Wenn der Boden erodiert, steht das Wasser bis zum Hals: Khvay Samnangs Videoinstallation "Where is my Land" (2014).


Foto: Khvay Samnang / Sa Sa Bassac

Wien – Wie das Luftbild eines Felsens wirkt die großformatige Fotografie – ein feingezackter Riss zieht sich durch glattes Gestein. Doch handelt es sich nicht um eine brüchig werdende Gebirgsformation, sondern um die Vergrößerung eines Schädels, um die Knochennaht. Der Titel von Adriana Arroyos Lamina (I remember that I have remembered the same thing an untold number of times already) III weist doppelt auf diese Mehrdeutigkeit hin: Der Begriff Lamina bezeichnet sowohl die einzelnen Schichten der Großhirnrinde als auch einzelne dünne Lagen einer geschichteten Sedimentablagerung. Das mit titelgebende Zitat des Schriftstellers Jorge Luis Borges verweist derweil auf die Instabilität von Bedeutung in der Erinnerung.

Arroyos Arbeiten zählen zu den stilleren der Ausstellung Flüchtige Territorien im Kunstraum Niederösterreich, sie bestechen nicht durch große Flaggen oder Transparente. Aber in ihrer eindringlichen Schlichtheit spitzen sie die Themenkomplexe zu, um die sich die von Maren Richter und Klaus Schafler kuratierte Gruppenschau dreht: die Instabilität von Orten, das menschliche Eingreifen in die Natur und das Sichtbarmachen sich überlagernder Schichten – geologischer, sozialer und politischer.

Die zweite Arbeit der aus Costa Rica stammenden Künstlerin, If it Holds Water III, besteht aus drei mit Wasser befüllten Pappkartons, das – so bangt man – jeden Moment aus den fragilen Behältnissen auszurinnen droht. Die Beschäftigung mit dieser labilen Stabilität erklärt Arroyo mit ihrer Herkunft. Bedingt durch die Lage am Pazifischen Feuerring lebe man in Costa Rica stets in der Erwartung des nächsten Erdbebens, die Unsicherheit gegenüber den Naturgewalten sei Teil des Alltags geworden.

Sand statt See

Von einem gewalttätigen Eingriff des Menschen in die Natur erzählt indes die Videoinstallation Where is my Land des kambodschanischen Performancekünstlers Khvay Samnang. Er kritisiert die unaufhaltsame Geschwindigkeit der Stadtentwicklung um Phnom Penh. Indem Seen mit Sand aufgefüllt werden, erschließt man hier neue Baugebiete für Luxusappartements. Die ärmeren Uferbewohner verlieren mit dem Wasser ihre Lebensgrundlage und müssen fliehen – so sie nicht bereits gewaltsam vertrieben wurden. Währenddessen erodieren die Ufer des Mekong-Flusses, aus dem der Sand gewonnen wird. Khvay macht die Konsequenzen dieses Raubbaus für den menschlichen Körper deutlich, wenn er den Tänzer Nget Rady in einem schlammigen Uferabschnitt performen lässt, der bereits der Erosion zum Opfer gefallen ist.

Dass es sogenannte kalkulierte Orte aber auch in unmittelbarer Nähe, am Rande Wiens, gibt, zeigt das fortlaufende Projekt Grammatik der Dringlichkeiten. In dessen Rahmen beschäftigt sich der Kunstraum Niederösterreich u. a. mit dem Alberner Hafen in Simmering, wo nach Abriss des Gasthauses zum Friedhof der Namenlosen zur weiteren Nutzung "aktuell unterschiedliche Interessenlagen aufeinanderprallen", so die Kuratoren. In Exkursionen mit Künstlern und Wissenschaftern wird versucht, vor Ort Verflechtungen von Geschichte, Interessen und Konflikten freizulegen, die Ergebnisse sind in der Schau zu sehen. (Kathrin Heinrich, 24.10.2017)