Kein Grund zum Lachen, schon gar nicht das Wahlkampfgemurkse, aber auch kein Weltuntergang ist das Wahlergebnis für Cartoonist Gerhard Haderer (im Bild bei der Eröffnungsrede zur Styriarte 2015).

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STANDARD: Österreich hat gewählt. Aus der Perspektive des Karikaturisten beobachtet – gutes "Material" für die nächsten Jahre?

Haderer: Auf jeden Fall. Die Österreicher haben jetzt wieder ihre politische Lichtgestalt, die sie gerne haben wollten, die ÖVP hat ihren Messias, und das sind für unsereins natürlich aufgelegte Themen.

STANDARD: Und wenn wir das karikaturistische Potenzial außen vor lassen und zum politischen Kern gehen: Was sagen Sie zur Wahl?

Haderer: Es gibt so etwas wie die Vision eines Rechtsrucks. Vision sage ich bewusst, weil ich glaube, der wirkliche Rechtsruck hat noch nicht stattgefunden. Man muss abwarten, in welcher Form dieser Ruck in ein Regierungsprogramm übergeht. Aber zuerst gibt es eine Tragödie zu vermelden: das bittere Desaster der Grünen, das tut mir persönlich weh. Dass es Schwarz-Blau geben wird, halte ich auch nicht für einen Weltuntergang. Es ist eine Aufforderung, vor allem an die SPÖ, leidenschaftliche Opposition zu betreiben. Wenn die Verhältnisse so aufgeteilt sind, dann kann man auch mit diesem unappetitlichen Wahlergebnis einigermaßen entspannt umgehen.

STANDARD: Sie sagten schon vor der Wahl: "Eine Regierung aus ÖVP und FPÖ ist für mich auch ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann. Da muss man wieder schärfer in die Tube greifen." Was heißt das?

Haderer: Man muss die neue Situation präzise und mit Haltung beobachten. Man kann sich nicht auf eine oberflächliche Blödelei einlassen, sondern muss wissen, dass es um Grundpositionen geht. Sebastian Kurz hat eine kleine Fingerübung hinter sich mit der Domestizierung seiner ÖVP, das hat er geschafft. Jetzt soll er zeigen, ob er mit viel Gelassenheit und Zeit auch ein Regierungsprogramm zustande bringt, das wir auch akzeptieren können.

STANDARD: Wie würden Sie die demokratiepolitische Aufgabe von Karikatur und Satire beschreiben?

Haderer: Ich habe mich niemals als radikalpolitischer Zeichner gesehen, sondern immer gesagt: Gute Politik muss auch Spaß machen. Wir sind alle Teil dieses Spiels. Also beteiligen wir uns doch in lustvoller Weise. Der Staatsbürger hinter meiner Arbeit ist ja nicht ganz zu verleugnen. Darum mache ich den Mund auf, wenn mir etwas ungerecht, falsch oder sinnlos vorkommt.

STANDARD: Wie lustvoll haben Sie denn den Wahlkampf empfunden?

Haderer: Gar nicht, denn das war ein erbärmliches Gemurkse. Diese Art von Fernsehpolitik, diese Allianz aus Parteistrategen, Spindoktoren und Marketingprofis, die ja keine politische Diskussion, sondern nur noch Siegstrategien entwickeln wollten, hat abgewirtschaftet. Eine Amerikanisierung hat man versucht, eine Trumpisierung ist daraus geworden. Grauslich. Wenn es Hoffnung gibt, dann ist es die Hoffnung auf eine grundsätzlich andere Gesprächskultur.

STANDARD: Ein wahlentscheidender Faktor, der Sebastian Kurz und seiner "neuen Volkspartei" auf Platz eins geholfen hat, war der Wunsch nach Veränderung nach einer lang beklagten Phase großkoalitionären Stillstands. Teilen Sie den Wunsch nach Veränderung?

Haderer: Ja, diesen Wunsch teile ich wirklich. Das sich gegenseitig Beschädigen und Verarschen von Rot und Schwarz, obwohl sie gemeinsam an der Spitze des Staates standen und eigentlich arbeiten hätten müssen, schreit doch nach Veränderung.

STANDARD: Wie beurteilen Sie eigentlich den Aufmarsch der jungen Männer in der ersten Politikreihe? Kurz ist 31, der französische Präsident Emmanuel Macron 39, Kanadas Premierminister Justin Trudeau war bei Amtsantritt 44.

Haderer: Ich mache Kurz seine Jugend nicht zum Vorwurf, weil es an der Zeit ist, dass die Generation der 60-Jährigen endlich ihr Desaster eingesteht, sie hat ja auf vielen Ebenen politisch bankrott gemacht, also her mit der nächsten Generation! Dieser Umbruch hat mit vielen sozialen Strömungen zu tun, und dass das zu einem derartigen Rechtsruck führte, ist eine grausliche Entwicklung, mit der Österreich aber nicht allein dasteht. In Deutschland gibt es die AfD zwar noch nicht in einer Regierung, aber immerhin im Bundestag. Jetzt muss man sich fragen, warum? Was ist daran berechtigt, was nicht? Da gilt es klaren Kopf zu behalten und keine Untergangsstimmung zu verbreiten.

STANDARD: Welche Erklärung haben Sie denn für diese politischen Rechtsdralltendenzen?

Haderer: Das war schon zu sehen am Wahlkampf, der eine unerträgliche Art von Populismus zeigte. Kurz und Strache haben die Ängste der Menschen geschürt und simple Lösungen angeboten. Allein der Begriff Wirtschaftsflüchtlingswelle ist ja eigentlich eine Niedertracht, weil damit Menschen stigmatisiert werden, die vor Krieg und Elend flüchten mussten. Aber hinter diesem Thema stehen uns noch ganz andere bevor. Etwa die Tatsache, dass Teile unseres Planeten bald unbewohnbar sein werden. Die Menschen müssen dann irgendwo anders hin. Und das zweite große Thema ist die soziale Katastrophe zwischen Arm und Reich. All diese Themen treiben die Menschen in diffuse Zukunftsängste, die nicht formuliert sind, sondern die nur heißen: Wir brauchen mehr Sicherheit. Diese Sicherheit kann man auf verschiedenen Ebenen herbeiführen. Eine ist, dass man hohe Zäune rund um unseren Wohlstand baut, denn es ist ja nicht nur Wohlstand, es ist Überfluss, in dem wir schwimmen. Und wenn man diese Mauern als Lösung zur Kenntnis nimmt, dann hat man das, was Kurz und Strache wollen. Das ist aber eine sehr destruktive Sichtweise. Ich glaube, die Menschen sollten sich bemühen, positive Gedanken zu formulieren, die diese Sicherheit herbeiführen können. Wir können das schaffen, aber dafür ist alles gefordert, was wir an geistiger Kapazität haben.

STANDARD: Sie starten dazu eine demokratiepolitische Intervention und eröffnen im November in Linz die "Schule des Ungehorsams". In welchem Zustand sehen Sie die Demokratie, dass Sie aktiv werden?

Haderer: Man muss jetzt etwas tun, weil die beschriebene Angst, die sich in unserer Gesellschaft festgesetzt hat, von den Parteistrategen entweder ignoriert oder instrumentalisiert wird. Unsere Demokratie ist ein ziemlich dünnes Eis, auf dem wir tanzen. Was es braucht, sind nicht noch mehr Jasager, sondern viele frische Stimmen aus der Zivilgesellschaft. Die Schule des Ungehorsams ist der Versuch, alle Demokraten zu einer positiven Einmischung in die Politik zu motivieren. Wir wollen dazu aufrufen, sich zu Wort zu melden, wenn einem irgendetwas ungerecht oder blödsinnig vorkommt. Wir werden Philosophen einladen, uns zu erklären, wie wichtig Ungehorsam für jede Art von Fortschritt ist, Historiker sollen uns erzählen, was unter dem Etikett Gehorsam in der Geschichte schon alles passiert ist.

STANDARD: Und die Künstler?

Haderer: Kunst ist natürlich ein ganz wesentliches Element. Künstler sind in der Lage, eine Sprache zu sprechen, die andere Menschen auch verstehen können. Es muss ja nicht unbedingt sein, dass man so abstürzt wie Roland Düringer mit seinem Versuch einer verkopften Programmfantasie, die niemand verstanden hat. Es genügt nicht, auf die Straße zu laufen und zu schreien: "Wääääh, es ist alles so g'schissen." Wir müssen eine Sprache finden, mit der wir miteinander in einen Dialog treten können. Und die darf, bitte schön, auch humorvoll sein.

STANDARD: Sebastian Kurz, Christian Kern und Heinz-Christian Strache – wer ist aus zeichnerischer Sicht der schwierigste Fall, und wer ist eine aufgelegte Sache?

Haderer: (lacht) Ja, gut, der Alterungsprozess des Strache, der ja einmal für diese jugendliche, hippe Szene stand, ist eine Metamorphose, die zu zeichnen man sich nicht entgehen lässt. Bei Kurz ist klar, dass eine schnelle Sofortbildkamera jeden Cartoon ersetzen kann, denn dieses telegene Gsichterl spricht ja für sich. Da ist ein strahlender junger Mann, die Kulisse für das dröhnende Schweigen hinter ihm, denn momentan tut die verknöcherte ÖVP ja nix anderes als zu staunen, was denn da abgeht, in einer Partei, die in der Zeit vor Kurz noch völlig zerknirscht am Boden lag.

STANDARD: Und Christian Kern? Über ihn haben Sie im Juli 2016 fast prophetisch auf die Frage, welche Karriere der damals neue Kanzler und SPÖ-Chef in Ihren Zeichnungen machen wird, gesagt: "Keine große. Ich habe aufgehört, mich mit den auswechselbaren Vordergrundfiguren zu beschäftigen."

Haderer: Das war nicht schwer zu prophezeien. Kern ist der smarte Dompteur, der es nicht schafft, mit seinem Apparat zurechtzukommen. Ich unterstelle ihm nach wie vor lautere Absichten und halte auch seine Antrittsrede für eine grandiose Nummer. Aber dann haben ihn die Betonierer in Partei und Gewerkschaft überrollt und jetzt steht er ziemlich ramponiert herum und muss sich pausenlos entschuldigen für das, was er zu verantworten hat. So gesehen hat ihm der kleine Basti – Tschuldigung, klein nehme ich zurück – schon gezeigt, wie's geht. (Lisa Nimmervoll, 21.10.2017)