Rubens' "Venus Frigida" von 1614 aus dem Koninklijk Museum voor Schone Kunsten in Amsterdam reflektiert eine antike Statue.

Foto: Hugo Maertens/www.lukasweb.de

Sie nimmt die Haltung der "Kauernden Venus" (1. Jh. n. Chr.) ein.

Foto: anne katrin feßler

Wien – Mit Vorurteilen aufzuräumen und sie durch neue Blickwinkel zu ersetzen ist stets ambitioniert. Ein solches Unterfangen wagt nun das Kunsthistorische Museum Wien (KHM) am Beispiel von Peter Paul Rubens (1577–1640). "Der fieseste, der vulgärste, der lauteste Maler, der jemals diese Welt betreten hat", beschimpfte etwa der Präraffaelit Thomas Eakins den Flamen. Die Vehemenz und Distanzlosigkeit, mit der Rubens kurvige Weiblichkeit inszenierte, hätte der eher ätherische Schönheitsideale Verfolgende wohl gerne "in der Lautstärke gedrosselt", erzählt der Direktor der Gemäldegalerie, Stefan Weppelmann.

Und auch Weppelmann, der die Ausstellung Rubens. Kraft der Verwandlung (eine Kooperation mit dem Frankfurter Städel-Museum) gemeinsam mit Gerlinde Gruber und Jochen Sander kuratierte, kennt den Moment, wo einem Rubens Barock "zu viel" wird, ja "wo man vor lauter Fleisch nicht mehr weiß, wohin man schauen soll". Jetzt hilft er aber dabei, in Rubens nicht mehr nur den einschlägigen "Maler der Körper zu sehen, sondern jemanden, der auch zur Poesie fähig war". Rubens war mehr. Er war ein vielsprachiger und von unbändiger Neugierde getragener Gelehrter, der als Berater an vielen Höfen tätig war.

Am besten illustriert dessen lyrische Qualität "die dramatischste aller Rubenslandschaften", die Gewitterlandschaft mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis. Das Bild, das einen Blick in Rubens' Innerstes ermöglicht, bildet jedoch den Schlusspunkt der 120 Werke umfassenden Schau. Tatsächlich strahlt das frisch restaurierte Gemälde aus dem reichen Bestand des Hauses (40 Gemälde) in Details so, "als ob jemand, das Licht angeknipst hätte". Aber reicht das, um bereits sehmüde Augen zu erfrischen?

Aus Statik wird Dynamik

"Die Natur als Hintergrundrauschen" (Weppelmann), verdichtet zu großer Vision: In Flandern könne man bei Regen Zeuge solcher Stimmungen werden: Wolkenbrüche, die Sonnenstrahlen wie Lichtsäulen materialisieren. Optische Phänomene faszinierten Rubens, der "das, was ihm die Natur flüsterte", stets in der Theorie vertiefte. Nach der Lektüre einer Abhandlung von Aguilonius zum Schatten notierte er: "Die Bäume widerscheinen im Wasser dunkler als die Bäume selbst."

In der Landschaft sei er ein nordischer Maler, aber mit einem Rest an "Traumfähigkeit". Das heißt, Rubensräume können bis aufs Äußerste komprimiert, ja regelrecht um die Figuren herumgefaltet sein oder auch viele statt nur einen Fluchtpunkt besitzen. Surreal nennt Weppelmann das und sagt auch, dass es wichtig sei, so eine Ausstellung vom Narrativ nicht zu überladen. Dennoch sind sechs Säle intensivster Sehschule recht engagiert geraten, gilt es doch Rubens kreative Prozesse nachzuvollziehen, zu erkennen, wie er Einflüsse der Naturwissenschaft und kunstgeschichtliche Vorbilder verwandelt hat. 48 Gemälde und 33 Zeichnung des Barockmalers (u. a. aus der St. Petersburger Eremitage, dem Madrider Prado oder der National Gallery in Washington) sowie Vergleichswerke von Meistern wie Tintoretto oder Tizian helfen dabei.

Phänomenal ist, wie er aus Caravaggios Grablegung (1604) eine dynamische Erzählung macht: Das drohende Herabfallen des Leichnams wird mittels Schienbein und einem Biss ins Grabtuch verhindert.

"Gegenwärtig" und "abstrakt"

"Gegenwärtig" ist auch so ein Prädikat, das Rubens nun in Wien erhält – wegen seiner Fähigkeit zu polarisieren und ökonomischer "Factory"-Strategien. Und auch "abstrakt" sei er, etwa im Übersetzen der Natur in große Farbflächen. Rubens hat "seine Figuren wie Skulpturen aufgetragen, in Farben von dreidimensionalem Gewicht". Nicht nur die Schlafende Angelica sieht wie "Knetmasse" aus. Es stimmt: "Rubens hat seine Körper mehr gefühlt als gesehen." Ein Rundgang mit Kurator ist allerdings angeraten. (Anne Katrin Feßler, 17.10.2017)