Wien – Klein- und Mittelbetriebe fällen kurz vor der Nationalratswahl am Sonntag ein vernichtendes Urteil über den Standort Österreich. 24 Prozent der Unternehmen kanzeln die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen mit der Schulnote Fünf ab. Ebenso viele haben lediglich ein "genügend" für sie übrig. Knapp 70 Prozent sehen in den vergangenen drei Jahren keinerlei Verbesserungen. Und mehr als die Hälfte geht nicht davon aus, dass die Attraktivität des Standorts in den kommenden fünf Jahren steigt.

Das ist die Bilanz einer aktuellen Umfrage, die der Gläubigerschützer Creditreform für den STANDARD erstellt hat. Das harsche Urteil der Unternehmer habe auch ihn überrascht, sagt Gerhard Weinhofer, Chef der Creditreform. Denn so schlecht sei die wirtschaftliche Lage objektiv betrachtet seit einem halben Jahr nicht: "Die Zahl der Neugründungen steigt, Insolvenzen gehen um sechs Prozent zurück, auch die Arbeitslosigkeit sinkt."

Grafik: Standard

Wahlkampf schlägt aufs Gemüt

Weinhofer schließt nicht aus, dass auch der schmutzig geführte Wahlkampf den Klein- und Mittelständlern aufs Gemüt schlug. In dutzenden Duellen der Spitzenkandidaten sei ja mehr über Facebook und Dirty Campaigning debattiert worden als über wichtige wirtschaftspolitische Fragen.

"Es gab in den vergangenen Jahren viele kleine Belastungen, von der Registrierkasse bis zur Allergenverordnung, durch die sich atmosphärisch einiges zusammengebraut hat", sagt Helmut Hofer, Experte des Instituts für Höhere Studien. Aktuell würden sich viele Unternehmen ob der Konjunktur zwar zuversichtlich geben – in erster Linie profitierten davon jedoch vor allem exportorientierte Konzerne.

Etliche kleinere Unternehmen erinnerten sich wohl auch noch gut an den vielzitierten Satz des Wirtschaftskammer-Präsidenten Christoph Leitl "Österreich ist abgesandelt", gibt Hofer zu bedenken. Tatsache sei zudem, dass die öffentlichen Mittel knapp seien und für Betriebe bei der jüngsten Steuerreform wenig herausschaute. Und selbst wenn die geplante Angleichung von Arbeitern und Angestellten in Summe kostenneutral sei, manch einer werde damit schlechtergestellt.

Meiste Kritik kommt aus Niederösterreich und Tirol

Die Creditreform befragte quer durch die Branchen 500 Betriebe mit jeweils bis zu 250 Mitarbeitern. Dienstleister und Baugewerbe schätzen Rahmenbedingungen wie Bürokratie, Steuern und Fachkräfteausbildung als besonders miserabel ein. Die meiste Kritik kommt aus Niederösterreich und Tirol. Zu den Noten Eins und Zwei rang sich unterm Strich nicht einmal jeder zehnte Unternehmer durch.

Allein ein Fünftel der Befragten übt sich in der Hoffnung, dass sich im nächsten halben Jahrzehnt etwas verbessert. In Handel und verarbeitendem Gewerbe tut dies zumindest fast jeder Vierte.

Wenn sich die Politik nur nicht dauernd etwas Neues einfallen ließe, wären die Unternehmer schon zufrieden, glaubt manch einer.
Foto: APA/Ralf Hirschberger

Worin sehen Österreichs Betriebe die größten Hürden? Die überwältigende Mehrheit, nämlich 87 Prozent, machen sie in der Bürokratie aus. Im Bau sind es sogar 94 Prozent. Mehr als drei Viertel der Unternehmen fühlen sich durch hohe Steuern gebremst – im Handel gar 82 Prozent. Mit der Qualifikation der Mitarbeiter hadern 60 Prozent der Befragten. Themen wie Energiekosten und Finanzierung spielen eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Noch überschaubarer sind der Studie zufolge Probleme mit Automatisierung und Währungsschwankungen.

Betriebsanlagengenehmigungen

"Auch wir hören die Klagen", sagt Walter Bornett, Chef der KMU-Forschung Austria. Die Mehrheit der Gewerbetreibenden in Niederösterreich etwa verzweifle an der Bürokratie. Mehr Erleichterungen hält er unter anderem bei den Betriebsanlagengenehmigungen für vonnöten: Viele Branchen würden hier geradezu gequält.

Deregulierung und Bürokratieabbau: Die meisten Parteien seien sich darüber ja im Großen und Ganzen einig, ergänzt Hofer, "nur umgesetzt wurde davon bisher nichts". Denn was für die einen Bürokratie, sei für andere ein wesentlicher Schutzmechanismus.

Am liebsten sei den meisten Betrieben, wenn man sie einfach nur in Ruhe lasse, resümiert Bornett. "Für viele wäre schon sehr viel erreicht, würde die Politik sie nicht andauernd sekkieren und ständig etwas Neues für sie erfinden." (Verena Kainrath, 14.10.2017)