Suchen muss man schon lange nicht mehr. Im Gegenteil. Denn die Shirts mit den großen Lettern fallen auf – zumal sie meist im Rudel auftauchen. Beim Vienna City Marathon genauso wie beim großen Bruder in Berlin. Beim Köln-Marathon ebenso wie beim Yoga-Lauf-Event Wanderlust (hier im Bild) diesen Spätsommer im Wiener Augarten. In der Wachau. In Graz. Oder einfach auf der PHA, der Prater Hauptallee. Und – das vor allem – am Wiener Donaukanal: Ein A und ein R: Adidas, der Riese aus Herzogenaurach, bringt mehr auf die Piste als "nur" Schuhe, gesponserte Athleten, Event-Patronanzen. Mehr als Claims, Bilder und eingekleidete Meinungsmacher und Multiplikatoren: Die Marke mit den drei Streifen will mehr. Will Wert. Mehrwert – das ist etwas, das auf lange Sicht auch für ein Unternehmen wertvoller ist als Absatz- und Stückzahlen. Ein Gefühl nämlich. Das Gefühl, dazuzugehören. Teil einer Gemeinschaft zu sein: Adidas Runners heißt sie.

Foto: Thomas Rottenberg

Laufklubs gibt es unzählige. Auch von großen Labels gesponserte Vorzeige-Laufcommunitys. Nikes NRC etwa, die Laufgruppen von Runners Point oder Run Inc., Brooks urbane Lauftouren, die Lauftreffs des Frauenlaufes – es sind längst viele. Und es werden immer mehr. Und die Chance, sich da durch den Markennamen im Titel als mehr als reiner Hersteller & Verkäufer von Hardware zu etablieren, lässt sich keine Marke entgehen.

Der elitärste Klub in diesem Reigen dürften derzeit wohl die Asics Frontrunner sein: In fast jedem Land der (ersten) Welt gibt es sie. Und nicht alle Frontrunner sind Spitzenathleten. Das sind zum Teil Läufer und Läuferinnen wie Sie und ich – auf den ersten Blick. Auf den zweiten – spätestens wenn man den Bewerbungswettkampf im persönlichen Laufumfeld um Aufnahme, Einladungen und (üppige) Ausstattung, mitbekommt – fällt rasch auf, dass die japanische Megamarke ihren Markenbotschafter-Mix sehr präzise und bewusst zusammenstellt: Bunt und weit gestreut – aber sehr genau gesteuert. Aus PR-Sicht ist das sehr gut nachvollziehbar.

Adidas geht in die Gegenrichtung: Musste man sich früher, bis 2015, bewerben oder eingeladen werden, um ein Adidas Runner werden zu können, sind die Runbases des Konzerns von Dubai bis Oslo, von São Paulo bis Mumbai heute offen. Für jede und jeden – mit Absicht: Das "AR" am Shirt ist sichtbarer als das Elitekonzept der Frontrunner. Es ist volksnah, mitten im Leben, offen – und positioniert die Marke nicht abgeschottet, sondern als Förderer von Sport, Gesundheit und Lebensfreude für jedermensch. "Hey, willst du einer von uns sein? Kein Problem! Komm – und mach einfach mit!"

Foto: Thomas Rottenberg

Aber der Reihe nach. Am Anfang stand – no na – ein Schuh. Als vor einigen Jahren die Boost auf den Markt kam, war da neben dem üblichen Marketingsprech noch etwas im Gepäck: ein Community-Marketingkonzept. Mit der Präposition Boost wurden kleine und exklusive Laufzirkel etabliert. Mit Hashtag vorneweg, eh klar: #boostberlin begann 2014 mit 50 Läuferinnen und Läufern. Man belief die Stadt als Gruppe – und fiel dementsprechend auf. Auch weil das doppelte deutsche Lauf-Fräuleinwunder, die Hahner-Twins, als medienwirksames Testimonial mit dabei war.

Andere Städte boosten auch bald: Hamburg. München. Paris. Dort war das Laufrudel manchmal angeblich bis zu 3.000 Stadtläuferinnen und -Läufer groß.

Die Kunst guten Marketings ist es, Dinge "viral" erscheinen zu lassen – und so zum Kult zu stilisieren. Bei #boostberlin gelang das. Auch weil da in Kreuzberg eine heute legendäre Homebase errichtet wurde. Ein imposantes Loft. Was so was kostet? Falsche Frage. Auf alle Fälle weniger, als es bringt: Nur aus Liebe zur Sache macht man so was nicht.

Wien war da auch schon dabei. Vergleichsweise klein: mit einem Container am Donaukanal. Dort gab es einen Automaten mit "Laufschuh to go"-Service.

Foto: Thomas Rottenberg

2016 entschied Adidas, das #boost-Konzept richtig zu boosten: Im Rahmen der Runners City Night kamen im August 2016 in Berlin Läuferinnen und Läufer aus 17 europäischen Städten zusammen. Aus #boostberlin wurden die Adidas Runners Berlin – und kurze Zeit später folgten alle anderen Laufstädte diesem Beispiel. Auch in Wien. Und weil der gelbe Container längst zu klein war, ging man aufs Schiff: Der Laderaum des Badeschiffes am Donaukanal wurde zur Runbase – zu Drehscheibe und Angelpunkt des Wien-Ablegers der Laufcommunity mit den drei Streifen.

Foto: Thomas Rottenberg

Ganz so feudal wie die (inklusive Outdoor-Trainingsbereich) 2.000 Quadratmeter der Kollegen in Berlin (Sportfood-Küche, Shop, Indoor-Trainingsbereich, Umkleiden und Duschen und fetter Loungebereich) geht es am Badeschiff nicht zu. Dennoch sind die Wiener stolz auf ihr Hauptquartier – und den streng auf "urban independency" getrimmten Charme und Auftritt, der den Big-Business-Konzern dahinter zwar stets im Namen führt, aber doch ein wenig vergessen lassen soll: Es gibt Spinde und Duschen, einen Trainingsbereich, in dem neben Yoga auch Functional Training angeboten wird, eine Wall of Fame und …

Foto: Thomas Rottenberg

… selbstverständlich auch eine Unmenge an Test-Laufschuhen zum Ausborgen. Kostenlos, versteht sich. So wie das Lauf-Coaching-Angebot. Und mit drei Euro für Crosstraining- oder Yogaeinheiten werden einem eher Anstands- denn echte Preise verrechnet: Fast scheint es, die Runbase sei eine öffentlich-kommunale Einrichtung – und kein Projekt eines Unternehmens, das am Ende des Tages natürlich seine Produkte an den Mann oder die Frau bringen will.

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Die "richtige" Marke an Fuß und Körper ist daher auch nicht Bedingung, um mitspielen zu dürfen. Man muss nur eines tun: da sein und mitmachen.

Denn promotet wird nicht die Marke qua Produkt, sondern ein Lebensstil. Eine Haltung: Bewegung, Gesundheit und Gemeinschaft – als ganzheitliches Konzept. Daran ist nichts auszusetzen: Auf die "tägliche Turnstunde" können sich in Sonntagsreden schließlich sogar die Vertreter von sonst spinnefeindlichen Parteien einigen. Auch wenn es nie da zur Umsetzung kommt, ist der Konsens offensichtlich: Sport ist gut – erst recht, wenn ein Unternehmen dort in die Bresche springt, wo Institutionen auslassen.

Druck und Verkaufsgeplärre sind da gar nicht nötig, um die Klientel, die man ansprechen will, irgendwann zur Marke zu holen. Das geht ganz von selbst. Nicht heute. Nicht morgen. Aber übermorgen – und dafür glaubwürdig, nachhaltig und mit hoher Bindungskraft.

Foto: Thomas Rottenberg

Ein Trick dabei lautet Communitybuilding: Mitspielen darf bei den Adidas Runners nämlich wirklich jeder. Man muss auch nicht schnell oder sonstwie besonders sein, um hier mit einem freundlichen Lächeln begrüßt und aufgenommen zu werden. Wer Teil der Community ist, will das dann auch nach außen zeigen. Etwa durch das Tragen des Shirts mit dem A und dem R vorne drauf – und das Leiberl muss man halt erst verdienen: mitmachen. Punkte sammeln. In der Gruppe Verantwortung übernehmen: Bei den Pfadfindern, der Jungschar oder der Feuerwehrjugend funktioniert das im Grunde genauso – inklusive Abzeichen und Hierarchie-Pyramide: Bei den Läufern in Wien sind das derzeit zwei Captains, drei Coaches (eine davon "Captain Miss Crew" – also auf die Girl-Gang spezialisiert) und neun Crew-Runner – bei insgesamt rund 300 Aktiven.

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Außerdem gibt es noch eine Handvoll Spezialistinnen und Spezialisten, die Yoga, Core-Training, Crossfit- und Krafttraining oder spezielle Laufskills trainieren.

Eine davon ist Elisabeth Niedereder. Die 20-fache Lauf-Staatsmeisterin (meist über Distanzen zwischen 400 und 800 Metern) geht mit den Hobbyläuferinnen und -läufern vom Badeschiff mitunter fünfmal pro Woche trainieren. Das Spektrum reicht da von Wochenende-Longjogs über Intervalltraining bis hin zur After-Work-Lauftechniksession.

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Wobei Niedereder selbst einräumt, dass es bei einer Gruppe von 30 und mehr Läuferinnen und Läufern de facto unmöglich ist, jeden Einzelnen genau zu beobachten und auch noch individuell zu korrigieren. "Darum geht es gar nicht. Ich will Anreize setzen, Anleitungen geben und Vorschläge machen." Also eine Idee von dem vermitteln, was der Unterschied zwischen Laufen und Laufen ist. – Und was jeder und jede bei gleichem Zeitaufwand herausholen kann, wenn da nur eine Spur Struktur und System ins Training kommt.

Foto: Thomas Rottenberg

Speziell beim Lauftechniktraining kommt noch etwas dazu. Neben der Steigerung von Effizienz und der Verbesserung von Koordination, Balance und Kontrolle über das, was der Körper alles tut, wenn er "nur läuft", kommt dann auch die Verletzungsprophylaxe. Sogar dann, wenn man beim "ministry of silly walks" nur jeden dritten oder vierten Hopser-, Abdrucklauf- oder Trippelschritt tatsächlich richtig setzt.

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Denn durch das Durchbrechen der starr-routinierten Bewegungsabläufe, "lernt" der Körper, dass es manchmal auch anders als gewohnt zugehen kann – und reagiert besser, dynamischer und schneller auf "unerwartete" Eindrücke. Etwa ein kleines Umknöcheln, eine Bodenunebenheit oder ein feuchtes, am Boden wegrutschendes Blatt.

Ganz abgesehen davon: Wer am Abend alleine am Donaukanal im Idiotenhoppserlauf unterwegs ist, kommt sich vielleicht ein bisserl blöd vor. In der Gruppe – wenn alle gleich seltsam aussehen – tut man sich da leichter. Schummelt vielleicht weniger. Und lernt Leute kennen, mit denen man eventuell nicht nur die Steigerungsläufe vis a vis der Urania teilen möchte

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Schließlich ist Laufen heute ein sozialer Akt. Etwas, das am meisten Spaß macht, wenn es in einer Gruppe Gleichgesinnter stattfindet: der Mensch, das Herdentier.

Wenn man sich das Rudel selbst aussuchen kann, ist das doppelt fein. Und wenn man Angehörige der eigenen "Gang" auch am Ende der Welt auf den ersten Blick identifizieren kann, ist es am feinsten. Egal ob in New York zwischen 40.000 Marathonis, allein in aller Herrgottsfrüh auf den nebligen Steinhofgründen. Oder wenn einem am Donaukanal im Dunkeln plötzlich 30 Läufer im Pulk entgegenkommen.

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Mehr Infos gibt es auf www.adidasrunners.de. Die Vienna-Section findet man am einfachsten am Donaukanal beim Badeschiff oder auf Facebook: An den kostenlosen Läufen kann man auch einfach so teilnehmen – aus organisatorischen Gründen ist eine Anmeldung aber hilfreich. (Thomas Rottenberg, 25.10.2017)

Mehr Fotos vom Lauftechniktraining mit Elisabeth Niedereder gibt es hier.


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