Oft sind es kleine, scheinbar irrationale Unterschiede, die den Menschen bei seiner Wahl beeinflussen. Ob die Reihenfolge auf dem Stimmzettel eine Rolle spielt?

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Wien – Zählt der erste Eindruck mehr, wenn wir ein neues Auto aussuchen? Verdienen intelligente Menschen besser, sind aber egoistischer? Und macht Geld glücklich? Mit solchen Fragen beschäftigt sich der renommierte Wirtschaftswissenschafter Aldo Rustichini von der University of Minnesota. Im Gespräch mit dem STANDARD erklärt er, wie Ökonomen mit Gehirnscans und Genanalysen, die Natur des Menschen modellierbar machen – ein Streben mit langer Tradition.

Vielen ist er ein Begriff: der kalkulierende "Homo oeconomicus", der vor jeder Entscheidung rational Kosten und Nutzen abwägt. Mit diesem einfachen Modell menschlichen Verhaltens startete die Wirtschaftswissenschaft im 19. Jahrhundert. Noch heute kursiert Kritik an der Ökonomie, für ein vermeintlich verwerfliches, egoistisches Menschenbild, das die Empfehlungen der Ökonomen hin zu einer brutalen Logik der Märkte verschiebe.

Von Machiavelli lernen

Von derlei moralischen Vorwürfen hält Rustichini wenig. "Wir sollten Ökonomie nicht zu einer Moralwissenschaft machen." Wenn der Wirtschaftswissenschaft im gesellschaftlichen Diskurs viel Gewicht beigemessen werde, sei es umso wichtiger, korrekte Erkenntnisse über den Menschen zu gewinnen. "Durch meine Herkunft (als Italiener, Anm.) stehe ich auch in der Tradition Machiavellis."

So wie andere Denker der Renaissance, musste er ein möglichst ehrliches Menschenbild entwickeln, dass dem religiösen Dogma widersprach. Solche Ideen, die in der Aufklärung verfeinert wurden, wirkten befreiend. "Ich glaube, die Ökonomie ist da ähnlich."

Aldo Rustichini zu Gast beim Vienna Behavioral Economics Network (VBEN).
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Die zwangsläufig simplen Annahmen der Ökonomen über menschliches Verhalten gerieten schon vor langer Zeit ins Wanken, erklärt Rustichini. Die Verhaltensökonomie verfeinert seit Jahrzehnten das Modell vom Menschen, im Bestreben den Homo oeconomicus zu überwinden. Damit sind sie aber mit Experimenten alleine auch an Grenzen gestoßen.

Erfolgsgene gesucht

Rustichini begann daher ab dem Jahr 2000 Erkenntnisse der Biologen in seine Forschung einfließen zu lassen. Etwa in der Frage, was soziale Mobilität beeinflusst. Mittlerweile erkennen Forscher in den Genen gewisse persönliche Eigenschaften. Für zweieiige Zwillinge haben Rustichini und sein Team aus dem Erbgut abgelesen, welche Einstellung sie gegenüber schulischem Erfolg haben.

Allein mit dieser genetischen Information konnten die Ökonomen zu einem wesentlichen Teil vorhersagen, wie wirtschaftlich erfolgreich die Probanden sein würden. Zwillinge haben sehr ähnliche äußere Lebensumstände, die somit aus den Resultaten herausgerechnet werden. "Wir beginnen den Einfluss der Natur von der Kultur zu trennen", ist Rustichini überzeugt.

Intelligente Menschen kooperieren

Auf persönlicher Ebene sei Intelligenz der verlässlichste Indikator für wirtschaftlichen Erfolg. Mit höherer Intelligenz – inklusive Rechenkompetenz – werden Menschen jedoch nicht dem kalkulierenden egoistischen Homo oeconomicus immer ähnlicher, betont Rustichini.

Im Gegenteil, zwei Eigenschaften prägen kooperationsbereite Personen. Einerseits, wie vertrauensvoll sie sind, und andererseits ihre Intelligenz. Letztere bestimmt vor allem, wer über längere Zeit mit seinen Mitmenschen kooperiert.

Blick ins Gehrin

Doch um unser Verhalten wirklich zu verstehen, wollte der Ökonom direkt in unsere Köpfe schauen. Rustichini hat daher die Gehirne von Studienteilnehmern gescannt, während sie einfache Entscheidungen treffen.

Eine Gruppe wurde etwa gefragt, ob sie zehn Euro sofort haben wollen oder 20 Euro in einer Woche. Dabei ging es gar nicht um die Frage, ob wir uns lieber sofort belohnen oder genug Selbstdisziplin aufbringen, um auf einen größeren Preis zu warten. Eigentlich wurde die Reihenfolge der Optionen verglichen.

Eine andere Gruppe stand nämlich vor exakt derselben Entscheidung, nur war die Frage umgedreht: 20 Euro in einer Woche oder zehn Euro sofort? Das Ergebnis überraschte Rustichini. "Ich hatte erwartet, dass der erste Eindruck zählt." Tatsächlich wurde in beiden Gruppen jeweils die zweite Option überproportional oft gewählt.

Eine Frage der Erinnerung

Dank der aufgezeichneten Hirnströme wissen die Forscher nun auch, warum. Vor eine Wahl gestellt, speichert unser Hirn die erste Option wie eine Erinnerung ab. Die zweite Option wird dann mit dieser Erinnerung verglichen.

Das Problem: Die Bewertung der Erinnerung nimmt mit der Zeit ab, genauso wie Informationen in unserem Kurzzeitgedächtnis degradieren. Je länger der Abstand zwischen den Optionen, desto eher entscheiden wir uns für die zuletzt gesehene.

Geld macht glücklich

Im Alltag ist dieser Effekt oft markant. Wer eine Wohnung, eine Schule für seine Kinder oder ein neues Auto sucht, verbringt schließlich viel Zeit, zwischen Besichtigungen oder Testfahrten. Die getrübte Erinnerung verdirbt die Beweretung. Das erklärt, warum ein Roboter oft anders entscheiden würde.

Je präziser wir die biologischen Prozesse verstehen, desto besser lässt sich ein simples Modell menschlichen Verhaltens für die Ökonomie entwickeln.

Das geht bis zu großen Fragen, etwa: "Macht Geld glücklich?" Ja, sagt Rustichini, denn auch das hat er erforscht. Nur ist es nicht das Geld an sich, sondern die Sorgen, die es einem nimmt. (Leopold Stefan, 17.10.2017)