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Ein Kämpfer einer christlichen syrischen Miliz zündet eine in Raqqa zurückgelassene Flagge des "Islamischen Staates" an.

Foto: AP / Hussein Malla

STANDARD: Ihre Beratungsstelle in Hamburg ist auch Anlaufstelle für Rückkehrer nach Deutschland. Kommt in nächster Zeit mehr Arbeit auf Sie zu?

Taubert: Derzeit hat unsere Beratungsstelle vor allem mit jungen Frauen, Rückkehrerinnen, zu tun. Das könnten in der nächsten Zeit mehr werden. Wie viel zusätzlicher Beratungsaufwand sich in Zukunft tatsächlich ergibt, kann man natürlich nicht genau sagen.

STANDARD: Was veranlasst junge Frauen, in den Jihad zu ziehen?

Taubert: Das hat mehrere Ursachen. Einerseits haben sie sich an Leuten orientiert, die ihnen den "wahren Islam" gepredigt haben. Auf der anderen Seite hat ihnen die Gesellschaft signalisiert: Was du tust, ist vollkommen falsch. Eingezwängt in dieser Zwickmühle glauben dann manche die Märchen vom weißen Ritter, der ihnen das Paradies auf Erden in Form des Kalifats verspricht. Berichte über Krieg und Gewalt werden dabei vollkommen ausgeblendet. Angehörige sprechen oft von einer Art Gehirnwäsche.

STANDARD: Spätestens vor Ort wird wohl klar, dass sich Realität und Märchen unterscheiden. Was haben Betroffene erzählt?

Taubert: Details kann ich aus Gründen der Vertraulichkeit nicht nennen. Allgemein weiß ich, dass die Männer vor Ort in Trainingscamps weiter indoktriniert wurden. Und den Europäern wurde schnell klargemacht, dass sie nur als Muslime zweiter Klasse gelten. Die Frauen landeten in Frauenhäusern, wo sie mit anderen europäischen Kämpfern verheiratet wurden, die sie kaum sahen. Sie waren nur bei ihnen, wenn sie verwundet waren. Erzählungen von horrenden Witwengehältern sind definitiv Märchen.

STANDARD: Wie schwer ist es, wieder auszusteigen?

Taubert: Gerade für Männer ist das quasi unmöglich. Ein junger Mann, der derzeit in Oldenburg inhaftiert ist und der für den IS tätig war, konnte 2015 unter schwierigsten Bedingungen von Raqqa zu Fuß über die Türkei fliehen. Er wurde bei der Einreise nach Deutschland festgenommen. Für die Europäer aus Raqqa dürfte es aktuell unmöglich sein, die Kurden lassen niemanden raus. Meines Wissens sind die Frauen dort in Flüchtlingslagern in geschlossenen Abteilungen inhaftiert. Viele haben Babys und Kleinkinder.

STANDARD: Treten auch Eltern an Sie heran?

Taubert: Im Moment hören wir oft von Trittbrettfahrern, die behaupten, sie hätten Informationen über die Töchter und könnten den Eltern gegen Lösegeld zu deren Rückkehr verhelfen. Die Eltern sind natürlich anfällig dafür. Man muss sich allerdings auch im Klaren darüber sein, dass viele der jungen Männer gefallen sind. Wir hören oft Schilderungen über einzelne Personen. Sie wurden eine Zeitlang regelmäßig dort oder da gesehen, dann aber plötzlich nicht mehr. Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass sie wohl getötet wurden.

STANDARD: Behörden, Medien und Politiker warnen vor Rückkehrern als wandelnde Zeitbomben. Ist diese Einschätzung realistisch?

Taubert: Ich bin kein Freund von Schwarzmalerei. Behörden warnen vor allem deswegen, weil sie sich nachher nicht vorwerfen lassen wollen, sie hätten nicht gewarnt. Die Rückkehrer sind aber sicher nicht alle gewaltbereite Monster, sondern in erster Linie junge, desillusionierte Menschen, die einen schweren Fehler begangen haben und dafür eventuell hier auch eine Haftstrafe absitzen werden. Natürlich muss man jeden Fall einzeln betrachten. Wir haben für diese Leute viel mehr Beratungs- und Therapiestellen als etwa für Kriegsflüchtlinge oder andere von Traumata betroffene Menschen. Das bedeutet nicht, dass man nicht auf viele ein Auge haben muss. Pauschale Stigmatisierung hilft aber auch nicht.

STANDARD: Eine gesellschaftliche Reintegration ist also möglich?

Taubert: Es kommt darauf an. Es wird Rückkehrer geben, die gleich wieder funktionieren, die von ihren Familien aufgefangen werden, wieder in die Schule gehen und mit regelmäßiger Beratung auskommen. Und es wird andere geben, bei denen es um viel existenziellere Themen geht, weil sie keinerlei soziales Netz und keine Ausbildung haben. Ein weiterer Faktor wird aber auch die gesellschaftliche Diskussion darüber sein, ob man Menschen, die sich freiwillig in diese Lage begeben haben, nun auch noch unterstützen soll oder nicht.

STANDARD: Stehen denn genügend Beratungsstellen zur Verfügung?

Taubert: In Deutschland haben die meisten Bundesländer Ausstiegsberatungsstellen für radikalisierte Menschen. Die haben auch die Aufgabe, sich um die Rückkehrer zu kümmern. Wir haben bereits 2016 einen Rückkehrerleitfaden entwickelt. Den Justizbehörden ist bewusst, dass im Falle von Radikalisierung frühe Beratung auch schon in Untersuchungshaft wichtig ist. (INTERVIEW: Manuela Honsig-Erlenburg, 27.10.2017)