Bild nicht mehr verfügbar.

Andrej Babiš war am Wahlabend voll des Jubels. Nun stehen ihm schwierige Koalitionsverhandlungen bevor.

Foto: Reuters / David W Cerny

Aus der Parlamentswahl in Tschechien ging die liberal-populistische Partei Ano des Milliardärs Andrej Babiš als klare Siegerin hervor. Sie kommt auf etwa 29,7 Prozent der Stimmen, das ist ein Plus von elf Prozentpunkten. Die sozialdemokratische ČSSD, die zuletzt stärkste Partei war und mit Bohuslav Sobotka den Premierminister stellte, ist mit 7,3 Prozent (minus 13,2 Prozentpunkte) weit abgeschlagen und landete nur noch auf Platz sechs.

Die rechtskonservativen Bürgerdemokraten (ODS, 11,3 Prozent) liegen ebenso vor der ČSSD wie die Piraten (10,8 Prozent), die EU- und islamkritische populistische Partei "Freiheit und Direkte Demokratie" (SPD, 10,6 Prozent), und sogar die Kommunisten (KSČM, 7,8 Prozent).

Ernst Gelegs (ORF): Zum Rechtsruck in Tschechien – Beitrag aus der ZiB am Samstag.
ORF

Zersplitterte Parteienlandschaft

Die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen und den Einzug ins Abgeordnetenhaus geschafft haben außerdem die Christdemokraten (KDU-ČSL, 5,8 Prozent), die rechtsliberale Partei Top09 (5,3 Prozent), für die Ex-Außenminister Karl Schwarzenberg erneut kandidiert hat, sowie die Liste "Bürgermeister und Unabhängige" (Stan, 5,2 Prozent). Künftig werden also neun Parteien im tschechischen Abgeordnetenhaus vertreten sein, die politische Landschaft gilt nach dem Ergebnis vom Samstag als extrem zersplittert.

Als einzige Zwei-Parteien-Koalition käme rein rechnerisch ein Bündnis von Ano und ODS infrage, das allerdings nur eine dünne Mehrheit im Parlament hätte und politisch als nicht besonders wahrscheinlich gilt. In den vergangenen vier Jahren hatten die Sozialdemokraten in einer Koalition mit Ano und den Christdemokraten regiert. Beobachter bezeichneten im Vorfeld der Wahl eine Neuauflage der bisherigen Koalition als wahrscheinliches Szenario – allerdings mit umgekehrten Vorzeichen, also mit Ano als stärkster Regierungspartei, die auch den Premierminister stellen würde.

Causa Storchennest

Andrej Babiš hat nach der Wahl angekündigt, mit allen Parteien sprechen zu wollen, die im neuen Abgeordnetenhaus vertreten sind. Das Schmieden einer Koalition könnte sich jedoch als kompliziert erweisen. Unklar war zuletzt vor allem, welche Rolle Babiš und sein Partei-Vize Jaroslav Faltýnek in einer künftigen Regierung überhaupt spielen können. Die Polizei nämlich beschuldigt Babiš des Subventionsbetrugs im Zusammenhang mit dem mittelböhmischen Freizeitareal Čapí hnízdo ("Storchennest"). Der Ano-Chef soll dieses, so der Vorwurf, vorübergehend aus seiner Holding Agrofert ausgegliedert haben, um auf diese Art an EU-Fördergelder zu gelangen, die eigentlich für Klein- und Mittelbetriebe bestimmt waren.

Auch Faltýnek – nicht nur in der Partei, sondern auch bei Agrofert ein wichtiger Mitarbeiter von Babiš – soll laut Polizei in die Affäre verwickelt sein. Beide weisen die Anschuldigungen zurück, doch beide verloren wegen der Causa erst kurz vor der Wahl ihre Immunität als Abgeordnete. Im neuen Abgeordnetenhaus spielt das rein formal zwar keine Rolle mehr, dennoch hatten Babišs politische Gegner diesen zuletzt als für das Amt des Premiers ungeeignet bezeichnet.

Koalitionsbedingung

Die Vorsitzenden von Sozial- und Christdemokraten, Milan Chovanec und Pavel Bělobrádek, nannten noch am Wahlabend eine Bedingung für eine neuerliche Koalition mit Ano: Weder Babiš noch Faltýnek dürften im Kabinett vertreten sein. Babiš steht außerdem wegen seiner angeblichen Tätigkeit für den kommunistischen Geheimdienst StB in der Kritik. Auch diesen Vorwurf weist der Ano-Chef zurück.

Für viele Wählerinnen und Wähler spielten die genannten Anschuldigungen offenbar ohnehin keine Rolle. Umfragen vor der Wahl hatten aber gezeigt, dass Babiš stark polarisiert. Die Zahl der Menschen, die ihn "ganz bestimmt" oder "eher" für das Amt des Regierungschefs geeignet halten, ist etwa gleich groß wie die jener, für die er "ganz bestimmt nicht" oder "eher nicht" geeignet ist. Auf beiden Seiten allerdings liegt das "ganz bestimmt" klar vor dem "eher".

Zwischen Kontinuität und Protest

Die siegreiche Partei Ano gilt als wirtschaftsliberale Gruppierung, die vor allem mit dem Abbau von Bürokratie und dem Kampf gegen Korruption wirbt. Als ehemaliger Finanzminister hat Babiš aber auch die "Elektronische Umsatzevidenz" (EET) eingeführt, die eine direkte Verbindung von Registrierkassen mit der Finanzbehörde vorschreibt und etliche Unternehmer gegen die Partei aufgebracht hat. Babiš hat den Schritt stets mit einer gerechteren und effektiveren Steuereintreibung gerechtfertigt.

Obwohl Ano bereits seit vier Jahren mitregiert, präsentiert sich die Partei nach wie vor als Protestbewegung. Ano heißt auf Tschechisch Ja, gleichzeitig ist der Parteiname eine Abkürzung für "Aktion unzufriedener Bürger". Am Wahlabend hat Babiš Vorwürfe zurückgewiesen, er wolle das demokratische System Tschechiens aushöhlen. Babiš hatte sich wiederholt für ein Mehrheitswahlrecht ausgesprochen und gilt als Kritiker des Senats, der zweiten Kammer des tschechischen Parlaments.

Für Nato- und EU-Mitgliedschaft

Politische Gegner werfen Babiš vor, als Oligarch zu agieren, der das Land von Europa entfernen wolle. Noch am Wahlabend betonte Babiš jedoch, die prowestliche Orientierung Tschechiens fortführen zu wollen und hinter der Mitgliedschaft in Nato und Europäischer Union zu stehen. Babiš gilt allerdings auch als Kritiker der EU, zuletzt vor allem in der Flüchtlingspolitik. Auch zur Einführung des Euro hat er sich ablehnend geäußert. (Gerald Schubert, 21.10.2017)