Musste das sein? In Altherrenmanier schreibt ein Chefredakteur einer freien Mitarbeiterin eine eindeutige Message, versucht dann durch eine Entschuldigung dieses Fehlverhalten rückgängig zu machen – doch geschehen ist geschehen. Sexuelle Belästigung ist auch nächtens nicht erlaubt. Auch nicht im Machtrausch. Selbst in Österreich nicht.

Mag sein, dass gerade der derzeitige Rechtsdrall mit all seinen möglichen Konsequenzen jetzt Frauen jetzt mutiger macht, männliche sexuelle Anmache anzuzeigen, zumal wenn, wie im Fall des bisherigen Chefredakteurs der "Wiener Zeitung", schriftliche Beweise vorliegen. Wenn nicht jetzt, dann nie, mögen sich manche denken: in den USA, in Deutschland und nun auch in Österreich. Es ist wohl kaum anzunehmen, dass Frauenanliegen im Zuge eines Rechtsrucks künftig primär behandelt werden. Selbst bei der sogenannten linkspopulistischen Partei Pilz ist die Vertreterin des Frauenvolksbegehrens schwuppdiwupp nicht mehr auf der Liste künftiger Pilz-Parlamentsmitglieder aufzufinden. Frauenrechte sind auch dieser Partei offenbar nicht wirklich ein Anliegen. Kein gutes Zeichen. Schade.

Sexuelle Belästigung durch Medien-Männer

In Großbritannien sind extrem populäre BBC-Moderatoren wegen widerlicher, immer wieder wiederholter sexueller Belästigung bis hin zu sexuellem Missbrauchs aufgeflogen. In den USA beherrschte in den vergangenen Tagen der Fall Weinstein die Schlagzeilen. Die von ihm belästigten und missbrauchten Frauen haben ihre Angst überwunden und schweigen nicht mehr. In Berlin hat eine Staatssekretärin eine sexuelle Anspielung eines Diplomaten publik gemacht. In Schweden klagt die Außenministerin über Übergriffe von EU-Amtskollegen. Im Vergleich mit all diesen ekligen Vorfällen wirkt der österreichische Fall zunächst wie ein Waisenkind. Zumindest aus der Sicht mancher.

Der besagte Chefredakteur hatte jedoch leichtfertig die rote Linie überschritten. Da helfen auch keine Solidaritätskundgebungen samt entsprechender Tweets von in der Medienwelt wichtigen Kollegen. Im Gegenteil. "Micro penis fraction" nennen Mitdreißiger jene Männer, die noch immer überkommen geglaubten sexistischen, frauenfeindlichen Praktiken frönen. Derer gibt es viele. Entsprechend hoch sind die Dunkelziffern in allen Berufssparten, nicht nur in Medienbetrieben.

Öffentliche, männliche Solidarität

In den Medien allerdings ist öffentliche, männliche Solidarität offenbar am meisten vertreten. Natürlich aus maskuliner Sicht. Ein Gratismassenblatt schreibt: "Der angebliche Sexskandal war eine Petitesse", ein anderer Solidarius klagt, ein nicht mehr junger Kollege stehe nun vor den Trümmern seiner Existenz, weil eine junge Journalistin möglicherweise sexuell belästigt wurde. Dem ist entgegenzuhalten, dass nicht nur jeder Chefredakteur, sondern jedermann nicht nur wissen sollte, sondern wissen muss, dass zumindest per Gesetz patriarchalisches Fehlverhalten verboten ist. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens die fortschrittlichen Mitdreißiger zu einer anderen Verhaltensethik erzogen wurden und diese auch praktizieren.

Fest steht jedenfalls, dass der plötzliche Abgang des bisherigen Chefredakteurs der "Wiener Zeitung" nichts mit der Nationalratswahl oder gar einem politischen Komplott zu tun hat. Er hat es der Eigentümerin der Zeitung, der Republik Österreich, nur leichter gemacht, ihn durch einen der neuen Regierung näher stehenden Kollegen (Kollegin?) ablösen zu können.

Integrität der Medienwelt per se infrage gestellt

Mit seinem fatalen nächtlichen Sidestep beziehungsweise Rückfall in scheinbar überholte männliche Dominanz-Usancen = sexuelle Anmache verbunden mit der Aussicht auf berufliche Verbesserung – hat er nicht nur sich und seinem bisherigen Lebenswerk extrem geschadet, er hat nicht minder, wenn nicht sogar noch mehr die Integrität der Medienwelt per se infrage gestellt. Warten wir ab, welche und wie viele Frauen sich im Zusammenhang mit anderen Herren der Branche möglicherweise melden werden. Die Seite "Me Too" auf Facebook hat ja schon einen beachtlichen Anfang gemacht.

Übrigens: Die oben gennannte Staatssekretärin des Berliner Senates heißt Sawsan Chebli und ist palästinensischer Abstammung. Der "Spiegel" zitiert sie in der aktuellen Ausgabe und verweist auf den engen Zusammenhang zwischen Sexismus und Rassismus. Auf Facebook wurde der Politikerin von freundlichen antimuslimischen Männer geraten, eine Burka zu tragen. In Österreich geht auch das nicht mehr. (Rubina Möhring, 23.10.2017)