Vivien Dorn wollte eigentlich Floristin werden. Nach einem halben Jahr hat die 23-Jährige ihre Lehre abgebrochen, kurz danach wurde sie schwanger.

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Die "Job Navi" bietet auch Kinderbetreuung für Notfälle.

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Als Natalie Kostadinovic zum ersten Mal schwanger wurde, hatte sie gerade das erste Jahr ihrer Lehre als Assistentin im Hotel- und Gastgewerbe hinter sich. Heute ist sie 25 Jahre alt und hat zwei Kinder, um die sie sich allein kümmert. Neben ihren Kindern – der Sohn sieben, die Tochter vier – noch an die eigene Ausbildung zu denken war nicht möglich, denn jede reguläre Lehr- oder Schulausbildung verlangt mindestens nach einer 40-Stunden-Woche.

Vivien Dorn ging es ähnlich: Sie wollte eigentlich Floristin werden. Nach einem halben Jahr hat die 23-Jährige ihre Lehre abgebrochen, kurz danach wurde sie schwanger. Die große Tochter geht mittlerweile in die Schule, die kleine in den Kindergarten.

Der Blick in die Zukunft damals: "Zu Hause sitzen und ab und an putzen gehen", erzählt Kostadinovic. Auch eine dreimonatige Ausbildung als Ordinationsassistentin half auf dem Arbeitsmarkt nicht weiter: "Ich hatte keine Erfahrung, also habe ich auch keinen Job bekommen", sagt sie. Der Lehrabschluss blieb ein Wunschtraum.

Auch Dorn hat einen dreimonatigen Kurs zur zertifizierten Kindergruppenassistentin hinter sich. Einen Job zu finden sei allerdings schwierig gewesen, da die meisten eigentlich Pädagogen suchen würden. "Ich hatte bisher nie lange denselben Job", erzählt Dorn. Ohne richtige Ausbildung etwas zu finden, sei eben schwierig.

Aus dem Klischee ausbrechen

Heute stehen Kostadinovic und Dorn wieder mitten in einer Lehrausbildung. Damit stellen sie eine Ausnahme dar. Beide gehören einer oder mehreren Bevölkerungsgruppen an, die von Arbeitsmarktforschern als gefährdet eingeordnet werden: Teenie-Mütter, Bildungsabbrecher, Alleinerzieherinnen. Doch die beiden sind auf dem besten Weg, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Wie ist es dazu gekommen?

Vor knapp einem Jahr hat das Arbeitsmarktservice (AMS) Wien ein Projekt unter den Namen "Job Navi" aus der Taufe gehoben, das sich speziell an junge Mütter richtet: Innerhalb von zwei Jahren ist es möglich, einen Lehrabschluss nachzuholen. Und zwar auf Teilzeitbasis. Ungefähr zwanzig Stunden pro Woche muss man aufwenden. Jede, die möchte, kann teilnehmen. Die Voraussetzungen dafür sind simpel: Man verfügt höchstens über einen Pflichtschulabschluss oder hat eine Ausbildung abgebrochen, ist maximal 25 Jahre alt und Mutter. Entscheidet man sich für die Ausbildung, kann man zwischen drei Branchen wählen: Einzelhandel, Büro oder Reinigung. Das ist österreichweit einzigartig.

"Auf Jugendliche wirkt sich Langzeitarbeitslosigkeit entsetzlich aus", sagt Doris Landauer vom AMS Wien, die an der Umsetzung von Job Navi mehrere Jahre lang gearbeitet hat. In der Bundeshauptstadt stehen knapp vierzig Prozent all jener, die keinen höheren Abschluss als die Pflichtschule vorweisen können, ohne Job da. Und: "Umso mehr Kinder sie haben, umso schlimmer wird die Lage." Bekommt man jung ein Kind, steigen die Chancen, die Ausbildung abzubrechen.

Junge Mütter unter sich

Kostadinovic hat sich für Büro, Dorn für Einzelhandel entschieden. Seit Jänner kommen sie gemeinsam mit knapp hundert anderen jungen Müttern zum Kurs in den zehnten Wiener Gemeindebezirk, wo Job Navi vom Verein Zukunft in Bewegung (ZIB) im Auftrag des AMS abgewickelt wird. Mit dem Kurs sind sie sehr zufrieden. Sie schätzen den Austausch untereinander mindestens so sehr wie die Ausbildung selbst. Dass es nur Frauen sind, spiele schon eine Rolle, meint Kostadinovic: Man könne sich in der Gruppe Ratschläge einholen.

Dass man das Angebot vorerst auf junge Mütter beschränkt, war eine pragmatische Entscheidung, sagt Landauer: "Erstens haben wir mehr Mütter ohne Ausbildung, zweitens haben wir Daten." Von den jungen Vätern wisse man schlicht und ergreifend nichts und auch nicht, wie man sie erreichen könne, da die entsprechenden Einrichtungen fehlen würden. Die Probleme seien vermutlich andere – auch weil die Lebensrealität anders sei.

Kampfgeist ist gefragt

Ein großer Teil der Lehrlinge kümmert sich allein um seine Kinder, einige haben oder hatten gewalttätige Partner, manchen wurden die Kinder vom Jugendamt weggenommen. "Viele hier haben mit Dingen zu kämpfen, die andere so nicht kennen", sagt Ingrid Chladek vom Verein ZIB, der das Projekt betreut. Es habe sich eine positive Gruppendynamik im Kurs entwickelt, berichtet Chladek: "Es ist leichter durchzuhalten, wenn man sieht, dass man nicht die Einzige ist, der es so geht." Direkt vor Ort wird eine Kinderbetreuung angeboten, die man in Notfällen in Anspruch nehmen kann. Und wenn man ein paar Tage versäumt, fliegt man nicht gleich raus. Am Ende des Kurses gilt es allerdings, vor einer unabhängigen Prüfungskommission zu bestehen: "Wir verleihen kein Zertifikat 'powered by AMS'", sagt Chladek. Am Ende wartet ein unabhängiger Lehrabschlussprüfer von der Wirtschaftskammer.

Die Chancen dafür, dass sich rein durch wirtschaftliche Veränderungen die Situation von jungen Müttern wie Kostadinovic oder Dorn verbessert, sieht Landauer "im Minimalbereich". Wenn man erst einmal die Ausbildung abbricht, sind die Auswirkungen immens, sagt die Arbeitsmarktexpertin. Für Kostidanovic und Dorn hat sich der Blick in die Zukunft jedenfalls geändert: Durch die im Kurs als verpflichtend vorgeschriebenen Praktika haben sie erste Erfahrungen in ihren Wunschfirmen sammeln können. Und das lief gut. (Vanessa Gaigg, 30.12.2017)