Fahrräder werden auch in österreichischen Städten zunehmend zum normalen Fortbewegungsmittel, wenn die Rahmenbedingungen passen.

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Wien – Auch wenn manche Boulevardzeitung noch immer zum Match der Autofahrer gegen andere Mobilitätsformen ausruft, sind Stadtplaner einig, dass intensiv an Alternativen gearbeitet werden muss. Nachdem Wien in 15 Jahren um die Einwohnerzahl von Graz gewachsen ist, ist der Stadtverkehr neben einem Umwelt- schlicht auch ein Platzproblem.

"Grundrecht auf Mobilität"

"Der Zeitpunkt des Übersiedelns ist ideal, um Anreize für eine Verhaltensänderung in der Mobilität zu setzen", sagt Martin Orner, Obmann der gemeinnützigen EBG, und sieht die Themen Wohnen und Verkehr eng verbunden. Es gebe "ein Grundrecht auf Mobilität, aber kein Grundrecht auf Autofahren", findet Orner. Gerade jüngere Leute, beobachte man in der EBG, würden entweder auf ein eigenes Auto verzichten oder dieses zumindest nicht täglich nutzen. Oft werde kein Garagenplatz genommen, um Geld zu sparen.

Orner nennt als Voraussetzung für ein Umdenken in Richtung ökologischer Mobilität, dass "man die Leute nicht ärgern darf". Wenn ein Bauträger eine Sammelgarage in 200 Meter Entfernung vom Objekt anbiete, sollten bei Bedarf auch temporäre Parkmöglichkeiten vorhanden sein. Orner denkt nicht nur an die Umzugsphase, "in der man nicht ohne Autos auskommen wird", sondern etwa an den Besuch älterer Verwandter.

Beim Thema Stellplätze sieht Harald Frey, Verkehrsexperte an der TU Wien, auch enorme Steuerungsmöglichkeiten für die Stadtentwicklung. Die jahrzehntelange Praxis beurteilt er kritisch. "Die unmittelbare Nähe der Stellplätze, so wie sie in den Bauordnungen vorgesehen ist, verunmöglicht die Chancen für alternative Verkehrsmittel", sagt Frey. Es sei schwierig, ein Mobilitätsverhalten aufzubrechen.

Sammelgaragen als Ausweg

Als Gegenmodell zu Stellplätzen in unmittelbarer Nähe zur Wohnung plädiert er für Sammelgaragen. Wie ein Beispiel in der Nähe des Helmut-Zilk-Parks im Sonnwendviertel in Wien-Favoriten zeige, sei es möglich, auf einem eigenen Baufeld eine Hochgarage zu errichten, in der sich Bewohner verschiedener Wohnanlagen einmieten können. "Die Autos zentral zu stapeln, nach dem Prinzip der Hochgarage, ist auch schlauer und günstiger als eine Tiefgarage", sagt Frey. Wenn die nächste Öffi-Haltestelle und das eigene Auto beide etwa 200 Meter entfernt lägen, sei das eine Wahl, bei der man sehr wohl abwägen würde.

Abseits der Tagespolitik lobte Meinungsforscher Günther Ogris vom Sora-Institut die gesellschaftliche Bedeutung des öffentlichen Verkehrs. Dieser bringe junge Menschen – gerade aus einkommensschwachen Elternhäusern – zu ihren Schulen, Universitäten und Arbeitsplätzen. "Dieses System gibt Menschen, die zum Beispiel in Niederösterreich oder im Burgenland aufgewachsen sind und wenig verdienen, die Möglichkeit, weiter zu fahren und einen Job anzunehmen, in dem sie mehr verdienen. So bringen öffentliche Verkehrsmittel Menschen zu Jobs, in denen sie den sozialen Aufstieg schaffen können", erinnerte Ogris an die grundsätzliche Bedeutung von Bus und Bahn.

Die Beziehung zum Auto sei in der jungen Generation eine andere geworden. "Bei 30-Jährigen, die sich überlegen, eine Wohnung zu kaufen, kommt das Auto an zweiter Stelle, und sie verzichten darauf", sagt Ogris. Auch dies hänge mit dem funktionierenden öffentlichen Verkehr zusammen.

Rückkehr der Promenaden

Architekt Hubert Hermann beobachtet in der Stadtentwicklung eine Renaissance der autofreien und verkehrsarmen Grätzeln. In Mainz plane er mit seinem Büro gerade ein neues Stadtviertel auf dem Heiligkreuz-Areal. Das Ziel: 50 Prozent der Wege sollen Promenaden zum Radfahren und Flanieren werden, 50 Prozent befahrene Straßen. Lebendige Stadtquartiere würden von kleinen Geschäften, Handwerkern und Freiräumen leben. "Mobilität und Aufenthaltsqualität können sich widersprechen", sagt Hermann. "Garageneinfahrten und Müllräume verbreiten eine gewisse Düsternis."

Im Großprojekt Seestadt will man frühere Fehler nicht wiederholen. Man strebe einen Mobilitätsmix von 40 Prozent Rad- und Fußverkehr, 40 Prozent Öffis und 20 Prozent Autofahrern an, sagt Gerhard Schuster, Chef der Entwicklungsgesellschaft Wien 3420 AG. In einer Umfrage unter den bisher 6000 Bewohnern hätten 53 Prozent gesagt, man brauche kein Auto in der Seestadt, 47 Prozent fanden, sie benötigen eines. (kap, 27.10.2017)