Sie stahl dem Designer die Show. Da waren sich die Medien einig. Als der amerikanische Modemacher Alexander Wang vor einigen Wochen in Brooklyn seine neueste Kollektion zeigte, waren sie alle da, die Modejournalisten und Modeblogger, die Einkäufer und die New Yorker Berühmtheiten. In einer Lagerhalle in Bushwick liefen die Models in kurzen Kleidchen und mit am Bund zusammengerafften Hosen über den Betonboden. Die Haare offen und etwas zerzaust. Nur ein Model hatte der berühmte Haarkünstler Guido Palau einer acht Stunden dauernden "schockierenden Verwandlung" unterzogen, wie die "Vogue" am nächsten Tag atemlos schrieb. Die Haarspitzen von Stella Lucia schimmerten in Rose Quartz.

Die Haare schimmern noch rosa von der Show des US-Designers Alexander Wang.
Foto: Felix Leblhuber

Die Idee sei gewesen, dass ein Model aus der Menge herausstäche, erklärte der Designer. In den 1990ern hatte Kate Moss eine ähnliche Haarfarbe getragen, einen Fuchsia-Ton, der sofort von tausenden Mädchen nachgefärbt wurde, und natürlich war Stella Lucias neue Haarfarbe eine Anspielung darauf. Aber es war auch eine Verneigung vor einem Model, mit dem der Wunderknabe der amerikanischen Mode seit etlichen Saisonen zusammenarbeitet.

Seitdem Stella Lucia Deopito (so der volle Name des Models, sie hat italienische Vorfahren) mit knapp 16 über den Laufsteg von Givenchy in Paris lief, ist sie eine fixe Größe im internationalen Modelkosmos. Damals gehörte die Show von Givenchy-Designer Riccardo Tisci zu jenen Modeschauen, die sich jeder, der über Mode Bescheid wissen wollte, anschauen musste. Tisci hatte die Schülerin aus Haus im Ennstal exklusiv gebucht. Gleich nach der Modeschau war sie auch in der Frühjahrskampagne des Pariser Modehauses zu sehen – neben Julia Roberts. Und weil Tisci von dem Mädchen so begeistert war, stellte er sie Chanel-Designer Karl Lagerfeld vor. In den kommenden Jahren sollte Stella Lucia ganze 17 Mal in Modeschauen von Chanel über den Laufsteg laufen. Darunter auch in der legendären Cruise-Show in Havanna.

Pause zwischen den Defilees: Sushi essen am St. Mark's Place in New York in einem Vintage-Shirt aus Japan, mit einem Cord Cap von Prada und einer Kette von the M Jewelers NY.
Foto: Felix Leblhuber

Vier Tage Österreich

"Ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort", sagt Stella Lucia heute. Für ganze vier Tage ist sie nach Österreich gekommen, nach vier Wochen Modeschauen in New York, London, Mailand und Paris sitzt sie jetzt im Café Korb in der Wiener Innenstadt und bestellt sich einen Tee.

An ihrer Seite ihr Agent und ihr Freund. Die beiden sind oft an ihrer Seite zu sehen, ohne die beiden wären die vergangenen Jahre wohl etwas anders verlaufen. Ist ein Model unter 18, braucht sie eine Begleitperson, einen Chaperon, wie man in der Mode sagt. "Stella darf sich um nichts Organisatorisches kümmern müssen", sagt Agent Kosmas Pavlos, der in Wien die Agentur Wiener Models betreibt: "Sie soll sich auf ihre Arbeit konzentrieren."

Die sei anstrengend genug. Fast wöchentlich sitzt die heute 19-Jährige im Flugzeug, auf die Modeschauen folgen die Kampagnenshootings, dann die Editorials für die Magazine.

Bis sich das Rad in der kommenden Saison wieder von vorn zu drehen beginnt. "Im ersten Modeljahr war Stella keine 40 Tage in Wien, ich habe die Tage gezählt, in denen sie im Flugzeug saß", erzählt Pavlos.

Mittlerweile lebt Stella Lucia gemeinsam mit ihrem Freund Felix Leblhuber in New York, statt dem Flugzeug nimmt sie das Taxi, um in die Arbeit zu fahren. "Die großen und wichtigen Shootings sind nach wie vor in New York, man erspart sich viel, wenn man vor Ort ist." Stella Lucia schielt zu ihrem Agenten, mit Journalisten zu sprechen ist sie weitaus weniger gewöhnt, als mit den berühmtesten Fotografen der Gegenwart zu arbeiten, mit Mario Testino, Juergen Teller oder David Sims.

"Das Gute ist, dass ich auf der Straße kaum erkannt werde."

Jahrelang weigerte sie sich, Zeitungen Interviews zu geben. Aus Scheu davor, nicht die richtigen Worte zu finden, oder aus Kalkül, um sich interessant zu machen – so genau ist das nicht zu sagen. Auch auf Instagram ist sie nur mäßig aktiv, für ein Model ihrer Generation ist das ungewöhnlich: "Stella gehört noch zu den letzten Jahrgängen vor der Generation Instagirl", sagt ihr Agent. Gerade einmal 73.000 Follower hat sie auf dem sozialen Netzwerk, bedenkt man, wie wichtig die Plattform für Models geworden ist (siehe auch Interview mit Heidi Gross) und wie viele Jobs sich darüber lukrieren lassen, ist das nicht viel. "Das Gute ist, dass ich auf der Straße kaum erkannt werde", sagt sie: "In Wien stehen wir vor Clubs in der Schlange, in Paris nicht." Hierzulande ist Stella Lucia allerdings auch nicht auf großen Billboards oder auf den Werbeflächen von Taxis (wie gerade in New York) zu sehen.

Freund und Fotograf Felix Leblhuber begleitete Stella Lucia bei den internationalen Modewochen: Hier ist sie in einem der Apartments der Al-Saud-Familie in Paris zu sehen. Stella trägt einen Sweater von Resort Corps, Jeans von Acne und Loafers von Loewe.
Foto: Felix Leblhuber

Billboard in L.A.

Als die große Sonnenkosmetikkampagne für Tom Ford in diesem Frühjahr herauskam, prangte Stella Lucia sowohl auf einem Riesenplakat in den Galeries Lafayette als auch auf dem Sunset Boulevard in L.A. Mit blondierten Haaren und von oben bis unten mit Gold besprüht rekelt sich das 176 cm große Model auf Studiosand. Als die Anfrage für die Kampagne reinkam, waren Stella und ihr Freund gerade in Japan, nur mit Mühe gelang es ihrem Agenten, sie von anderen Buchungen loszueisen: "Eine Beautykampagne dieser Größenordnung ist das Ziel eines jeden Models. Finanziell ist das äußerst lukrativ."

In Paris enden die internationalen Modewochen, hier sind auch diese Fotos entstanden. Totallook von Alyx, auf dem T-Shirt links prangt ein Foto von Stella Lucia.
Foto: Felix Leblhuber

Wie hoch die Gage für das fünftägige Shooting in L.A. genau war, wollen weder ihr Agent noch Stella Lucia sagen, und auch sonst werden die beiden wortkarg, wenn es um Finanzielles geht. Nur so viel: "Ich könnte mir ohne Probleme eine Wohnung kaufen, allerdings noch nicht meine Traumwohnung." Apropos Wohnung: In zwei Tagen wird Stella gemeinsam mit ihrem Freund wieder nach New York fliegen, um sich nach einer neuen Bleibe umzusehen. "Am liebsten in Williamsburg", sagt sie, "dort gefällt es mir besonders gut."

Foto: Felix Leblhuber

Gerade einmal zwei Tage hatte sie Zeit, um ihre Eltern und ihre Schwester in der Steiermark zu besuchen. Die Mutter Altenpflegerin, der Vater Lkw-Fahrer – so wuchs Stella Lucia in einer Ennstaler Familie auf, für die Mode ein fremder Planet ist. Als sie nach Wien auf die Grafische wechselte, schrieb sie eines Tages ein Stylist auf Facebook an, ob sie nicht modeln wolle. Damals war Stella Lucia allerdings noch 14, und in der Schule fiel sie nicht gerade durch Glanzleistungen auf. "Ich habe sofort das Potenzial gesehen", sagt ihr Agent heute. "In diesem Alter muss man aber auf die Bremse steigen." Außer einigen lokalen Jobs, einem Cover für "Wien Life" und einigen kleineren Laufstegauftritten blockte Pavlos alles ab. Erst als die Anfrage aus Paris für Givenchy kam und Stella im August desselben Jahres 16 wurde, beschloss man, mit der Modelkarriere so richtig zu beginnen. Bald ließ Stella Lucia auch die Schule bleiben – modeln und büffeln, das ging sich nicht aus.

Auf der Lower East Side in Manhattan: Hier lebt Stella Lucia derzeit. Der Bodysuit ist von Barragán.
Foto: Felix Leblhuber

"Am Tag nach ihrem Auftritt bei Givenchy ist bei uns in der Agentur die Hölle ausgebrochen", erinnert sich Pavlos. Die erste Kampagne wurde in L.A. geschossen, dann ging es für ein Fotoshooting für das englische "Love"-Magazin nach New York. Vom Beginn ihrer Karriere an war Stella Lucia sowohl in Editorials und Werbekampagnen als auch auf dem Laufsteg zu sehen. Und das, obwohl sie weder ein wirkliches Laufstegmodel ist, noch ein perfektes Fotogesicht hat. "Sie ist speziell", sagt Pavlos und schaut dann zum Model zu seiner Rechten. Die Augen schauen müde aus, die Haut ist unrein, der große Schmollmund zieht sich über das halbe Gesicht. Zum schwarzen Rolli trägt sie eine High-Waist-Jeans, niemand scheint sie hier im Café zu beachten. Keine Frage: Ein international gefragtes Model stellt man sich anders als Stella Lucia vor.

Foto: Felix Leblhuber

Zumindest solange man sie nicht vor der Kamera gesehen hat. "Wenn du Stella fotografierst und 36 Mal auf den Auslöser drückst, kannst du 33 Aufnahmen verwenden", sagt ihr Freund Felix Leblhuber. In den vergangenen Wochen hat er seine Freundin im Auftrag für dieses Heft in den internationalen Modemetropolen fotografiert. Achtmal lief sie über den Laufsteg, um einiges weniger als in anderen Saisonen. "Ja stimmt", sagt Stella Lucia, "diese Saison war etwas ruhiger." Viel wichtiger als Laufstegjobs ist allerdings, für wie viele Kampagnen man gebucht wird. Und da hat die Saison gerade erst begonnen. (Stephan Hilpold, RONDO, 2.11.2017)

Foto: Felix Leblhuber
Video der Show von Alexander Wang, Stella Lucia-Auftritt bei ca. Sekunde 50.
FF Channel