"Ich habe keinerlei Appetit, ins Wiener Rathaus zu wechseln", sagte Bundeskanzler Christian Kern am Montag.

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Wien – Unmittelbar vor Beginn echter Koalitionsverhandlungen hat Noch-Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern am Montagabend in der "ZiB 2" die Duldung einer von ÖVP-Chef Sebastian Kurz geführten Minderheitsregierung ins Spiel gebracht.

ORF

Sollte Kurz diese Option erwägen, sei er bereit, darüber zu verhandeln, sagte Kern. Er begründete die Überlegungen damit, dass es aus SPÖ-Sicht vor allem wichtig sei, eine Regierungsbeteiligung der FPÖ zu verhindern.

"Gänzlich unwahrscheinlich"

Große Chancen räumt er einer Minderheitsregierung freilich nicht ein, aus heutiger Sicht sei sie "gänzlich unwahrscheinlich". Angesichts der inhaltlichen Überschneidungen von ÖVP und FPÖ sowie der Aussagen in letzter Zeit gehe er fix davon aus, dass "Türkis-Schwarz-Blau" kommt. Die Möglichkeiten Rot-Blau und Schwarz-Rot seien "vom Tisch". Die Schnittmenge reiche "nicht aus, um eine Regierung zu bilden", erklärte Kern.

Auch ÖVP-Chef Sebastian Kurz, der vor der Wahl in informellen Gesprächen immer wieder die Möglichkeit einer Minderheitsregierung ventiliert hatte, meinte zuletzt, diese sei "definitiv nur Plan B". Sein Ziel sei "eine stabile Regierung, um die notwendigen Veränderungen und Reformen anzugehen", so der 31-Jährige am Sonntagabend nach einem Gespräch mit Kern.

Von Grünen enttäuscht

Im Wahlkampf hatten viele in der ÖVP noch darauf gehofft, 35 oder mehr Prozent bei der Nationalratswahl zu machen. Gemeinsam mit Grünen und Neos wäre man, so damals die Überlegung von schwarz-türkisen Strategen, in die Nähe einer Parlamentsmehrheit gekommen.

Davon ist nun nach dem Ausscheiden der Grünen aus dem Nationalrat keine Rede mehr. Sollten die Koalitionsverhandlungen mit den Freiheitlichen also scheitern, wäre Sebastian Kurz der SPÖ in einer Minderheitsregierung gänzlich ausgeliefert.

Frage des Angebots

Eine Frage ist also, welche Angebote Kern dem Wahlsieger machen könnte, damit dieser keine klassische Koalition wählt. Eine zweite Frage ist, welche Rolle Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei all diesen Überlegungen spielt. Jede Regierung muss schließlich von ihm angelobt werden. Seine Skepsis gegenüber einer FPÖ-Regierungsbeteiligung ist bekannt und sorgt auch aktuell für Gesprächsstoff (mehr dazu hier).

Eine Minderheitsregierung gab es in Österreich erst einmal. SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky überholte 1970 zwar die ÖVP, konnte aber keine absolute Mehrheit erreichen. Die Freiheitlichen stützten damals sein Kabinett, ohne aber formell der Regierung anzugehören. Kreisky sicherte sich damals die Unterstützung der FPÖ durch das Versprechen, das Wahlrecht minderheitenfreundlicher zu gestalten.

Von langer Dauer war das Projekt nicht. Bereits 1971 wurde wieder gewählt, bei dieser Wahl konnte sich Kreisky dann die absolute Mehrheit sichern.

Kern will bei nächster Wahl antreten

Bereits an die Zukunft denkt auch Kern. Am Montag ließ er sich von seiner Partei zum Klubchef im Parlament designieren. Diese Funktion will er fünf Jahre ausüben, wie er in der "ZiB 2" sagte. Ziel sei es, das Ergebnis bei der nächsten Wahl "wieder umzudrehen". Eine Flucht ins Wiener Rathaus, um dort die Nachfolge von Bürgermeister Michael Häupl anzutreten, schloss der Kanzler aus. "Ich habe keinerlei Appetit, ins Wiener Rathaus zu wechseln." (go, 23.10.2017)