Ein Kämpfer der irakischen Armee vor einer Peschmerga-Stellung in Kirkuk.

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Irakische Soldaten zeigen das Victory-Zeichen.

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Bagdad/Kairo – Die multiethnische Stadt Kirkuk gilt spätestens seit dem Sturz der Diktatur Saddam Husseins im Jahr 2003 als Pulverfass. Nach dem kurdischen Unabhängigkeitsvotum vom 25. September ist nun erstmals ein offener Machtkampf zwischen der Zentralregierung und jener der Region Kurdistan in Erbil ausgebrochen, die das ölreiche Kirkuk kontrolliert, seitdem die irakische Armee sich 2014 vor dem herannahenden "Islamischen Staat" (IS) zurückgezogen hatte.

In rascher Folge haben am Montag irakische Armeeeinheiten und verbündete schiitische Milizen – mit Unterstützung des Iran – strategisch wichtige Einrichtungen wie den Flughafen, die Militärbasis K1 und ein Ölfeld unter ihre Kontrolle gebracht. Die kurdischen Peschmergas haben sich aus diesen Regionen zurückgezogen. Darüber, wer das Stadtzentrum kontrollierte, gab es Montagabend unterschiedliche Angaben. Die irakische Regierung teilte mit, man kontrolliere die ganze Stadt.

In der Nacht war es zu Artilleriegefechten gekommen, mindestens zehn Kurden wurden getötet. Offensichtlich gibt es Unstimmigkeiten über die Strategie unter den verschiedenen Peschmerga-Einheiten, die den beiden großen kurdischen Parteien unterstehen. Ein Teil jener, die zu Präsident Massud Barzani in Opposition stehen, scheint die Politik von Bagdad mitzutragen. Ein Berater Barzanis sprach über Twitter von "internen Problemen und zweideutigen Absprachen". Am Sonntagabend hatten sich die rivalisierenden kurdischen Führer in Süleimaniya getroffen, dabei waren die Divergenzen offenkundig. Ein Vorschlag, das Ergebnis des Unabhängigkeitsreferendums vom 25. September einzufrieren, fand keine Zustimmung.

Viele auf der Flucht

Tausende Einwohner der multiethnischen Stadt haben am Montag Kirkuk verlassen und sich ins Innere der Kurdengebiete bewegt. Die Regierung in Bagdad, die zugesichert hat, dass keine schiitischen Milizen in die Stadt vordringen, will nach eigener Lesart mit der Militäroperation die Sicherheit in Kirkuk und den verfassungsmäßigen Zustand wiederherstellen. Gouverneur Necmettin Karim, der sich der Absetzung durch Bagdad widersetzt, hat die Einwohner aufgerufen, sich zu verteidigen. Iraks Premier Haider al-Abadi hatte einen Militäreinsatz zuletzt ausgeschlossen. Gegen den IS hatten seine Truppen und die kurdischen Peschmergas über Jahre Seite an Seite gekämpft.

Die Operation gegen Einrichtungen in Kirkuk – Ziel sind vor allem die reichen Ölvorkommen – reiht sich in eine Serie von Maßnahmen gegen Erbil und Kurdenpräsident Barzani, die Bagdad seit dem Referendum eingeleitet hat, das mit über 92 Prozent für die Unabhängigkeit endete. In den Ölfeldern von Kirkuk werden täglich 600.000 Fass gefördert, die von der kurdischen Regierung über eine Pipeline durch die Türkei exportiert werden. Bis Sonntag floss das Öl ungehindert. Kirkuk gehört zu den sogenannten "umstrittenen Gebieten" und nicht zum Territorium, das die Regierung in Bagdad der Autonomieregion zuteilt.

Die irakische Verfassung von 2005 hat in Artikel 140 ein Verfahren festgelegt, wie die Zukunft dieser Gebiete zu regeln ist. Umgesetzt wurde dies aber nie. Auch in Kirkuk wurde das Unabhängigkeitsreferendum abgehalten, die Resultate aus der Stadt wurden aber nicht separat veröffentlicht.

Der Vorstoß der irakischen Armee hat in der Nachbarschaft die Sorge ausgelöst, dass die Eskalation zu einem weiteren Bürgerkrieg führen könnte. Die internationale Koalition gegen den IS und fast wortgleich die Regierung in Kairo haben Bagdad und die kurdische Regierung aufgefordert, jede Eskalation zu vermeiden und einen Dialog aufzunehmen, um die Spannungen zu entschärfen. (Astrid Frefel, 16.10.2017)