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Fünf Tage nach der Wahl beauftragte Bundespräsident Alexander Van der Bellen Wahlsieger und ÖVP-Chef Sebastian Kurz mit der Bildung einer Regierung.

Foto: Reuters/Bader

Wien – Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat ÖVP-Chef Sebastian Kurz am Freitag mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Als Bundespräsident werde er dabei darauf achten, dass die Gesamtinteressen Österreichs im Mittelpunkt stehen, erklärte Van der Bellen bei dem Termin in der Hofburg.

Van der Bellen beauftragte Kurz mit der Regierungsbildung.

Seit gestern Nacht liege das endgültige Ergebnis der Nationalratswahl vom Sonntag vor, aus der die ÖVP als Wahlsiegerin hervorging. "Aufgrund des Wahlergebnisses betraue ich Sie, sehr geehrter Herr Außenminister und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz, als Vorsitzenden der stimmenstärksten Partei mit der Erstattung von Vorschlägen für die Bildung einer neuen Bundesregierung", erklärte Van der Bellen nach einem Gespräch mit Kurz.

"Als Bundespräsident werde ich bei der Regierungsbildung besonders darauf achten, dass die Gesamtinteressen Österreichs und seiner Bevölkerung im Mittelpunkt stehen", betonte der Bundespräsident. Besonders bedeutsam sind für ihn Europa-, Integrations-, Wissenschafts- und Umweltpolitik. Zudem äußerte er seine Überzeugung, "dass die Politik wieder eine neue Gesprächs- und Vertrauenskultur finden muss".

Kultur des gegenseitigen Respekts und im Herzen Europas

Es brauche eine Kultur des gegenseitigen Respekts. Dazu gehöre auch ein sachlicher Dialog mit der Opposition. Österreich müsse auch künftig ein starkes Land im Herzen Europas und im Zentrum der Europäischen Union bleiben, formulierte der Bundespräsident. Von der neuen Regierung erwarte er mit Blick auf die Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte 2018 nicht nur ein klares Bekenntnis zu Europa, sondern auch, dass sie eine aktive Rolle bei der Gestaltung eines künftigen gemeinsamen Europas spiele. Er begrüße es daher, dass Kurz sehr deutlich klargemacht habe, dass für ihn eine proeuropäische Ausrichtung der neuen Regierung eine Grundvoraussetzung sei.

Der Bundespräsident streifte aber noch einige andere Themen in seinem rund fünfminütigen Vortrag vor den Medien, etwa die Integration von Flüchtlingen in Österreich, die Spielregeln für das Zusammenleben im Land unter Einhaltung von Menschenrechten und Menschenpflichten sowie die Bewältigung der Auswirkungen der Digitalisierung. Auch erwartet Van der Bellen einen Plan der Regierung für Innovation, Forschung, Entwicklung und Bildung, um das Land in diesen Bereichen an die internationale Spitze zu führen. Zu beantworten ist für das Staatsoberhaupt auch die Frage, welchen Beitrag Österreich leisten könne, um die sich abzeichnende Klimakatastrophe zu verhindern.

Was das Prozedere angeht, hat Van der Bellen mit Kurz vereinbart, dass es in den kommenden Tagen und Wochen zu einem regelmäßigen Austausch kommen wird. Personelle und inhaltlich Vorschläge will der Bundespräsident jedenfalls "sehr genau prüfen", adressierte das Staatsoberhaupt in Richtung des ÖVP-Obmanns, dem er gutes Gelingen wünschte.

Kurz ist sich der "großen Verantwortung" bewusst

ÖVP-Chef Kurz hat den Auftrag des Bundespräsidenten, eine Regierung zu bilden, angenommen. Nach der Ansprache Van der Bellens erklärte Kurz, er sei sich der "großen Verantwortung" bewusst und werde nun wie angekündigt Gespräche mit allen im Parlament vertretenen Parteien führen. Starten könnten diese bereits am Freitag.

Nachdem Van der Bellen ihn mit der Regierungsbildung am Freitagvormittag offiziell beauftragt hatte, ergriff Kurz das Wort und bedankte sich sowohl beim Bundespräsidenten für die guten Gespräche in den vergangenen Tagen als auch einmal mehr bei den Wählern. "Diesen Auftrag nehme ich natürlich gerne an", im Bewusstsein, dass dies eine sehr große Verantwortung sei, so der Außenminister.

Als nächsten Schritt werde er nun mit allen im Parlament vertretenen Parteien Gespräche führen. Mit den kleinen Fraktionen will er dabei die Zusammenarbeit im Parlament ausloten – die Neos können dabei die notwendige Zweidrittelmehrheit bei Verfassungsmaterien herstellen, so Kurz. Mit den beiden größeren Parteien will er klären, ob und welche Regierungskonstellation möglich ist. Er werde dann den Bundespräsidenten und die Öffentlichkeit informieren, mit wem die Regierungsverhandlungen aufgenommen werden.

Neue politische Kultur und politischen Stil etablieren

"Wichtig ist mir festzuhalten, dass wir eine neue politische Kultur und einen neuen politischen Stil etablieren", betonte der ÖVP-Chef. Nach diesem Wahlkampf brauche es einen "respektvollen und würdevollen" Umgang miteinander und eine kooperativere Form der Zusammenarbeit im Parlament. Auch in der Regierung sollen alle an einem Strang ziehen, forderte er ein "besseres Miteinander" in der künftigen Koalition.

"Ich möchte eine Regierung bilden, die den Mut und die Entschlossenheit hat, eine echte Veränderung in Österreich zustande zu bringen", erklärte Kurz. In einigen Bereichen gebe es verkrustete Strukturen, und um diese aufzubrechen, brauche es Entschlossenheit. "Ich habe vor, eine Regierung zu bilden, die auch diese Kraft hat", betonte der Parteiobmann weiter. Nun will er sich gleich an die Arbeit machen und in den nächsten Tagen – vielleicht schon am Freitag – Gespräche führen, kündigte Kurz abschließend an.

Kurz erschien knapp vor 11 Uhr in der Präsidentschaftskanzlei. Nach einer Begrüßung vor Medienvertretern zogen sich der Parteichef und der Bundespräsident zu einem rund 45 Minuten langen Gespräch hinter die Tapetentür zurück.

Kern rechnet rascher Einigung auf Schwarz-Blau

Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern rechnet nun mit einer raschen Einigung zwischen ÖVP und FPÖ. "Ich gehe davon aus, dass wir jetzt sehr rasch eine schwarz-blaue Einigung haben werden. Da wird es ein bisschen taktische Spiele rundherum geben", sagte Kern am Freitag nach einem EU-Gipfel in Brüssel. "Aber das ist das Ergebnis des Wahlergebnisses, auch wenn Sie die Programme vergleichen, unter uns gesagt: Ich glaube, der Weg wird ein kurzer sein", fügte Kern hinzu.

Angesprochen darauf, dass die ÖVP angeblich auch für ein schwarz-rotes Bündnis unter einem anderen SPÖ-Vorsitzenden bereit wäre, sagte der SPÖ-Chef: "Das sind ein bisschen Allmachtsfantasien, die der eine oder andere offenbar spinnt. Das sollte man nicht überbewerten. In der SPÖ entscheiden immer noch die SPÖ-Mitglieder, wer der Vorsitzende ist."

Zum nächsten regulären EU-Gipfel Mitte Dezember könnte bereits ÖVP-Chef Sebastian Kurz als Bundeskanzler fahren. "Üblicherweise bis Weihnachten lässt sich so eine Regierung schon zusammenstellen. Da bin ich durchaus optimistisch, was das betrifft", sagte Kern.

Bis jetzt keine offenen Präferenzen

Offene Präferenzen äußerte Kurz bis jetzt nicht. Inoffiziell wird aber von gröberen Unverträglichkeiten mit der SPÖ berichtet, die eine Neuauflage der alten großen Koalition, diesmal in der Variante Türkis-Rot, sehr unwahrscheinlich erscheinen lassen.

Kern hatte wiederum Freitagfrüh beim Brexit-Gipfel in Brüssel wissen lassen, dass er Rot-Blau de facto ausschließt. Die Chancen auf diese Koalitionsvariante lägen "im Tausendstel-Promille-Bereich", sagte der SPÖ-Chef.

Mittwochabend hat es bereits ein erstes privates Treffen zwischen Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gegeben.

Politikberater Thomas Hofer ist in der "ZiB 24" auf die Wahlbeteiligung bei der Nationalratswahl eingegangen und hat eine mögliche Koalition zwischen ÖVP und FPÖ analysiert: "Es gibt schon ein paar Stolpersteine."
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Der Landesparteiobmann der Wiener ÖVP, Gernot Blümel, sagte am Freitag zu etwaigen Koalitionspräferenzen beziehungsweise -bedingungen nur: "Wenn man auf Augenhöhe verhandeln will, sollte man im Vorhinein keine Bedingungen stellen." Zur FPÖ-Forderung, das Innenministerium zu besetzen, wollte er sich ebenso wenig äußern wie zu seiner bevorzugten Koalitionsvariante. Es gehe jedenfalls darum, vom eigenen Programm "so viel wie möglich durchzubekommen".

Blümel will Chef der VP Wien bleiben

Er selbst will jedenfalls Chef der VP Wien bleiben, betonte Blümel: "Ich strebe an, bei der nächsten Wien-Wahl (2020, Anm.) als Wiener ÖVP-Chef anzutreten." Die Annahme eines Ministeramts schloss er damit freilich nicht dezidiert aus.

Durch das Wahlergebnis in Wien – hier erreichte die nicht gerade erfolgsverwöhnte Landespartei mit 21,6 Prozent diesmal Platz zwei – sieht Blümel die Hauptstadt-ÖVP gestärkt: "Die ÖVP Wien hat einiges an Ansehen in der ÖVP-Familie gewonnen." Stolz ist der Chef auch auf den Zugewinn von drei Mandaten, wodurch die Wiener ÖVP insgesamt sieben Grundmandate in der Bundeshauptstadt erreichen konnte – eines davon überraschend im Wahlkreis Nord (Floridsdorf, Donaustadt) mit Spitzenkandidatin Gudrun Kugler. Die katholische Hardlinerin wechselt somit vom Landtag beziehungsweise Gemeinderat in den Nationalrat. Wer ihr im schwarzen Rathausklub nachfolgt, ist noch offen. (APA, red, 20.10.2017)