Straßenszene aus dem Jahr 2000, nachdem ÖVP-Obmann Schüssel und FPÖ-Chef Haider die schwarz-blaue "Wende" verkündet hatten: Die Gegendemos waren nicht angemeldet – "das war unser Markenzeichen".

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"Alle Schlüssel gegen Schüssel!", lautete Sponti-Parole im Februar 2000.

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Noch ist die Nationalratswahl nicht geschlagen, schon formiert sich für Sonntagabend die erste Demonstration gegen Schwarz-Blau: Um 18 Uhr hat "eine Privatperson" unter dem Motto "Nie wieder" Protestbedarf für rund 300 Teilnehmer vor dem Parlament angemeldet, bestätigt man bei der Polizeidirektion Wien. Eine Schlusskundgebung ist für etwa 23 Uhr hinter dem Wiener Rathaus geplant.

Auch wenn Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) unlängst das Versammlungsrecht verschärft hat: Bei derart gesetzestreuem Vorgehen und so viel Amtshilfe kann Kurt Wendt, Altlinker und Demo-Veteran gegen Schwarz-Blau, nur den Kopf schütteln. Im Café Sperl sagt der einstige Mitstreiter bei den berüchtigten Donnerstagsmärschen gegen das erste schwarz-blaue Regierungsbündnis von Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP): "Zum guten Ton" gehöre es bis heute, "Demos gegen Schwarz-Blau nicht anzumelden – genau das war ja unser Markenzeichen".

Zwei Jahre lang marschierten anfangs tausende wütende Bürger, später bloß ein paar Grüppchen jede Woche, "Widerstand!"-skandierend, durch Wien – und brachten wegen ihrer Routenabweichungen Polizei und Autofahrer mitunter zur Verzweiflung.

Wie viele Kundgebungen es insgesamt gab, hänge von der Zählweise ab, sagt Wendt: "Es waren vielleicht 120 oder 130." Es gab viele Aktionen, wie etwa auch die Speakers' Corner neben dem Kanzleramt. Entstanden sei der Protest aus "einer spontanen Empörung", befeuert auch durch die EU-Sanktionen gegen Österreich.

Mit Schlüssel gegen Schüssel

Auf den Wiener Heldenplatz brachte die "Demokratische Offensive" am 19. Februar 2000 sogar rund 300.000 Menschen – ein Protestbündnis aus Intellektuellen, vor allem aus dem Republikanischen Club. Jetzt versichert man dort, nicht hinter der Demonstration am Wahlsonntag zu stecken, denn: Die Ausgangslage sei diesmal eine andere – Schüssel habe damals sein Versprechen gebrochen, als Drittplatzierter in Opposition zu gehen, und es hätte andere Koalitionsoptionen neben der FPÖ gegeben.

Schon am Tag, an dem der schwarze Kanzler und der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider vor internationalen Kameras die Wende verkündeten, stand auch der Schriftsteller Doron Rabinovici, Mitinitiator der Demokratischen Offensive mit seinem klirrenden Schlüsselbund vor dem Parlament und rief die damals gängige Sponti-Parole: "Alle Schlüssel gegen Schüssel!"

Heute sagt er: "Wovor wir einst gewarnt haben, das ist eingetreten – nämlich, dass nach uns Rechtsextreme in ganz Europa in Regierungen, durch Wahlergebnisse legitimiert, eingezogen sind." Anders als zur Jahrtausendwende wären auch hierzulande nun wohl viele Stimmberechtigte "sogar enttäuscht", wenn ÖVP-Obmann Sebastian Kurz mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache "nicht koaliert". Dazu käme "die Öffnung der SPÖ" unter Christian Kern für die Blauen, das alte Dogma von Kanzler Franz Vranitzky, mit ihnen sei "kein Staat zu machen", gilt ja als Geschichte, für ein Regierungsbündnis wäre die Prüfung diverser Kriterien angesagt. Rabinovici dazu: "Vor lauter Taktieren hat die SPÖ damit einen Regierungseintritt der FPÖ legitimiert – und war dabei so begeistert von ihrer eigenen Schlauheit, dass sie diese Dummheit nicht bemerkt hat."

Bürger-Treffpunkt Ballhausplatz

Ob er selbst an eine neue große Mobilisierungswelle bei einem erneuten FPÖ-Regierungseintritt glaube? Darüber will der studierte Historiker noch kein Urteil abgeben, er ist sich aber sicher: "Beim Kampf um eine liberale Demokratie wird man dann zu anderen Protestformen für Bürgerrechte und Minderheiten finden."

Der 52-jährige Wendt erinnert sich, dass die erfolgreichen Proteste von einst durch bloße "SMS-Ketten" und "E-Mail-Newsletter" zustande kamen – und so habe sich der Ballhausplatz als Sammelpunkt zum "zivilgesellschaftlichen Treffpunkt entwickelt".

Ob er bei Schwarz-Blau an eine neue Bewegung glaubt? "Selbst dann ist und bleibt in Ungarn und Polen die Lage noch schlimmer", ist Wendt überzeugt. Auch sei es Anfang der 2000er-Jahre zwischen dem Wahltag im Oktober und der Regierungsbildung Anfang Februar "auch noch ruhig geblieben". Erst dann sei klar gewesen: "Es braucht ein Dagegenhalten der Bürger."

Ganz anders wäre die Lage heutzutage allerdings bei Rot-Blau: "Da wäre die Empörung enorm." Und für Wendt steht dann fest: "Ich würde wieder auf Demos gehen. Auf jeden Fall!" (Peter Mayr, Nina Weißensteiner, 14.10.2017)