Montenegros Premier Duško Marković (links, im Bild mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Jänner) will die Verhandlungen mit der EU in den nächsten drei Jahren beenden.

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Podgorica/Sarajevo – Als kürzlich die EU- und Balkan-Außenminister in Salzburg konferierten, lehnte einer von ihnen besonders entspannt im Sessel: der Montenegriner Aleksandar Andrija Pejović. Während der Bosnier Igor Crnadak freimütig zugab, dass die Annäherung an die EU durch die eigenen Politiker verzögert wird, und die Serbin Jadranka Joksimović wütend wurde, als man sie nach der Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo fragte, konnte Pejović gelassen über geopolitische Verwerfungen philosophieren. Denn der kleine Balkanstaat liegt – im Vergleich zu den anderen fünf Staaten, die noch nicht in der EU sind – vorne.

28 der 33 Kapitel des Gemeinschaftsrechts wurden in dem Staat, der seit 2012 mit der EU verhandelt, bereits geöffnet. Bisher wurden zwar nur drei Kapitel abgeschlossen, doch die Regierung unter Duško Marković will die Verhandlungen in den nächsten drei Jahren beenden. Damit wäre – nach dem Austritt Großbritanniens – Montenegro der 28. Staat der Union.

So viele Einwohner wie Stuttgart

Schaut man auf die Landkarte, so liegt der kleine Punkt an der Adriaküste mitten in jener Region Europas, die noch nicht an den gemeinsamen Markt und die gemeinsamen Werte angeschlossen ist. Der Beitritt von Montenegro mit seinen 625.000 Einwohnern würde in der EU wohl niemanden stören. "Wenn Montenegro beitritt, dann ist das so, als ob eine relativ korrupte Stadt wie Neapel dazukommt, aber selbst Neapel ist größer", sagte kürzlich ein Diplomat.

Doch nicht nur für Montenegro, das erst 2006 von Serbien unabhängig wurde, ist der Beitritt die höchste Priorität, auch die EU braucht eine Erfolgsnachricht. Und die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik konzentriert sich vor allem auf den Balkan. Selbst Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat kürzlich aufhorchen lassen, als er in seiner "State of the Union"-Rede meinte: "Wenn wir mehr Stabilität in unserer Nachbarschaft haben wollen, dann müssen wir eine glaubwürdige Erweiterungsperspektive für den Westbalkan erhalten."

Beitrittsperspektive bis 2025

Juncker nannte danach in einem Brief ans EU-Parlament und den Ratspräsidenten sogar ein Datum: Serbien und Montenegro sollten bis 2025 eine Beitrittsperspektive bekommen. Kommendes Jahr soll dazu eine Strategie erstellt werden. Der Brief sorgte nicht nur für Freude: Denn Montenegro hat Angst, auf Serbien warten zu müssen, und das kann angesichts der Tatsache, dass Serbien zunächst sein Verhältnis zum Kosovo klären muss, lange dauern. Klar ist jedenfalls, dass die EU nicht noch einmal – nachdem die territoriale Integrität von Zypern nicht vor dem Beitritt 2004 geklärt wurde – einen Staat, dessen Außengrenzen staatsrechtlich strittig sind, hineinlassen wird.

Montenegro hat schon seit einigen Monaten Sorge, dass die EU ihre bisherige Linie – wer die geforderte Leistung schafft, kommt rein – ändern könnte. Dafür gibt es einige Anzeichen: Die Betonung der regionalen Kooperation unter den Balkan-Sechs (Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien, Kosovo, Albanien, Mazedonien) ist eines davon. In Podgorica befürchtet man zudem, dass es nur so etwas wie eine "Mitgliedschaft zweiter Klasse" geben und angesichts der Erweiterungsmüdigkeit die gesamte Region auf einmal aufgenommen werden könnte. Aber nicht als Vollmitglied.

Versprechen von Thessaloniki

Auf dem Balkan glauben viele ohnehin nicht mehr daran, überhaupt in den Club zu kommen – schließlich wurde den Staaten bereits 2003 in Thessaloniki versprochen, beitreten zu können. Seither sind 14 Jahre vergangen, und nur Kroatien ist Teil der Union geworden. Mazedonien hingegen, das gleichzeitig mit Kroatien 2005 den Kandidatenstatus erhielt, rutschte zwischenzeitlich in ein autoritäres System ab, weil das griechische Veto gegen den nördlichen Nachbarn jegliche positive Entwicklung verhinderte.

Absurderweise ist nun Montenegro – das es als unabhängigen Staat 2003 noch gar nicht gab – am weitesten vorne von allen. Knackpunkt sind allerdings die beiden Kapitel zur Rechtsstaatlichkeit. Die Politiker der Balkanstaaten wissen, dass die Kapitel 23 und 24 des Acquis communautaire im Mittelpunkt stehen. Wer nicht liefert, hat keine Chance. Denn aufgrund der Probleme mit Korruption und Kriminalität in Bulgarien und der Tatsache, dass der polnische und der ungarische Rechtsstaat immer mehr untergraben werden, ist die Wachsamkeit in der EU-Kommission gestiegen.

Parteiinteressen

Montenegro hat massive Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit – die Staatsanwaltschaften und Gerichte sind teils von Parteiinteressen und persönlichen Interessen unterhöhlt. Der Filz zwischen den einflussreichen Clans, der Regierungspartei und den wichtigsten Arbeitgebern ist fest. Auch aufgrund des Drucks der Nato gab es ein paar Verhaftungen und Gerichtsprozesse.

So erklärte sich der ehemalige Präsident Jugoslawiens, der Montenegriner Svetozar Marović, im Vorjahr selbst der Korruption für schuldig. Er sollte eigentlich seit Mai im Gefängnis sitzen, weilt aber wegen einer ärztlichen Behandlung in Belgrad. Allerdings wurde mittlerweile sein Vermögen konfisziert. Andere Clans bleiben aber unangetastet. Und es gibt weiterhin ein Problem mit der organisierten Kriminalität in Montenegro. Erst kürzlich wurde wieder ein Gangster in der Küstenstadt Kotor erschossen – allein in den vergangenen Wochen haben kriminelle Gruppen fünf Menschen ermordet. Oft handelt es sich um Racheaktionen verfeindeter Banden.

Geheimdienste involviert

Doch auch manche Gerichtsverfahren sind intransparent. Die Anklage gegen die 14 Serben und Montenegriner, die angeblich vor einem Jahr mit der Hilfe von Russland anlässlich der Wahlen einen Putschversuch unternommen haben sollen, spaltet das Land. Die prorussische Opposition behauptet, die Anschuldigungen seien erfunden worden, um sie an den Rand zu drängen. Tatsächlich sind auch einige Oppositionelle wegen Geldwäsche angeklagt – Skepsis ist also durchaus angebracht. Was wer und aus welchen Motiven angeordnet oder getan hat, wird wohl kaum herauszufinden sein, weil sämtliche wichtigen Geheimdienste involviert sind. (Adelheid Wölfl, 19.10.2017)