Geht es nach Neos-Chef Matthias Strolz, sollen sich die Freiheitlichen zu Europa bekennen müssen. Er verlangt, dass sie aus der gemeinsamen Fraktion mit Marine Le Pen im EU-Parlament austreten.

Foto: Der Standard/Cremer

"Wir machen keine Koalition mit der FPÖ. Auch dann nicht, wenn ich das Angebot bekäme, Bildungsminister zu werden", sagt Matthias Strolz.

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STANDARD: Bereuen Sie schon, dass Sie im Vorjahr keine gemeinsame Wahlplattform mit Sebastian Kurz gegründet haben? Dann wären Sie jetzt auf der Siegerseite.

Strolz: Nein. Ich habe damals die Gespräche beendet, weil er nicht bereit war, die alten Strukturen der ÖVP zu verlassen. Das halte ich noch immer für richtig.

STANDARD: Jetzt haben Sie Kurz für ein Sondierungsgespräch getroffen. Haben Sie das Gefühl, dass er es ernst meint mit Reformen, oder ist das alles nur Show?

Strolz: Das ist völlig offen. Handwerklich hat er sicher einen guten Wahlkampf gemacht – Respekt. Aber man muss auch sagen: Inhaltlich hat er sich von unseren Haltungen sicher wegentwickelt. Der Sebastian Kurz des Oktober 2017 ist nicht mehr der Sebastian Kurz des Jänner 2016. Er hat eine Metamorphose vollzogen.

STANDARD: Gemeinsam mit den Neos hätte Türkis-Blau eine Verfassungsmehrheit. Wie würden Sie Ihre Rolle anlegen?

Strolz: Wir werden uns bei dumpfen rechtspopulistischen Ansagen und Maßnahmen sicher nicht für eine Zweidrittelmehrheit hergeben. Aber wir sind eine gestaltungspolitische Kraft. Jetzt können wir uns nicht nur theoretisch etwas wünschen, wir werden tatsächlich gebraucht. ÖVP und FPÖ werden sich also unsere Anliegen anhören müssen.

STANDARD: Birgt die Rolle des Mehrheitsbeschaffers auch Risiken?

Strolz: Von linker Seite wird uns unterstellt, wir machen den billigen Jakob und seien Teil des Rechtsblocks. Denen muss ich aber schon sagen: Ihr seid die Versammlung der Pharisäer. Jene, die uns jetzt kritisieren, sind dieselben, die hemmungslos Rot-Blau gemacht hätten, wäre die SPÖ auf Platz eins gelandet. Was ich verlässlich sagen kann, und hier waren wir immer klarer als die SPÖ: Wir machen keine Koalition mit der FPÖ, auch dann nicht, wenn ich das Angebot bekäme, Bildungsminister zu werden.

STANDARD: Stichwort Kritik von links: Manche halten die Forderung nach einer Schuldenbremse in der Verfassung für neoliberal. Warum gleich in die Verfassung schreiben? Ein einfaches Gesetz gibt es ja schon.

Strolz: Die Verfassung hat noch einmal eine andere Wertigkeit der Selbstbindung. Es geht aber auch um die Frage, wie wir das ausgestalten. Wir schlagen ein ausgeglichenes Budget über einen Konjunkturzyklus hinweg vor. Die Republik soll natürlich auch in Zukunft die Möglichkeit haben, Schulden zu machen. Im Gegensatz zu vielen Roten habe ich meinen Keynes gelesen. Er hat gesagt: In guten Zeiten etwas zur Seite legen, um in schlechten Zeiten investieren zu können. Auf den ersten Teil haben wir in den vergangenen 56 Jahren vergessen.

STANDARD: Ein anderes Thema in puncto Verfassungsmehrheit ist die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft bei Arbeiter- und Wirtschaftskammer. Die FPÖ plädiert für eine Volksabstimmung. Vorstellbar für Sie?

Strolz: Ich kann mir einen Beschluss mit und ohne Volksabstimmung vorstellen. Bei letzterer Variante kommt es auf die Ausgestaltung an. Für uns ist die Vorbedingung für eine Volksabstimmung Information, Information, Information. Entscheidend ist, dass die Aufklärung nicht durch die Initiatoren erfolgt. Da braucht es eine unabhängige Autorität. In der Schweiz werden solche Dinge oft über Jahre vorbereitet. In Österreich wurden Volksbegehren und -befragungen bisher als manipulative Instrumente von parteipolitischen Kräften missbraucht. Also: Wenn es ein billiger Gag ist, würden wir nicht darauf einsteigen.

STANDARD: Die Sozialpartner warnen, ohne Pflichtmitgliedschaft werde es in vielen Branchen keine Kollektivverträge mehr geben.

Strolz: Eine Reduktion der Kollektivverträge wäre absolut wichtig, weil das Dickicht zu groß ist. Es soll aber nicht der Deckungsgrad an Kollektivverträgen, der bei weit über 90 Prozent liegt, sinken. Das ist für den sozialen Frieden wichtig. Wir wollen stärker in Richtung Rahmen- oder Branchenkollektivverträge gehen und Betriebsvereinbarungen stärken. Also vielleicht muss man den gesetzlichen Rahmen anpassen. Es geht nicht um die Zerstörung der Sozialpartnerschaft, sondern um eine dem 21. Jahrhundert angemessene Rolle.

STANDARD: Die Gewerkschaft hat bereits Proteste angekündigt. Müsste man Streiks dann akzeptieren?

Strolz: Wir dürfen uns von Streiks nicht beeindrucken lassen, wir sollten nicht erpressbar sein. Natürlich ist es legitim, Demonstrationen zu organisieren. Verwunderlich fand ich aber, dass die Gewerkschaftsspitze bereits vor dem Regierungsbildungsauftrag durch den Bundespräsidenten Drohungen ausgesprochen hat. Da hat jemand ein schlechtes Gewissen. Die sollen ihren Job machen, dann werden sie auch hohe Akzeptanz haben. In der Rechtsberatung oder beim Gründerservice leisten sie großartige Arbeit. Das ist aber auch ohne Pflichtmitgliedschaft möglich.

STANDARD: Wäre für Sie auch ein Kompromiss denkbar, etwa weniger Beiträge?

Strolz: Es hängt an der Pflichtmitgliedschaft, aber es können mehrere Schritte bis dorthin sein. Ein Schritt könnte eine Beitragssenkung sein. Man muss einen Pfad definieren, das ist ein Akt der Fairness gegenüber den Kammern.

STANDARD: Wenn Sie von Etappen sprechen: Was könnten weitere Schritte sein?

Strolz: Man könnte sagen, grundsätzlich sind alle Mitglieder, aber Einpersonenunternehmer sollen die Möglichkeit eines freiwilligen Ausstiegs erhalten.

STANDARD: Wäre so ein Opt-out auch bei der Arbeiterkammer denkbar?

Strolz: Ja, das wäre möglich. Es ist den wenigsten Arbeitnehmern bewusst, dass sie einen monatlichen Beitrag an die Arbeiterkammer zahlen. Natürlich ärgert es mich, wenn die Tiroler AK gemeinsam mit der Wirtschaftskammer eine Kampagne gegen FPÖ und Neos fährt – wir zahlen ja auch Beiträge und haben damit die Kampagne gegen uns mitfinanziert. Das ist eine Unverschämtheit.

STANDARD: Sie haben bereits ausgeschlossen, Bildungsminister unter Kurz und Strache zu werden. Eine der bisher bekannten bildungspolitischen Forderungen der FPÖ betrifft Ausländerklassen. Sehen Sie Überschneidungen in diesem Bereich?

Strolz: Die gemeinsame Unterrichtssprache soll funktionieren. Wir haben ein Ziel, nur im Wording liegen wir meilenweit auseinander. Wir wollen auch, dass alle Kinder mit sechs Jahren Deutsch können. Uns geht es aber um die Entfaltung der Einzelnen, der FPÖ um die Bewirtschaftung ihres Topthemas Ausländer. Mit gutem Willen könnten wir uns annähern. Wenn junge Menschen gewinnen, bin ich zu jedem Schattensprung bereit. Wir werden jedenfalls der neuen Regierung ein Arbeitsübereinkommen anbieten und versuchen, auch mit der SPÖ einen formalen Pakt zu schließen.

STANDARD: Sie wollen vor allem mit ÖVP und FPÖ zusammenarbeiten. In Oberösterreich will diese Koalition unter anderem bei der Kinderbetreuung sparen. Würden Sie solche Beschlüsse mittragen?

Strolz: Kürzungen bei Bildungsausgaben gehen für uns gar nicht. Den Kindergarten am Nachmittag wieder kostenpflichtig zu machen ist ein völlig falsches Signal. Das trifft vor allem berufstätige Frauen. Das ist ein No-Go für uns.

STANDARD: Es ist ausgeschlossen, dass Sie einem derartigen Modell zustimmen würden?

Strolz: Das ist ausgeschlossen. Wir würden auch das Mindestsicherungsmodell aus Oberösterreich nicht mittragen. Die Mindestsicherung hat zwei Funktionen für uns. Sie ist das Auffangnetz, die Untergrenze ist die Menschenwürde. Gleichzeitig soll die Mindestsicherung aber auch ein Sprungbrett zurück in den Arbeitsmarkt sein. Dafür müssen wir das Instrument adaptieren, damit es nicht ausgenützt wird. Es gibt leider einige Menschen, die fehlgeleitet sind – es gibt diese Fälle, und sie tun dem Sozialsystem nicht gut, damit verliert es an Akzeptanz. Das Sozialsystem muss treffsicher sein. Auch die integrationspolitischen Gesichtspunkte müssen abgedeckt werden.

STANDARD: Nehmen Sie der FPÖ ab, jetzt proeuropäisch zu sein, wie sie neuerdings immer betont?

Strolz: Ich fürchte, das war ein wahltaktischer Zug. Will die FPÖ proeuropäisch sein, dann erwarte ich mir, dass sie aus ihrer Fraktion im EU-Parlament austritt, in der wirklich jenseitige Repräsentanten versammelt sind. Das wäre ein dringend notwendiges Signal. Marine Le Pen ist für mich ein No-Go. Dass sie die beste Freundin einer unserer möglichen Regierungsparteien ist, halte ich für inakzeptabel. Sie will aus dem Euro raus und sagt, dass sie die EU zerstören will. Das sind Worte, gegen die ich immer ankämpfen werde.

STANDARD: Was würden Sie zu einem Innenminister Heinz-Christian Strache sagen?

Strolz: Gewünscht hab ich ihn mir nicht, aber die Menschen haben entschieden. Ich glaube nicht, dass man Strache als Innenminister verbieten kann, dafür habe ich als Demokrat schlechte Argumente. Auch der Bundespräsident hat hier wenig Handhabe. Es wäre ein Grenzgang, er könnte leicht auf der falschen Seite herunterfallen. (Marie-Theres Egyed, Günther Oswald, 26.10.2017)