Die Art wie die Gesellschaft mit Sexismus umgeht, hat ein Problem: viel kurzzeitige Empörung, wenig langfristige Handlung.

Grafik: Margareta Stern

Mein Feed ist voll mit #metoo-Statements, und ich bin null überrascht. Eigentlich sind es noch viel zu wenige. Denn ich kenne keine Frau, die nicht schon einmal sexualisierter Gewalt ausgesetzt war. Dass der #metoo-Hashtag viral geht, zeigt somit nur bedingt die Symptomatik des Problems. Vielmehr zeigt dieser Aufschrei auf, was wir eh schon seit langem wissen und was mir, offen gesagt, gehörig auf die Nerven geht:

Erstens, (fast) jede Frau erfährt im Laufe ihres Lebens sexuelle Belästigung und/oder sexualisierte Gewalt, und zweitens ist es immer noch reine Frauensache, sich darum zu kümmern, dass es besprochen wird (beziehungsweise nicht stattfindet) oder sich im Falle eines Falles selbst zu verteidigen (schlagen, anschreien) und abzusichern ("Ich habe Nein gesagt").

Rolle der Erzieherin

Unser Sexismus beziehungsweise unsere Art, mit Sexismus umzugehen, hat ein Problem: viel kurzzeitige Empörung, wenig langfristige Handlung. Neben der Tatsache, dass ich fast täglich Belästigungen ausgesetzt bin – sei es im Internet, unter Freunden oder auf offener Straße –, bin ich auch diejenige, die sich damit auseinandersetzen muss, wie sie mit diesen Situationen umgeht.

Ich fühle mich permanent in die Rolle einer Erzieherin gedrängt, die gebetsmühlenartig wiederholt, was in Ordnung ist und was nicht – und ich fühle mich in dieser Rolle verdammt unwohl. Ich fühle mich nicht dazu berufen, Leute erziehen zu müssen, die anscheinend nie gelernt haben, wie man flirtet, (Körper-)Kontakt sucht, andere berührt. Aber ich muss es tun, denn die Alternative wäre es, diese Leute einfach machen zu lassen und die Konsequenzen zu akzeptieren.

Phänomen unfehlbarer Mann

Die Sisyphusarbeit hierbei liegt in der Benennung des Problems, diese wird nämlich meistens nicht angenommen. Jedes Mal, als ich bisher Männer darauf ansprach, mich aufgrund ihres Verhaltens bedrängt oder belästigt gefühlt zu haben, stieß ich auf Ungläubigkeit, tiefe Kränkung, Aggression, Gelächter oder den Versuch, mich als lächerlich oder hysterisch darzustellen. Die immer noch "besten" Reaktionen: Schulterzucken, ein mehr oder weniger ernst gemeintes "Sorry" oder "Ja, eh".

Das interessanteste Phänomen ist: Vor allem Männer, die sich selbst als links, aufgeklärt und feministisch bezeichnen würden, tun sich schwer, ihr Fehlverhalten einzusehen. Denn je unfehlbarer man sich selbst fühlt, desto weniger fällt es einem auf, wenn man auf Kosten anderer einen Fehler macht. Die Sexisten, das sind die anderen. Nach dem Motto: "Was habe ich mit dem Typen gemein, der Frauen in der U- Bahn sagt, dass er gerne Sex mit ihnen hätte? Nichts. Ich mache Komplimente! Belästigen, das tun Creeps und Typen, die eh keine abkriegen. Ich bin doch kein Creep!"

Immunität und Ironie

Aufgrund des falschen Selbstbewusstseins, der politischen Einstellung und ihrer klugen Aussagen zum Thema Gleichberechtigung haben viele die Annahme, immun dagegen zu sein, zum Täter zu werden – und bewegen sich deshalb unter Frauen oft wie die größten Machos. Sollte ihnen ihr Verhalten nun doch einmal angelastet werden, verschwindet der Vorwurf schnell unter dem Deckmantel der Ironie: "Geh, hab dich nicht so, das war doch ein Scherz, sei einmal leiwand." Durch diese Rhetorik macht er sich weniger angreifbar und nimmt der Kritik den Wind aus den Segeln. Sie überlegt dann: "Er kann es nicht so gemeint haben, er ist doch ein netter Typ. Reagiere ich über? Was habe ich gegen 'War doch nur ein Scherz' überhaupt noch einzuwenden?"

Sinnvoller Dialog

Die Wahrheit ist: Wir alle haben Besserungspotenzial. Auch ich trage Sexismen in mir herum und schleppe Vorurteile mit, dessen bin ich mir bewusst. Aber Erkenntnis ist der erste Weg zur Besserung. Wer sich selbst für unfehlbar hält, der wird sich kaum weiterentwickeln können. Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt deshalb auch nicht in der Kommunikation der Problematik an sich, sondern in der Möglichkeit, anschließend sinnvoll Dialog darüber zu führen. Hierzu sollte nicht nur der Frau die Möglichkeit gegeben werden, über ihren Schatten springen und über das ihr Geschehene reden zu können, sondern es liegt eben auch in der Verantwortung des Mannes, sich mit der Problematik zu beschäftigen und damit auseinanderzusetzen. Nur weil ich als Frau in die Opferrolle gedrängt werde, habe ich lange noch nicht alleine die Bringschuld, auf das Problem aufmerksam zu machen.

Eine gut gemeinte Botschaft an alle Männer, auch an die, die sich selbst längst als Feministen bezeichnen: Helft mir in so einem Fall aus der Rolle der Erzieherin hinein in die Rolle der Erwachsenen, die mit einem anderen Erwachsenen erwachsen über eine unangenehme Situation reden und diese dadurch auch meistern kann. Überwinde dich, akzeptiere die Möglichkeit, einen Fehler gemacht zu haben, und gib dir die Chance, dich und das ganze System zu verbessern. Männer, ihr könnt das auch! Egal ob ihr eure eigenen Handlungen hinterfragt, andere Männer bremst oder Frauen auf übergriffiges Verhalten ansprecht. Ihr schafft das schon, ich glaub an euch!

"Es ist Zeit!"

Gerade jetzt wäre es wichtig, dass wir alle aufstehen und das Problem gemeinsam angehen. Denn eben sind aus der Nationalratswahl zwei Parteien als klare Sieger hervorgegangen, die besitzergreifend von "unseren Frauen" reden – was die Überlegenheit des Mannes als unanfechtbare Selbstverständlichkeit impliziert – und die sich etwa gegen den sogenannten "Pograpsch-Paragrafen" ausgesprochen haben. Von solch einer politischen Führung kann man sich nicht erwarten, dass Themen wie sexuelle Belästigung, Antidiskriminierung und Gleichberechtigung sinnerfassend thematisiert und behandelt werden. Deshalb, um es mit den Worten konservativ-rechter Politiker auszudrücken: "Nehmen wir unsere Zukunft selbst in die Hand" (Frank Stronach) oder "Es ist Zeit!" (Sebastian Kurz). (Margareta Stern, 25.10.2017)