Bordarzt Christian Machens

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Die Affen von Gibraltar sind besonders angriffslustig. Kurt Machens kann ein Lied davon singen.

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Selbst der gewöhnliche nordamerikanische Taxifahrer macht Schiffsärzten das Leben schwer: Im Land der unbegrenzt blasenden Klimaanlagen steigt die Zahl niesender Passagiere nach Taxifahrten explosionsartig an.

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Der Atlantik hat das große Kreuzfahrtschiff die ganze Nacht durchgebeutelt. Kurt Machens weiß, was ihn bei Dienstantritt erwartet: ein volles Wartezimmer. Machens ist Arzt an Bord der "Mein Schiff 6", die im Juli 2017 in Dienst gestellt wurde und über 2.500 Passagiere beherbergen kann. Diejenigen, deren Mageninhalt sich in der vergangenen Nacht verabschiedet hat, setzen nun all ihre Hoffnungen in ihn. Machens verabreicht ihnen ein Mittel gegen die Übelkeit und schenkt ihnen aufmunternde Worte: "Seekrankheit kann jeden treffen. Aber so schnell sie gekommen ist, geht sie auch wieder vorbei."

Machens hat es nur einmal auf einer griechischen Fähre erwischt. "Da hingen alle über der Reling." Das ist Jahrzehnte her, und damals hatte er mit Seefahrt noch wenig am Hut. Er war Unfallchirurg im Krankenhaus St. Bernward in Hildesheim und einige Jahre lang Oberbürgermeister der 100.000 Einwohner zählenden Stadt südlich von Hannover. Zeit seines Lebens ist er viel gereist, aber die Idee, auf einem Kreuzfahrtschiff anzuheuern, kam ihm erst nach seiner Pensionierung.

Seit zwei Jahren kümmert sich der 63-Jährige mit einem weiteren Mediziner und zwei Krankenpflegern um die Passagiere und Crew-Mitglieder, zusammen oft deutlich mehr als 3.000 Menschen. Eine dezidierte Altersbeschränkung für Schiffsärzte gibt es nicht. Wer als Mediziner mitreisen darf, entscheiden alleine die Personalabteilungen der Reedereien. Viele legen die Altersgrenze auf 67 Jahre, weil die physischen Anforderungen wegen wechselnder Klimazonen, häufiger Langstreckenflüge und möglicher Notfallsituationen hoch sind.

Natürliche Feinde

Nach 24 Stunden Bereitschaft, in denen er seine Sprechstunden hat, darf sich Machens auf einen freien Tag freuen – zumindest theoretisch. Ein Bordarzt hat viele natürliche Feinde, die ihm Freizeit rauben. Neben rauen Atlantikwellen sind das auch angriffslustige Affen, die in Gibraltar aus dem Hinterhalt nach Touristen schnappen. "Affenbisse sind schon ein Problem. Aber es passiert natürlich öfter, dass Gäste an Bord stolpern und Knochenbrüche erleiden."

Selbst der gewöhnliche nordamerikanische Taxifahrer macht Schiffsärzten das Leben schwer: Im Land der unbegrenzt blasenden Klimaanlagen steigt die Zahl niesender Passagiere nach Taxifahrten explosionsartig an. So auch auf dieser USA-Kanada-Reise, bei der New York Start- und Endpunkt ist. Die Menschen, die nach dem Landgang ins Bordspital auf Deck drei müssen, bekommen neben Nasenspray und Hustensaft den ein oder anderen Tipp: "Fahren Sie doch beim nächsten Landgang mit der Fähre vom Schiffsanleger in Richtung Manhattan." Das ist billiger als ein Taxi, und die Luft ist besser.

Hoffen auf das Wunschziel

Viermal pro Jahr geht Machens an Bord. Er war mit den Schiffen der Flotte, die zur Hälfte dem Tui-Konzern gehört, schon vor Westeuropa, im Mittelmeer, in Skandinavien, in Asien und in Nordamerika. "Ich gebe mein Wunschziel an und hoffe, dass ein Slot frei ist." Für jede sieben- bis achtwöchige Fahrt muss er einen Vertrag mit der Reederei abschließen und seine Leistung auf Honorarbasis abrechnen. Wenn sich in Norddeutschland der neblige Herbst ausbreitet oder der Winter seine kalten Finger ausstreckt, ist der Arzt auf dem Schiff. Den Sommer verbringt er lieber zu Hause. Schließlich warten dort ein arbeitsintensiver Garten und Enkelkinder, denen er von seinen Reisen erzählen möchte.

"Ich interessiere mich für die Menschen an Bord – so viele unterschiedliche Kulturen kommen anderswo selten zusammen", sagt Machens. Allein die Besatzung an Bord dieses Schiffes setzt sich aus mindestens 40 Nationalitäten zusammen. Fragt man herum, so hört man, dass ihn auch die Crew schätzt. Das hängt wohl damit zusammen, dass ein Arzt stets Menschen in schwierigen Situationen beisteht. Aber wohl auch damit, dass sich Machens als Teil des gesamten Bordteams versteht – was er bei jeder Gelegenheit betont: "Wir sind eine Familie auf dem Schiff und müssen zusammenhelfen." Es kann schon vorkommen, dass der Schiffsarzt bei einem Ausflug hinterm Mikro steht und übersetzt oder Guides beim Austeilen von Tickets hilft. "Doc Hollywood spielen und die Mannschaft links liegen lassen – so jemand passt nicht an Bord", sagt er über den Job.

Rosamunde-Pilcher-Effekt

Die Reederei unterhält eine eigene Abteilung, die sich um die Einstellung der Schiffsärzte kümmert und versucht, geeignetes Personal für den Job zu finden. Das Ziel ist, möglichst vorher herauszufinden, ob ein Bewerber fachlich und auch menschlich geeignet ist. Was die fachliche Eignung betrifft, geht es selten ohne Zusatzkurse. Sie tragen Namen wie Seediensttauglichkeitsprüfung oder Strahlenschutzkurs.

Eine standardisierte oder gar gesetzlich vorgeschriebene Ausbildung für Schiffsärzte gibt es aber nicht. Die großen Reedereien im deutschsprachigen Raum vertrauen auf den Kieler Schiffsarztlehrgang, das sind Weiterbildungsmodule in der maritimen Medizin, die seit 2012 von drei deutschen Fachärzten angeboten werden. Davor war es üblich, dass man sich für den Einsatz auf einem Kreuzfahrtschiff bei der Marine fortbildete, doch mittlerweile sind Zivilisten nicht mehr zugelassen.

Die Bordärzte im Pool der Reederei treffen sich regelmäßig bei Symposien. Welche Routen sie am liebsten mögen, zählt ebenso zum Gesprächsstoff wie fachliche Fragen. Machens schwärmt von norwegischen Fjorden, englischen Häfen mit Rosamunde-Pilcher-Effekt und der mediterranen Küche. Nur eine Erinnerung würde er lieber aus seinem Gedächtnis streichen: die bissigen Affen von Gibraltar. (Christian Schreiber, 2.11.2017)