Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon gründet ein "Bürgermedium".

Foto: APA/AFP/JEAN-PIERRE CLATOT

Paris – Was macht ein Politiker, wenn er sich von den Medien schlecht behandelt fühlt? Er schafft sich seinen eigenen Informationsträger. Der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon, der nach eigenem Selbstverständnis die politische Opposition in Frankreich verkörpert, hat vor wenigen Tagen "Le Média" ins Leben gerufen, ein "Bürgermedium", wie er es nennt, das am 15. Jänner auf Sendung gehen soll.

Der frühere Trotzkist, dann Sozialist, Linken-Gründer und aktuelle Chef der Formation Unbeugsames Frankreich hatte schon immer ein gespanntes Verhältnis zu Journalisten. Regelmäßig streitet er sich mit ihnen vor laufender Kamera, am liebsten über die Korrumpierung des kapitalistischen Mediensystems.

Inszenierung auf Youtube

Bei den Präsidentschaftwahlen dieses Frühjahres hatte der wortgewaltige Tribun die herkömmlichen Medienkanäle bereits zu umgehen versucht, indem er sich systematisch auf Youtube in Szene setzte. Experimentierfreudig ließ er zudem auf einzelnen Wahlkampfbühnen sein virtuelles Abbild als Hologramm auftreten. All das verschaffte ihm einen sehr direkten Zugang zu seinen Anhängern und Wählern. Zum Schluss verpasste Mélenchon den Einzug in die Stichwahl anstelle von Marine Le Pen nur um 1,7 Prozentpunkte.

Jetzt führt der 66-Jährige sein Vorhaben mit "Le Média" konsequenterweise zu Ende. Es soll aus einem Text- und einem Bildschirmteil bestehen und hat als Kern ein tägliches audiovisuelles Newsprogramm ab 20 Uhr – eine direkte Konkurrenz zu den Abendnachrichten auf den beiden Hauptfernsehsendern Frankreichs, der privaten TF1 und der öffentlichrechtlichen France 2. Da immer mehr Franzosen am Handy fernsehen, nimmt "Le Média" gar nicht mehr den Umweg über die TV-Frequenzen, sondern geht direkt ins Internet.

"Bis nach Afrika und Kanada"

Inhaltlich sei das "interaktive und partizipative Bürgermedium" unter anderem "progressiv, humanistisch, antirassistisch, feministisch, ökologisch, kulturell und frankophon bis nach Afrika und Kanada", sagt die Mitbegründerin Sophia Chikirou, eine Kommunikationsberaterin, die wie Mélenchon von den Sozialisten zu den "Unbeugsamen" gewechselt ist.

Den Einwand, in Paris gebe es schon mehrere politisch ähnlich gelagerte Newsportale wie "Médiapart" oder "L'Humanité", kontert Chefredakteurin Aude Rossigneux mit dem Argument, der neue Kanal wolle nicht der "Diktatur der Aktualität" erliegen und verfolge zudem ein alternatives Geschäftsmodell. "Le Média" wird unentgeltlich sein und in erster Linie durch "soziale" Anteilscheine interessierter Bürger finanziert; inwieweit Werbung und Spenden einzelner Mäzene dazukommen sollen, ist noch Gegenstand von Abklärungen.

"Mélenchon-Kanal"

Das von Pariser Zeitungen bereits verliehene Etikett eines "Mélenchon-Kanals" weist Rossigneux zurück: "Alle können mitreden. Nach dem Newsteil wird es jeden Abend eine Debatte geben." Bei der medialen Lancierung vor einer Woche machte sich die Chefredakteurin über die Vorwürfe lustig, indem sie eine fiktive "Tagesschau" mit dem Frühstücksmenu des "erhabenen Führers" (Mélenchon) begann und dann über "unsere brillanten Parlamentsabgeordneten" (Die Unbeugsamen) berichtete.

Auch wenn der Linken-Chef an der Lancierung nicht teilnahm, bleibt unbestreitbar, dass "Le Média" seine Idee war und auf seine telegene Wirkung zugeschnitten ist. Sein medialer Vorstoß illustriert den zunehmenden Verlust klarer Grenzen zwischen Politik und Journalismus im Zeitalter der sozialen Medien. Ersichtlich wird das in Frankreich schon durch den Umstand, dass interviewte Personen auf den klassischen Informationssendern wie BFM oder Cnews heute gleich selbst das Mikrofon in der Hand halten, weshalb oft mehr ersichtlich ist, ob nun Politiker oder Journalisten in die Kamera sprechen.

Macron übergeht Medien

Präsident Emmanuel Macron übergeht aber heute die Newssender gerne. Bei einem Besuch streikender Whirlpool-Arbeiter in Amiens oder auch beim Empfang der Trumps in Paris ließ er nur eine Élysée-Kamera zu, und sie sendete die Bilder direkt via Facebook Live. BFM-Reporter Mathieu Coache drohte diese Woche, sein Sender könnte bald nicht mehr mitspielen: "Sie (die Präsidialdienste, Anm.) zeigen, was sie wollen, und schneiden, wann sie wollen. Vielleicht werden wir das nicht länger übertragen."

Dass ein bekannter Kommentator wie Bruno Roger-Petit die Seite wechselt und sich von Präsident Emmanuel Macron als Élysée-Sprecher engagieren lässt, ist zwar kein neues Phänomen; ähnliche Beispiele gibt es von Berlin (Regierungssprecher Steffen Seibert) bis Washington. In Paris gehen allerdings immer mehr Politiker den umgekehrten Weg. Der konservative Ex-Premierminister Jean-Pierre Raffarin beteiligt sich seit September als Chronist an einer sonntäglichen TV-Informationssendung auf France 2.

Die einst sozialistische Kulturministerin Aurélie Filippetti tut es ihm auf dem größten französischen Radiosender RTL gleich. Mélenchons Sprecherin Raquel Garrido tritt beim TV-Sender C8 auf. Der gehört dem Industriellen und Milliardär Vincent Bolloré, der sonst eine beliebte Zielscheibe Mélenchons ist. Mit solchen berufsethischen Interessenkonflikten wird auch "Le Média" konfrontiert sein. (Stefan Brändle aus Paris, 20.10.2017)