STANDARD: Das Figlmüller in der Wollzeile ist ein Traditionsbetrieb mit über 100-jähriger Geschichte. Wie wurde aus der einstigen Weinschenke das Schnitzel-Mekka für Wien-Besucher?

Hans Figlmüller: Unser Urgroßvater, Johann Figlmüller, kam aus einer Brauereifamilie vom Land und kam auf die Idee, dass sich mit Wein in der Stadt eher ein Geschäft machen lässt. 1905 eröffnete er eine Weinstube, im Jahr 1936 übersiedelte das Lokal in den kleinen Durchgang, wo es bis heute ist. Das Thema Fleisch kam später dazu.

Thomas Figlmüller: Im Krieg hatten wir zwischenzeitlich geschlossen. Russische Soldaten haben die Fässer im Weinkeller zerschossen und sich gleich daruntergelegt, zumindest wurde uns das immer so erzählt.

Hans Figlmüller (42, links) und sein Bruder Thomas (38) führen den Traditionsbetrieb in vierter Generation. 2003 übernahmen sie von Hans senior, dem Erfinder des übergroßen Schnitzels.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Und das Schnitzel?

Hans Figlmüller: Zur Weinschenke kam dann eine Fleischerei dazu. Unser Vater (Hans Figlmüller sen., Anm.) hat da schon in jungen Jahren mitgearbeitet. In den Sechzigern wollte er stark auf ein Produkt setzen und hat das Schnitzel groß gemacht.

Thomas Figlmüller: Im wahrsten Sinne des Wortes. Unser Vater mochte nicht allzu Deftiges, daher hat er die Schnitzel ganz dünn gemacht, damit sie nur kurz im Öl sind. Dabei wurden sie automatisch immer größer geklopft. Das ist auch ein Unterscheidungsmerkmal, neben der Zubereitung in drei Pfannen.

STANDARD: In Zeiten vor Burgerketten und Running Sushi war es ungewöhnlich, so stark auf ein Produkt zu setzen.

Hans Figlmüller: Unser Vater war der Zeit ein wenig voraus vielleicht. Der Fokus lag aber generell auf Wiener Spezialitäten, also viel Gebackenes. Die kleine Küche hat auch nicht viel mehr erlaubt. Bis heute haben wir da keine Nachspeisen, keinen Kaffee, auch kein Bier. Das Konzept kam bei den Wienern gut an, und auch viele Prominente schauten vorbei. Als dann in den späten Achtzigerjahren der Städtetourismus begann, schickten die Einheimischen oder das Hotel die Gäste zu uns.

STANDARD: Der zweite Figlmüller wurde dann aber ein Heuriger.

Thomas Figlmüller: Richtig. In der Innenstadt haben sich damals Fuchs und Hase gute Nacht gesagt. Samstags war um 15 Uhr Sperrstunde, und am Sonntag war überhaupt geschlossen. Dafür strömten die Leute in die Heurigen am Stadtrand.

Hans Figlmüller: In den Siebzigern und Achtzigern war die goldene Zeit der Heurigen. Da gab es Betriebe mit tausend Sitzplätzen. Dann wurde auf den Bustourismus gesetzt und nicht mehr auf die Wiener. In der Folge haben sich die Wirte gegenseitig mit Dumpingpreisen ruiniert. Unser Vater wollte da nicht mitmachen, und das Geschäft hat gelitten.

STANDARD: In dieser schwierigen Phase hatte Ihr Vater auch gesundheitliche Probleme. Sie beide haben übernommen. War es immer selbstverständlich, dass Sie den Familienbetrieb weiterführen?

Thomas Figlmüller: Nein, war es eigentlich nicht. Aber es war auch nie am Tisch, dass wir verkaufen.

Hans Figlmüller: Wir beide hatten es damals nicht geplant, zumindest nicht bewusst. Aber Freunde von uns sagen, sie hätten immer schon gewusst, dass wir einmal den Betrieb übernehmen.

STANDARD: Man sagt ja über Familienunternehmen, die erste Generation baut etwas auf, die zweite expandiert, und die dritte versemmelt es. Sie sind jetzt schon die vierte und führen mittlerweile sieben Lokale. Was ist Ihr Geheimnis?

Hans Figlmüller: Wir waren jedenfalls voller Tatendrang. Unbewusst haben wir wohl ausgenutzt, dass unser Vater gesundheitlich angeschlagen zu Hause bleiben musste. Als erstes eigenes Projekt haben wir den Heurigen in Grinzing nach unseren Vorstellungen umgewandelt. Da standen etwa eine alte Weinpresse und Holzschnitzereien, das haben wir alles hergegeben. Die wenigen Male, die unser Vater auf die Baustelle kam, hätte er sich fast an der alten Einrichtung festgekettet.

Thomas Figlmüller: Nicht nur lief das Heurigengeschäft schlechter, wir konnten uns einfach nicht persönlich damit identifizieren. Das Ding war fad. Aber wir fanden, ein bierlastiges Wirtshaus in der Grinzinger Weingegend wäre eine super Idee. Für den Gast hat das neue Lokal (Figls, Anm.) vom ersten Tag an funktioniert. Aber wir haben damals sehr, sehr viel Lehrgeld gezahlt.

STANDARD: Inwiefern?

Thomas Figlmüller: Beim Personal etwa. Wir haben im ersten Jahr 150 An- und Abmeldun- gen von Angestellten gehabt, Bei einem Personalstand von 40. Wir haben an allen Fronten gekämpft. Um uns nach dem ersten Jahr abzulenken, waren wir mehr auf der Uni.

Hans Figlmüller: Wir haben uns damals geschworen, nie mehr klassische Gastronomie zu machen.

STANDARD: Und so kam das Takeaway-Geschäft ins Spiel?

Hans: Genau. Mit dem Daily Roast am Flughafen Wien haben wir etwas Neues ausprobiert.

STANDARD: Da war kein Geschäftskonzept dahinter, sondern Ihr persönlicher Wunsch, etwas anderes zu probieren?

Hans Figlmüller: Die meisten kennen den Flughafen nur als Reisende, wenn viel los ist. Aber es gibt dort erstaunlich viele Zeiten, in denen man sich wie in einer Geisterstadt fühlt. Da haben wir gelernt, Personal richtig einzuteilen und auch schnelle Prozesse zu bewältigen. Wenn sich 20 Leute anstellen, um einen Kaffee zu bestellen, dann stellt sich der Nächste nur an, wenn wirklich rasch etwas weitergeht.

STANDARD: Ich habe gehört, Sie schenken dort aber auch viel Bier aus?

Hans Figlmüller: Erstaunlich, wie viel Leute da trinken, wir verkaufen am Flughafen mehr Bier als im Bierlokal. Weil die Leute Flugangst haben oder noch ein bisschen schlafen wollen im Flieger.

Thomas Figlmüller: Kurzstrecken mit Businessreisenden machen sich bemerkt. Wenn Frankfurt abfliegt, schenken wir viel aus.

STANDARD: Trotzdem haben Sie seither mit dem Joma und dem Lugeck weitere Innenstadt-Restaurants eröffnet?

Hans Figlmüller: Witzigerweise hat uns der schnelle Erfolg beim Takeaway das Selbstvertrauen gegeben, wieder in die klassische Gastronomie zu gehen. Das Joma ist ein Lifestyle-Café mit umfangreicher Küche. So etwas hat uns damals in der Innenstadt selber gefehlt.

STANDARD: Kommt man mit solchen Ideen bei den Banken weit?

Hans Figlmüller: Nein. Der Banker hat damals erklärt: Wenn Sie ein Haus in der Innenstadt um zehn Mio. Euro kaufen und mir eine Mio. auf den Tisch legen, steige ich als Bank im Notfall ungefähr pari aus. Denn um neun Mio. lässt sich das Objekt wieder verkaufen. Wenn Sie aber in ein Lokal mit Mietvertrag zwei bis drei Mio. investieren, und das Konzept funktioniert nicht, geht die Bank leer aus. Der Mietvertrag, die Einrichtung und der Name bringen in der Nachverwertung nichts.

"Wenn man die österreichische Gastronomie, wie sie derzeit vorherrscht, erhalten will, muss bei den Personalkosten etwas geschehen."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Ist die Finanzierung ein Problem in der Branche?

Thomas Figlmüller: Als Klein- und Mittelbetrieb kannst du heute nur mit eigenem Geld oder Investoren im Hintergrund etwas aufbauen.

Hans Figlmüller: Wir hatten das Glück, ein gutes Produkt und einen funktionierenden Betrieb im Hintergrund zu haben. Das verschafft uns eine gewisse Ruhe und Freiheit bei Entscheidun- gen. Hätten wir frisch begonnen, wären wir nicht, wo wir heute sind.

STANDARD: Ihr größter Fehler?

Hans Figlmüller: Mein Fehler war sicher, dass ich anfangs zu amikal im Umgang mit dem Personal war. Ich habe nicht konsequent verklickert, was unsere Werte sind. Am Anfang zu wenig Linie vorgegeben kostet letztlich viel Mühe, weil man ein falsch eingefahrenes System wieder in die richtige Richtung bringen muss.

STANDARD: Die Gastronomie hat ja nicht den besten Ruf: stressig, schlecht bezahlt und ein rauer Umgangston. Wie sehen Sie das?

Thomas Figlmüller: Einen rauen Umgangston gibt es bei uns fast nicht. Die Bezahlung ist zum Teil etwas ungerecht, weil das Trinkgeld zwischen Service und Küche nicht immer fair aufgeteilt wird. Das hat sich in der Branche eingebürgert. Wir versuchen, etwas einzugreifen, aber irgendwann sagt der Kellner, ich verdiene woanders mehr, dort muss ich nichts an die Küche abgeben.

STANDARD: Wie läuft die Personalsuche?

Thomas Figlmüller: Schwierig. Ein Schild in der Auslage reicht schon lange nicht mehr. Wir haben zwei Mitarbeiter, die nur Recruiting machen. Auf allen möglichen Kanälen, von Social Media bis Printanzeigen, sowie auf Messen präsentieren wir uns als attraktiver Arbeitgeber.

STANDARD: Wie?

Hans Figlmüller: Unsere Lehrlinge können zwischen den Betrieben rotieren. Wir zahlen mitunter den Führerschein oder Urlaub als Anreiz für gute Leistungen. Wir bieten korrekte Arbeitszeiten und Planbarkeit, damit jeder Mitarbeiter seine Dienste schon lange im Voraus kennt.

STANDARD: Und einfach mehr bezahlen?

Thomas Figlmüller: Nicht nur der Lohn zählt. Es gibt nicht tausend Köche und Kellner, die für 200 Euro mehr sofort zur Verfügung stünden.

STANDARD: Wie erleben Sie die strengeren Arbeitszeitgesetze seit 2015?

Hans Figlmüller: Vor allem unsere Mitarbeiter haben sehr wenig Verständnis dafür. Früher hatten wir bis zu Zwölf-Stunden-Dienste. Man hatte drei Tage Dienst und drei Tage frei. Das war ein Traum für die Mitarbeiter. Viele wohnen im Osten in Grenznähe und konnten so mehr Zeit bei der Familie verbringen. Das geht jetzt nicht mehr.

Thomas Figlmüller: Im ersten Jahr haben wir nur das Verbotene reduziert, aber die zusätzlichen Überstunden in Kauf genommen. Allein in zwei Betrieben fielen 100.000 Euro Mehrkosten an. Jetzt versuchen wir Überstunden zu vermeiden.

Hans Figlmüller: Um eine Mitarbeiterin tut es mir besonders leid: Sie ist Studentin und hat ein Kind, auf das die Großeltern aufpassten. Sie wollte einen langen 14-Stunden-Arbeitstag. Mit flexibleren Arbeitszeiten wären alle besser dran. Etwa mit einer fixen Wochenarbeitszeit, die sich jeder selber mit dem Betrieb einteilt.

STANDARD: Was ist das größte Problem für Gastronomen?

Hans Figlmüller: Das Hauptthema sind Personalkosten. Die Schere bei den Personalkosten zwischen brutto und netto ist aufgegangen. Viele Wirte sagen, sie müssten die Preise um 20 bis 30 Prozent anheben, damit sich alles rund ausgeht. Für die Qualität, die wir in Österreich bieten, sind wir im internationalen Vergleich günstig.

STANDARD: Welche Entwicklung erwarten Sie?

Thomas Figlmüller: Wenn die Lohnnebenkosten weiter steigen, überleben nur mehr Betriebe, die nicht personalkostenintensiv arbeiten.

Hans Figlmüller: Das sehen wir in Deutschland. Dort gibt es immer mehr System-Gastronomie, die vorgefertigte Ware anbietet. Dazu braucht man leicht angelernte, günstigere Mitarbeiter. Wenn man die österreichische Gastronomie, wie sie derzeit vorherrscht, erhalten will, muss bei den Personalkosten etwas geschehen.

STANDARD: Die Pommesverordnung der EU könnte man ja auch Schnitzelverordnung nennen. Haben Sie sich schon auf Farbpaletten für Frittiertes eingestellt?

Hans Figlmüller: Zumal die österreichische Lösung oft darin besteht, etwas zu tun, dann zurückzunehmen, dann wieder zu tun, warten wir auf den dritten Schritt. (INTERVIEW: Leopold Stefan, 28.10.2017)