Noch hält sich ÖVP-Chef Sebastian Kurz bedeckt hinsichtlich seiner Koalitionspräferenzen. Er verrät nur so viel: Geredet wird mit allen Parteien.

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FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache will am Dienstag mit seinen Parteifreunden über Koalitionsoptionen beraten.

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Wien – Am Sonntag dominierte Türkis, am Montag machte die FPÖ blau. So ist das Tradition bei den Freiheitlichen. Mit öffentlichen Statements hält man sich daher am Tag nach der Wahl zurück, verwiesen wird nur auf die Parteigremien am Dienstag. Am Vormittag wird da das blaue Präsidium, am Nachmittag der gesamte Bundesparteivorstand in Wien zusammentreffen. Thema: Wahlergebnisse, mögliche Koalitionen.

"Wir warten jetzt einmal zu, was die anderen tun", sagt ein Blauer im Gespräch mit dem STANDARD. In der FPÖ ist die Freude aber jedenfalls schon groß, dass sich auch die SPÖ zu Gesprächen bereit zeigt: "Es ist zwar im ersten Moment ungut, dass wir wohl Dritter sind, es stärkt aber eigentlich unsere Verhandlungsposition", heißt es aus FPÖ-Kreisen. Denn: "Wäre Schwarz-Blau von vornherein die einzige Option, müssten wir ganz anders in die Verhandlungen reingehen", sagt der Freiheitliche.

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Mehrere Strömungen

Aber wollen die Blauen, die bisher aus der Opposition die größeren Erfolge feierten, überhaupt in eine Regierung? Hier gibt es unterschiedliche Strömungen. Dem Dritten Nationalratspräsidenten Norbert Hofer wird nachgesagt, klar für diese Option zu sein. Vergleicht man die Wahlprogramme von ÖVP und FPÖ, sind auch keine großen inhaltlichen Schwierigkeiten zu erwarten. Bei den Themen Wirtschaft und Zuwanderung gibt es große Überschneidungen. Längst versichert auch die FPÖ, grundsätzlich proeuropäisch zu sein.

Die von den Freiheitlichen geforderte Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern wurde von Parteichef Heinz-Christian Strache im Wahlkampf schon etwas abgeschwächt. Er sprach von einer "Maximalforderung", die aber keine Koalitionsbedingung sei. Der Mindestlohn von 1.700 Euro steht zwar im FPÖ-Wirtschaftsprogramm, ins FPÖ-Wahlprogramm wurden dann aber nur 1.500 Euro übernommen. Begründet wurde das von Hofer ganz offen damit, es würde bei Koalitionsverhandlungen nicht gelingen, 1.700 Euro umzusetzen.

"Mit blauer Zunge"

"Ich gehe davon aus, dass die Gespräche mit der ÖVP positiv verlaufen werden", sagt daher ein freiheitlicher Funktionär. Nachsatz: "Kurz spricht ja ohnehin mit blauer Zunge." Es gibt aber auch noch immer FPÖler, die Vorteile in der Opposition sehen. Dazu sollen einige Landesgruppen zählen, die nächstes Jahr Landtagswahlen zu schlagen haben. Die Kärntner rechnen sich etwa Chancen auf Platz eins aus. Auch in Niederösterreich und Salzburg wird überlegt, ob sich eine Beteiligung an einer Bundesregierung nicht nachteilig auf das Landesergebnis auswirken könnte.

Denn klar ist, wie ein Funktionär zugibt: "Vieles, was man als Opposition versprechen kann, könnte man in der Regierung nicht umsetzen. Stichwort: Nullzuwanderung." Zusatz: "Das gilt natürlich auch für Sebastian Kurz. Die Überlegung ist daher: Wenn er sich in einer schwarz-roten Regierung aufreibt, ist er rasch entzaubert. Das könnten wir bei der nächsten Wahl ausnützen."

Preis hochtreiben

Erzählt werden solche strategischen Überlegungen natürlich mit einem bestimmten Kalkül: Der Preis bei Verhandlungen soll hochgetrieben werden. ÖVP-Chef Kurz ließ sich nämlich bisher überhaupt nicht in die Karten blicken. Am Montag verwies ÖVP-Vizeklubchef August Wöginger auf Ö1 lediglich darauf, man werde nach dem Regierungsbildungsauftrag durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen entsprechend "dem Kräfteverhältnis" bei der Wahl verhandeln, also zuerst mit der SPÖ, dann mit der FPÖ.

Ventiliert wurde von Kurz aber auch immer wieder, er könne sich eine Experten-, Minderheits- oder Konzentrationsregierung aller Parteien vorstellen. Im Parlament müsste diese freilich von FPÖ oder SPÖ gestützt werden, was als unwahrscheinlich gilt. "Wir würden das sicher nie machen", sagt ein Blauer unumwunden.

Schüssel-Trauma

In der ÖVP, deren Parteivorstand am Dienstagabend tagt, wartet nun alles darauf, wie der mit allen Freiheiten ausgestattete Kurz die Verhandlungen anlegen wird. Die Türkisen wissen: Viele FPÖler machen Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel noch immer für das blaue Debakel bei der Wahl 2002 verantwortlich. Präferenzen dieser Freiheitlichen für Rot-Blau werden allerdings seitens der Volkspartei nicht wirklich ernst genommen, auch wenn Spitzenpolitiker wie der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter weiter davor warnen.

Die ÖVPler wissen aber auch: Eine Regierung mit den Blauen würde die SPÖ vor eine Zerreißprobe stellen. Der noch amtierende Wiener Bürgermeister Michael Häupl, der am Sonntag auf einen Stimmenzuwachs in Wien verweisen konnte, mobilisiert bereits massiv gegen eine Koalition mit den Freiheitlichen.

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Schwierig für VdB

Schwierig ist das Koalitionskapitel auch für Van der Bellen. Er hat im Vorjahr im Präsidentschaftswahlkampf zunächst versprochen, im Falle eines Sieges Strache nicht anzugeloben. Zuletzt schloss er das aber nicht mehr kategorisch aus, verwies immer nur darauf, es brauche eine klar proeuropäische Regierung.

Vorerst muss aber ohnehin erst das endgültige Wahlergebnis abgewartet werden. Am Montag wurde begonnen, die Briefwahlstimmen auszuzählen. Jene 50.000 bis 100.000 Wahlkarten, die am Sonntag persönlich in einem fremden Wahlsprengel abgegeben wurden, werden aber erst am Donnerstag ausgezählt. Die Hochrechner von Sora gingen am Montagnachmittag weiterhin davon aus, dass die SPÖ Platz zwei vor der FPÖ erreicht hat und die Grünen nicht im Nationalrat sind. Aber fix weiß man das erst am Donnerstag. (Katharina Mittelstaedt, Günther Oswald, 16.10.2017)