"Leicht wird es nicht": Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou ist für eine "grundlegende Neuorientierung" ihrer Partei.

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STANDARD: Ist Peter Pilz der bessere Grüne?

Maria Vassilakou: Ich gratuliere Pilz zu seinem Ergebnis. Es ist richtig, dass die Grünen auch einige Stimmen an ihn verloren haben. Aber der Großteil ging an die SPÖ. Eines vorweg: Die Botschaft der Wähler ist angekommen. Sie schätzen keine zerstrittene Gruppe, kein gegenseitiges Absägen, und sie wollten auch nicht, dass aus den Grünen zwei Listen werden. Das haben sie überdeutlich zum Ausdruck gebracht. Wir müssen jetzt daraus die richtigen Schlüsse ziehen.

STANDARD: Warum haben die Grünen diesem Abwandern zur SPÖ nichts entgegensetzen können?

Vassilakou: Das ist ja kein neues Problem für uns. Wir beobachten dies schon seit etlichen Wahlen, aber noch nie in diesem dramatischen Ausmaß. Ich warne jedoch vor monokausalen Erklärungen. Es gibt sicher einige Fehler, die in den vergangenen Jahren passiert sind. Schnellschüsse bringen sicher nichts.

STANDARD: Welche Fehler?

Vassilakou: An einem Tag wie heute haben die meisten von uns mehr Fragen als Antworten parat. Es gilt einmal zuzuhören – insbesondere den Wählern und Wählerinnen, die uns bei dieser Wahl nicht gewählt haben. Ich will an dieser Stelle sagen: Man kann mich ansprechen, mir eine Mail schicken. Mich interessieren die Gründe dafür.

STANDARD: In Wien-Währing ging es rund 15 Prozent runter, in Wien-Neubau waren es sogar 21. Als Wiener Grünen-Chefin müssen da ja auch bei Ihnen die Alarmglocken läuten.

Vassilakou: Die Grünen haben von Nord bis Süd und von Ost bis West dramatisch verloren. Besonders schlecht waren die Ergebnisse in den Städten. Wien befindet sich da im Mittelfeld. Wenn man gemeinsam im Elend steckt, ist es aber doch müßig, darüber zu reden, wer besser oder schlechter aussieht. Jetzt zählen Zusammenhalt, Besonnenheit und die Bereitschaft, sich zu verändern.

STANDARD: Der grüne Bezirksvorsteher von Wien-Neubau, Thomas Blimlinger, fordert den Rücktritt des Bundesvorstands. Braucht es hier eine Erneuerung?

Vassilakou: Bei aller Wertschätzung: Das teile ich gar nicht. Das ist ein bedauerlicher Schnellschuss von der Art, wie wir ihn jetzt nicht brauchen können. Es ist archaisch und führt zu nichts, wenn am Tag nach einem Wahldesaster jemand auf den Dorfplatz gezerrt wird, um ihn zu köpfen. Ist dann alles gelöst, oder wie? Die Wähler haben uns vernichtet. Es braucht eine grundlegende Neuorientierung.

STANDARD: Die könnte ja auch personell sein.

Vassilakou: Zunächst sollten wir uns anschauen, was anders und besser gemacht gehört – und erst danach, wer das macht. Wir sind in Wien die größte Landesorganisation. Wir müssen uns wappnen. Kommt eine schwarz-blaue Regierung, steht für Wien sehr viel auf dem Spiel. Beide Parteien haben während des Wahlkampfs keine Zweifel aufkommen lassen, welche Angriffe Wien erwartet. Sie wollen die Hauptstadt finanziell aushungern. Es geht dabei um den Ausverkauf des sozialen Wohnbaus, um den kostenlosen Kindergarten ...

STANDARD: ... jetzt sind Sie schon ganz im Wahlkampfmodus.

Vassilakou: Jawohl, das bin ich! Der Wiener Wahlkampf hat am Sonntag begonnen, ob man es will oder nicht.

STANDARD: Gegen den Klimawandel zu kämpfen reicht anscheinend nicht. Wie soll der Kurs der Partei geändert werden?

Vassilakou: Die Verlockung ist sehr groß, gute Vorschläge öffentlich zu unterbreiten. Dass der Kampf gegen den Klimawandel alleine nicht ausreicht, ist mehr als offenkundig. Es muss sehr viel grundlegend anders gemacht werden.

STANDARD: Millionen an Förderungen sind weg, die Landesgruppen müssen wohl mithelfen, die Schulden der Bundespartei zu bezahlen. Wissen Sie schon, wie viel Wien beisteuert, beisteuern muss?

Vassilakou: Das ist eine seit Jahren existierende Vereinbarung. In der Stunde kenne ich noch keine Zahlen. Ich bin mir aber sicher, dass wir es bewältigen können.

STANDARD: Ist das das Ende der Grünen?

Vassilakou: Wir sind in Gemeinden und Städten verankert, sitzen in sechs Landesregierungen. Wir werden weiterkämpfen. Aber klar ist auch: Die Situation ist dramatisch. Leicht wird es nicht sein. (Peter Mayr, 16.10.2017)