6.000 Menschen wohnen bereits in der Seestadt Aspern, 20.000 sollen es einmal werden.

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Fehler früherer Stadtentwicklungen will man hier vermeiden. Sammelgaragen sind wichtiger Bestandteil des Mobilitätskonzepts.

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Alexander Kopecek leitet den Mobilitätsfonds der Seestadt.

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Wien – Eine alte Weisheit im Fußball lautet, nach dem Spiel sei vor dem Spiel. In der Seestadt Aspern gilt demnach: Nach der Baustelle ist vor der Baustelle. 6000 Menschen wohnen bereits hier, und immer noch drehen sich an der östlichen Endstation der U2 unermüdlich gelbe und rote Baukräne. Bis 2030 sollen hier 20.000 Leute wohnen und ebenso viele Arbeitsplätze entstanden sein.

Keine zugeparkten Straßenschluchten

Zentrale Bedeutung für das Funktionieren des neuen Stadtteils hat das Mobilitätskonzept. Dabei werde ein "Modal Split" von 40 Prozent Radfahren und Gehen, 40 Prozent öffentlichem Verkehr und 20 Prozent Autofahrern angestrebt, heißt es vonseiten der Entwicklungsgesellschaft Wien 3420 AG. Ein Retro-Lebensgefühl mit zugeparkten Straßenschluchten will man auf jeden Fall vermeiden. Teil des Konzepts sind Sammelgaragen, Fahrradverleihe und öffentliche Räume, die attraktiv für Fußgänger und Radfahrer sind.

Plakativ gesagt: Kurze Wege bis etwa 250 Meter oder 300 Schritte sollen möglichst ohne Ottomotor zurückgelegt werden. Dies wolle man aber "nicht in einer Verbots-, sondern in einer Motivationskultur erreichen", sagte Alexander Kopecek, 3420-Vorstand und verantwortlich für den Mobilitätsfonds der Seestadt, beim STANDARD-Wohnsymposium. Der Mobilitätsfonds speist sich aus Einnahmen aus dem Garagenbetrieb in der Seestadt.

Seestadtflotte mit E-Bikes

Als Anreiz, das Auto öfter stehenzulassen, gibt es zum Beispiel ein von 3420 subventioniertes Radverleihsystem. Zur sogenannten Seestadtflotte gehören neben klassischen Rädern auch E-Bikes und E-Lastenfahrräder. Der Verleih funktioniert mit der Seestadtcard. Beim Einzug bekommt jeder Haushalt außerdem einen Einkaufstrolley geschenkt.

Das Prinzip der Sammelgaragen ist nicht nur vergleichsweise ökologisch und günstig, sondern soll auch Leben in den öffentlichen Raum bringen. Wer sein Auto dort und nicht in einer Tiefgarage unter der Wohnung parkt, wird automatisch für kurze Zeit zum Fußgänger.

Bei einer Besichtigung des Verkehrskonzepts in der Seestadt wurden von Teilnehmern des Wohnsymposiums dennoch kritische Fragen zum Mobilitätsmix und zur Distanz der Sammelgaragen laut. Flächen für kurzfristiges Parken – etwa bei Umzügen – und Stellplätze für Gehbehinderte seien durchaus vorhanden, sagte Marvin Mitterwallner, zuständig für Mobilität und Besuchermanagement bei 3420.

Strafzetteln sorgten für Unmut

"Es gibt aber auch unter den Bewohnern in der Seestadt immer noch einige, die sich mehr Parkplätze wünschen würden", räumt Mitterwallner im Gespräch mit dem STANDARD ein. Auch dass es 2015 für viele Seestadt-Pioniere zum Einstand gleich einmal Strafzettel von Parksheriffs gab, drückte auf die Aufbruchstimmung mancher Bewohner.

Ins Gesamtkonstrukt Seestadt fließen nicht nur insgesamt fünf Milliarden Euro Investitionen, sondern auch unzählige Überlegungen ein, wie man alte Fehler der Stadtentwicklung vermeiden kann. Statt verschlafener Wohnviertel und anonymer Büroblöcke will man von Anfang an einen lebendigen Mix aus Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Manche Gassen und Plätze haben mit ihren Stiegen und Winkeln schon das Potenzial für ein wenig italienisches Flair. Auch die öffentliche Anbindung mit U-Bahn, sieben Buslinien und künftig auch einer Straßenbahn ist ein Plus. Eine neue schnelle Bahnverbindung zwischen dem Wiener Hauptbahnhof und Bratislava mit der ÖBB-Station Aspern Nord soll die Seestadt als Wirtschaftsstandort noch attraktiver machen.

TU Wien sieht "Optimalmix"

Kopecek sieht beim Zusammenhang zwischen Wohn- und Mobilitätskosten große Vorteile für die Seestadt-Bewohner. Peripher gelegene Grundstücke seien spottbillig, brächten aber hohe Mobilitätskosten mit sich, wohingegen es bei einer Innenstadtimmobilie, zum Beispiel in Wien-Neubau, wiederum umgekehrt sei. Die TU Wien habe nachgewiesen, dass die Seestadt niedrige Mobilitätskosten – durch örtliche Infrastruktur und öffentliche Anbindung – mit relativ moderaten Grundstückskosten verbindet. Das Verhältnis zwischen Wohn- und Mobilitätskosten sei in der Seestadt "ein Optimalmix", sagt Kopecek. (Lukas Kapeller, 25.10.2017)