"Wir haben jetzt eine Pride in Montenegro – vor fünf Jahren wäre das unvorstellbar gewesen", sagt Montenegros EU-Minister Aleksandar Andrija Pejović über die Fortschritte in seinem Land.

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STANDARD: Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat in seinem Brief an das EU-Parlament den Vorschlag gemacht, Serbien und Montenegro bis 2025 in die EU zu integrieren. Nun ist Montenegro mit den Verhandlungen weiter als Serbien, und bisher galt auch das Regattaprinzip, also dass man je nach Fortschritt aufgenommen wird. Wird das jetzt geändert?

Pejović: Wir sind voll und ganz für dieses leistungsabhängige Prinzip. Aber fragen Sie mich noch einmal, wenn die EU-Strategie zu diesem Thema im Februar herauskommt. Jetzt war das ja nur eine Zeile von Juncker. Wir müssen zuerst schauen, was hinter dieser Strategie steckt. Wir haben wirklich nichts dagegen, wenn andere vorankommen oder auch vor uns der EU beitreten, wenn das auf Verdiensten beruht.

STANDARD: Montenegro ist nicht zum ersten Mal wegen eines Strategiewechsels der EU besorgt. Es gab bereits Bedenken, als es vor ein paar Monaten in der Kommission hieß, es gehe jetzt in erster Linie um regionale Kooperation unter den Nicht-EU-Staaten.

Pejović: Ja, uns geht es darum, einem gemeinsamen Markt der EU beizutreten. Uns geht es nicht in erster Linie darum, unsere Standards an andere anzunähern. Denn wenn es etwa um die Lebensmittelsicherheit geht, so sind unsere Standards bereits die gleichen wie jene der EU-Staaten. Also werden wir nicht auf die anderen warten! Sondern die anderen sollten die Geschwindigkeit erhöhen. Aber wir unterstützen natürlich alles auf dem westlichen Balkan, was von Vorteil ist, wie eine Digitalunion, die Verkehrsunion, die zu mehr Infrastruktur führt, oder auch die Energieunion. Doch wenn es um die vier Grundfreiheiten geht, dann wollen wir die erreichen, wenn wir der EU beitreten, und nicht vorher mit einigen anderen Staaten teilen. Andernfalls müssten wir dafür ja auch eigene Institutionen, Gerichte und einen Haushalt schaffen.

STANDARD: Ein gemeinsamer Markt auf dem Westbalkan ist auch schwierig, weil die Staaten verschiedene Handelsabkommen mit dritten Staaten haben, oder?

Pejović: Ich glaube, die Kommission wollte mit dieser Idee der regionalen Kooperation jene Staaten antreiben, die hinterherhinken, damit sie aufholen. Kommissar Johannes Hahn hat aber bestätigt, dass es keine Geschwindigkeitsbegrenzung beim Beitritt gibt und dass es ein Prozess mit einem "beweglichen Ziel" ist. Das bedeutet: Man tritt bei, wenn man so weit ist.

STANDARD: Manchmal ist es auch nicht schlecht, wenn man ein kleines Land ist, weil es nicht so viel ausmacht, ob ein kleines Land der EU beitritt oder nicht.

Pejović: Gleichzeitig kann man aber auch zeigen, dass der Erweiterungsprozess weitergeht. In den 1980ern und 1990ern war Montenegro ja noch die ärmste Republik in Jugoslawien. Wir zeigen als kleines Land, dass wir gleichauf mit den Großen sind.

STANDARD: Vom montenegrinischen Außenministerium wurde als mögliches Beitrittsdatum das Jahr 2022 ins Spiel gebracht. Sie haben gesagt, dass es vor der EU-Parlamentswahl 2024 passieren soll. Wann denken Sie, dass Montenegro beitreten kann?

Pejović: Ich versuche zu vermeiden, ein bestimmtes Datum zu nennen. Aber was ich versprechen kann, ist, dass wir in den kommenden drei Jahren alles tun werden, um unsere Arbeit, was die Beitrittsgespräche betrifft, zu beenden. Es geht aber nicht nur um uns. Wir müssen auch sehen, wie das EU-Parlament 2019 aussehen wird und welche EU-Kommission es geben wird. Wir müssen abwarten, was der Präsident der EU-Kommission und des EU-Rates dann über die Erweiterung sagen werden. Ich denke aber, dass die Periode zwischen 2019 und 2024 für Montenegro wichtig ist. Es ist viel leichter, wenn man vor der EU-Parlamentswahl beitritt.

STANDARD: Also ist es realistisch, dass Montenegro 2023 beitritt?

Pejović: Auf jeden Fall wäre es gut vor der Wahl 2024. Wir müssen die Beitrittsgespräche, zwei Jahre bevor wir tatsächlich beitreten können, beenden. Denn wir brauchen sechs Monate, um das Beitrittsabkommen zu entwerfen, und mindestens eineinhalb Jahre für die Ratifikationen in den anderen EU-Staaten.

STANDARD: Wann wollen Sie die Beitrittsgespräche beenden?

Pejović: In den kommenden drei Jahren, und das wird es ermöglichen, dass wir in den kommenden fünf Jahren, also unter der nächsten Kommission und unter dem nächsten Parlament, Teil des Ratifikationsprozesses werden. Denn das Wichtigste ist, bei den Diskussionen über das neue Budget dabei zu sein.

STANDARD: Im letzten Fortschrittsbericht der EU heißt es zu den Kapiteln 23 und 24, in denen es um Rechtsstaatlichkeit geht, dass Montenegro "mäßig vorbereitet" sei, das EU-Recht zu übernehmen. Oft wird darauf hingewiesen, dass der politische Einfluss auf die Justiz eingedämmt werden soll. Wie wollen Sie das ändern?

Pejović: Es geht darum, die Institutionen zu stärken. Montenegro ist das kleinste Land auf dem Balkan, und wir haben seit weniger als 30 Jahren Demokratie. Wir haben in den vergangenen eineinhalb Jahren an der Reform der Staatsanwaltschaft und des Gerichtssystems gearbeitet. Das dauert, aber wir können jetzt sehen, dass es eine größere Erfolgsbilanz gibt. Und in den kommenden Monaten ist es unser Ziel, dass wir die Finanzfahndung stärken, also Vermögen beschlagnahmen; Geldwäsche und Menschenschmuggel bekämpfen. Das sind die drei Bereiche, in denen wir eine bessere Erfolgsbilanz brauchen. In den anderen Bereichen, also bei der organisierten Kriminalität, dem Schmuggel und der großen Korruption, häufen sich die Fälle, die bearbeitet werden. Also konzentrieren wir uns jetzt voll darauf, die Institutionen zu stärken, die Leute auszustatten und neue Leute in der Antikorruptionsbehörde anzustellen. Wir sagen nicht, dass wir perfekt sind und morgen der EU beitreten können. Aber wir sind im Prozess.

STANDARD: Aber wie wollen Sie den politischen Einfluss zurückdrängen, wenn das Land so klein ist und sich so viele Leute ganz einfach kennen?

Pejović: Das geht nur mit starken und unabhängigen Institutionen. Andere Staaten hatten viel länger Zeit, um Institutionen zu schaffen, Montenegro muss in ein paar Jahren einige Jahrzehnte aufholen.

STANDARD: Was meinen Sie zum Beispiel?

Pejović: Wir haben jetzt eine Pride in Montenegro – vor fünf Jahren wäre das unvorstellbar gewesen. Oder: Jetzt sitzen behinderte Kinder mit nichtbehinderten Kindern gemeinsam in den Klassen. Das wäre vor ein paar Jahren auch nicht vorstellbar gewesen. Man sieht die Dynamik in Montenegro, dass sich die Dinge wirklich ändern. Die europäische Integration ist das Beste, was unserem Land passiert.

STANDARD: Der Kosovo soll das fertig ausverhandelte Grenzabkommen mit Montenegro seit zwei Jahren ratifizieren. Allerdings gibt es im Kosovo politische Kräfte, die den Grenzverlauf anzweifeln. Würden Sie das Grenzabkommen mit Montenegro noch einmal neu verhandeln?

Pejović: Das ist eine interne Angelegenheit des Kosovo. Wir sehen das nicht als ein Problem zwischen zwei Staaten. Es geht darum, dass man im Kosovo intern schauen muss, wie er ausreichend politische Unterstützung für die Ratifizierung bekommt. Aber wir machen keinen Druck, wir waren ja schon in den vergangenen zwei Jahren geduldig. Natürlich wollen wir aber, dass das erledigt wird. Wir verstehen, dass Themen, bei denen es um territoriale Souveränität geht, sensibel sind. Aber wir wollen das gelöst haben, weil das auch zeigt, dass man in der Region nach und nach die Probleme abhakt.

STANDARD: Wie sehen Sie den Einfluss Russlands auf dem Balkan, und was bedeutet das für das geopolitische Gleichgewicht in der Region – insbesondere seit Donald Trump US-Präsident ist?

Pejović: Wir haben wegen Russland voriges Jahr einige Warnsignale versendet, danach konnten wir mehr Engagement von Brüssel und Washington wahrnehmen. Die Dinge haben sich verbessert. Nicht nur Federica Mogherini war bei uns, sondern auch andere Vertreter der EU, und das hat das Gefühl verstärkt, dass Brüssel ein Partner sein will und sich mehr einbringt. Zudem war es vor zwei, drei Jahren noch nicht so klar, dass Montenegro tatsächlich der Nato beitreten kann. Das Signal der Nato war nun: Wir sind hier, wir bleiben hier, und die Allianz wächst. Der Beitritt Montenegros zeigt ein neues geostrategisches Denken und dass die geopolitischen Alternativen für die Region gestoppt werden. Das bedeutet, dass die euroatlantische Integration für alle Staaten der Region – außer für Serbien – das Ziel ist. US-Vizepräsident Mike Pence war im August in Montenegro, auch das zeigt eine neue Balance.

STANDARD: Also gibt es seit dem Antritt Trumps nicht weniger Einfluss der USA in Südosteuropa?

Pejović: Wir haben bemerkt, dass sich die neue US-Regierung aufwärmt. Von 100 Senatoren haben in den USA 98 für den Beitritt Montenegros zur Nato gestimmt. Keiner der anderen Staaten in der Region hatte so eine große Unterstützung von den US-Senatoren. Das zeigt, dass die Amerikaner sich jetzt viel mehr für die Region interessieren. Die USA haben sich auch sehr in Mazedonien engagiert. Es wird noch mehr Engagement geben. Und das ist gut, weil man klare Signale an jene schicken muss, die Alternativen zur euroatlantischen Integration schaffen wollen, dass diese Region den europäischen Werten verpflichtet ist. Es geht um Prinzipien, nicht um Geld oder Einflussbereiche. Wir kämpfen um Werte des Westens.

STANDARD: Was ist mit dem russischen Einfluss?

Pejović: Wir haben trotz des Putschversuchs vergangenes Jahr die Stabilität gewahrt. Es ging darum, dass man zeigen wollte, dass die demokratischen Institutionen in Montenegro nicht zukunftsfähig sind. (Adelheid Wölfl, 19.10.2017)