust."

Unterlegene Kandidaten auf Stimmzettel

Es sei schwierig, trotzdem abzustimmen, sagt er unter Berufung auf die von der Regierung eingebauten Stolperfallen, darunter die enge Kontrolle über die wichtigsten Oppositionsführer wie Leopoldo López und Henrique Capriles, den von der Regierung kontrollierten Wahlrat, die kurzfristige Schließung oder Verlegung von Wahllokalen, die verwirrenden Stimmzettel, auf denen auch bei den Vorwahlen unterlegene Oppositionskandidaten auftauchen.

Die Regierung setze vor allem auf eine niedrige Beteiligung, glaubt der Meinungsforscher Luis Vicente Leon. Damit werde der Vorsprung der Opposition kleiner, was die Türen für Wahlmanipulationen öffne. "Trotz aller Zweifel ist die Hoffnung auf massive Teilnahme das Einzige, was der Opposition bleibt", stimmt Tyszka mit Leon überein. Dieser Auffassung schloss sich auch die katholische Kirche an: Misstrauen und Niedergeschlagenheit dürften am Sonntag nicht siegen, so die Bischöfe in einer gemeinsamen Erklärung an die Gläubigen. (Sandra Weiss, 14.10.2017)