Simulierte Mandatsanteile von ÖVP und FPÖ; in rot die Zweidrittelmehrheitsgrenze.

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Am Sonntag wird in Österreich gewählt, und laut Umfragen liegt die ÖVP klar voran; eine schwarz-blaue Regierung scheint wahrscheinlich. Aber besteht die Chance einer schwarz-blauen Zweidrittelmehrheit – also einer Parlamentsmehrheit, die Verfassungsgesetze verabschieden kann?

Simulationen sind eine Methode, potenzielle Wahlausgänge zu evaluieren (siehe zum Beispiel FiveThirtyEight); ausgehend von den existierenden Umfragen kann man eine Verteilung von möglichen Wahlergebnissen errechnen.

10,1-prozentige Chance

Diese Simulation basiert auf den fünf Umfragen, die durchgeführt wurden, seitdem SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler am 30. September zurückgetreten ist, obwohl sich die Kontroverse um die Dirty-Campaigning-Facebookgruppen eigentlich erstaunlich wenig auf die Umfragewerte auszuwirken scheint.

Diese fünf Umfragen wurden 100.000 Mal gesampelt, das heißt per Zufallsgenerator wurden 100.000 Wahlergebnisse simuliert (siehe Methodikdetails). Daran ist Folgendes zu erkennen: Erstens ist es fast sicher, dass sich eine schwarz-blaue Parlamentsmehrheit ausgeht; aus 10.000 Simulationen sind nur zwei unter der 50-Prozent-Grenze. Und zweitens besteht eine nicht unerhebliche Chance, dass ÖVP und FPÖ zusammen über eine Zweidrittelmehrheit verfügen – genauer gesagt, besteht nach diesen Simulationen eine 10,1-prozentige Chance, dass eine zukünftige schwarz-blaue Regierung die Verfassung ändern könnte.

Was bedeutet das? Während eine 10,1-prozentige Chance auf den ersten Blick nicht außergewöhnlich hoch erscheint, ist dieses Ergebnis nicht auszuschließen. Wenn man sich vorstellt, die Wahl zehnmal zu wiederholen, würde man erwarten, dass Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache in einem Fall – aus zehn – die Verfassung ändern könnten. Im Fußball zum Beispiel ist zehn Prozent circa das Risiko, ein Spiel zu verlieren, bei dem man nach 55 Minuten 1:0 führt. Nochmal anders gesagt – die Chance einer schwarz-blauen Zweidrittelmehrheit ist circa so groß wie Donald Trumps Chance, die US-Wahl 2016 ohne Stimmenmehrheit zu gewinnen, was auch eintrat.

Liberal-demokratisches Fundament

Koalitionen mit Zweidrittelmehrheiten hat es in Österreich bereits gegeben, zuletzt nach der Nationalratswahl 1995. Allerdings waren das Große Koalitionen, in denen beide Parteien systemerhaltende Präferenzen hatten; es verstand sich von selbst, dass sie ihre Verfassungsmehrheit nicht nützen würden, um das liberal-demokratische Fundament Österreichs zu untergraben. Eine Zweidrittelmehrheit für eine systemkritische Koalition – in der einer der Partner offen die rechtsstaatlichen Institutionen des Landes in Frage stellt – hat es in der Zweiten Republik noch nie gegeben; es ist unklar, welche Auswirkungen solch eine Regierung auf die österreichische Verfassung haben könnte. In Ungarn und in Polen haben Rechtspopulisten mittels Verfassungsmehrheiten bereits angefangen, wichtige liberal-demokratische Prinzipien – wie die Unabhängigkeit der Justiz – zu untergraben.

Skepsis bei Umfragen in Österreich

Es sollte darauf hingewiesen werden, dass die Umfragen in Österreich wahrscheinlich eher skeptisch gesehen werden sollten; es wurden wenige durchgeführt, und es ist durchaus möglich, dass Meinungsforschungsinstitute ihre Umfragewerte aneinander anpassen (siehe hier und hier). Diese Skepsis bedeutet aber auch, dass die Unsicherheit noch höher ist als in dieser Analyse angenommen; das echte Risiko könnte weniger als 10,1 Prozent betragen, allerdings auch um einiges mehr.

Methodikdetails

Um die Unsicherheit der Umfragen miteinzubeziehen, wurde für jede Umfrage 10.000 Mal aus einer Normalverteilung eine neues, simuliertes Ergebnis generiert, um eine theoretische Verteilung von Umfragendurchschnitten zu erzielen (ein parametrischer Bootstrap). Da die Umfragen potenziell Herding aufweisen, sich also mehr ähneln als statistisch wahrscheinlich, wurde in diese Simulation ein bisschen mehr Unsicherheit eingebaut; statt einer Standardabweichung von 1,5 Prozent (entspricht einer Schwankungsbreite von ±3 Prozent) inkorporiert diese eine Standardabweichung von 2,5 Prozent (Schwankungsbreite von ±5 Prozent).

Diese A-posteriori-Wahrscheinlichkeitsverteilung von Umfragenmittelwerten wurde dann mittels Dirichlet Sampling 100.000 Mal gesamplet, um eine Verteilung an Wahlergebnissen zu erstellen. Um an Mandatsverteilungen zu kommen, wurden Parteien unter der Vier-Prozent-Hürde weggelassen und ihre Stimmen an die anderen Parteien verteilt. Danach wurde das D’Hondt-Verfahren angewendet, um die Sitzverteilung zu errechnen.

Wenn Kleinparteien scheitern

Die Vier-Prozent-Hürde ist in diesem Fall besonders wichtig, da die schwarz-blaue Koalition mehr Mandate bekommt, wenn Kleinparteien an der Hürde scheitern; gäbe es gar keine Hürde im Parlament, bestünde nur eine 1,5-prozentige Chance einer Zweidrittelmehrheit für Schwarz-Blau. Da es diesmal besonders viele Kleinparteien gibt – alle mit einem gewissen Risiko, an der Hürde zu scheitern – besteht diesmal eine besonders hohe Chance, dass die Großparteien an der Umverteilung profitieren.

Anhand der Simulation können wir sehen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Zweidrittelmehrheit steigt, wenn Kleinparteien den Einzug ins Parlament verpassen. Wenn eine von den dreien – Grüne, Neos, Liste Pilz – den Einzug verpasst, ist die Chance einer schwarz-blauen Zweidrittelmehrheit 10,4 Prozent; wenn gleich zwei unter vier Prozent bleiben, steigt die Chance der Zweidrittelmehrheit auf 49,8 Prozent; und wenn alle drei den Einzug verpassen, hätte Schwarz-Blau zu 89,9-prozentiger Wahrscheinlichkeit eine Verfassungsmehrheit. Schaffen alle drei Kleinparteien allerdings den Einzug ins Parlament, sinkt die Wahrscheinlichkeit auf 0,5 Prozent. (Laura Bronner, 14.10.2017)