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In seinem Buch "Die Donau. Eine Reise gegen den Strom" erzählt Nick Thorpe von den zahlreichen Begegnungen, Gesprächen und Erfahrungen, die der mächtige, zehn Länder durchziehende Strom ihm beschert hat.

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Nick Thorpe, "Die Donau. Eine Reise gegen den Strom", aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer, € 26,80 / 384 Seiten. Zsolnay-Verlag, 2017

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"Das Wasser ist köstlich kalt. Die Reihe Buchen am Ufer der Breg gibt der Szenerie eine gewisse Würde." Unter der Statue von Mutter Baar, die die kleine Donau auf dem Schoß hält, steigt Nick Thorpe in den Zusammenfluss von Breg und Brigach. Ein Jahr zuvor ist er in Sulina am Schwarzen Meer aufgebrochen. Zu Fuß, mit dem Fahrrad, auf Booten, im Zug und sogar schwimmend hat er die 2880 Kilometer lange Strecke von der Mündung bis zur Quelle zurückgelegt. In seinem Buch Die Donau. Eine Reise gegen den Strom erzählt er von den zahlreichen Begegnungen, Gesprächen und Erfahrungen, die der mächtige, zehn Länder durchziehende Strom ihm beschert hat.

STANDARD: Sie begannen die Erkundung der Donau an ihrer Mündung am Schwarzen Meer. Betrachtet man dieses Gebiet auf Landkarten, scheint es, nur aus Wasser zu bestehen. Welchen Eindruck hatten Sie vor Ort?

Thorpe: An ihrem Delta ist die Donau nicht einfach ein Fluss. Da gibt es Stellen, an denen die Ufer mehr als zehn Kilometer voneinander entfernt sind. Ich erinnere mich, als ich auf dem Boot eines rumänischen Polizisten mitfuhr, der nach Tabakschmugglern Ausschau hielt. In der Nähe von Tulcea, wo die Donau sich in ihre Mündungsarme verzweigt, befanden wir uns auf dem weiten Fluss. Plötzlich konnte ich nicht mehr erkennen, wo das Ufer war. Rund um das Boot sah ich nur riesige wild wirbelnde Wassermassen. Eine völlig andere Erfahrung brachte die Fahrt im Boot mit einem Rumänen, der eine Insel im Delta gepachtet hatte, um Schilf zu schneiden. Wir fuhren von Sulina aus stromaufwärts, und als wir in einen schmalen Seitenarm einbogen, war es ganz still um uns. Rechts und links sah man nur Schilf und Wasservögel.

STANDARD: Wir sollten wieder lernen, mit Flüssen in Beziehung zu treten, zitieren Sie den slowenischen Geomanten Marko Pogacnik. Auch der Fluss sei jemand. Hat er recht?

Thorpe: Während meiner Recherchen entwickelte ich eine enge Beziehung zur Donau. Das ist ja ein wechselseitiger Prozess. Man kann sich ans Ufer stellen und auf die Donau hinabschauen. Aber um sie wirklich als Wesen zu begreifen, muss man zurücktreten und zulassen, dass auch sie einen wahrnimmt. Als ich neben ihr und manchmal auch auf ihr fuhr und sogar in ihr schwamm, hatte ich dieses Gefühl – mag es nun lächerlich oder romantisch sein -, dass sie meine Anwesenheit guthieß. Vor allem an den kalten und nebeligen Tagen empfand ich sie als ein Wesen lebendiger Gegenwart.

STANDARD: Als Anregung zu Ihrer Donau-Erkundung nennen Sie einen Flug über den Nil. Auch Claudio Magris verweist in seiner Donau-Biografie darauf, dass Gelehrte Vergleiche zwischen den beiden Strömen anstellten. Wie erklären Sie diese seltsame Verbindung der beiden Flüsse?

Thorpe: Herodot nannte Ägypten ein Geschenk des Nils, weil dieser der trockenen Landschaft Leben gab. Ebenso könnte man Europa als Geschenk der Donau ansehen. In einem nasseren Klima als der Nil vermittelte die Donau den Menschen, die an ihren Ufern siedelten, Lebensenergie. Auch bahnte sie den Weg, auf dem die Menschen westwärts wandern konnten, um Europa zu bevölkern. Viele, denen ich begegnete und die als Fremde weit weg von ihrer Heimat lebten, hingen an der Donau. Sie fühlten sich an ihr Zuhause erinnert. In Österreich traf ich ein älteres Paar, das nach einer Stelle suchte, an der nach ihrem Tod ihre Asche in die Donau geworfen werden sollte. All das gibt der Donau wie dem Nil eine Erhabenheit, etwas, das größer ist als der Mensch.

STANDARD: Elias Canetti beschreibt seine Geburtsstadt Ruse, die Sie auch besucht haben, als alten Donauhafen, der Menschen von überall anzog. Von der Donau sei immer die Rede gewesen. Ist diese Dominanz heute noch gegeben?

Thorpe: Die Schifffahrt nimmt ab. Aber die Donau ist ein zu großer Fluss, um nicht dominant zu sein. Ich kann mir Budapest nicht ohne Donau vorstellen. Sie beherrscht die Stadt. An einem Sommerabend sehe ich verliebte Paare, Freunde, Einheimische und Touristen an ihrem Ufer sitzen und den Sonnenuntergang betrachten. In Belgrad auf dem Kalemegdan begegnet man Menschen, die im Anblick der Mündung der Save in die Donau allein oder mit Freunden ihre Zeit verbringen. Als ich mich in Wien aufhielt, vermisste ich die Gegenwart der Donau und suchte schon bald den Weg zu ihr. Man kommt von der Donau nicht los, und die Donau kommt nicht los von uns. Manchmal hat man den Eindruck, sie erfreut sich an unserer Aufmerksamkeit, und manchmal wendet sie sich ab wie ein alter mürrischer Mann.

STANDARD: Sie erinnern an Ada Kaleh am Eisernen Tor. Egon Erwin Kisch nannte die Insel bereits in den Zwanzigerjahren ein "unzeitgemäßes Idyll". Ist sie ein verklärter Sehnsuchtsort, oder war sie wirklich ein Idyll?

Thorpe: Ich traf Menschen, die noch auf Ada Kaleh gelebt hatten, bevor die Insel 1968 gesprengt wurde. Sie hatte nur 800 Einwohner. Aber es gab eine Festung, eine Moschee mit Minarett, sogar eine Bäckerei. Auch die Menschen, die nicht da gewohnt hatten, schwärmten vom Pistazieneis, das sie als Kinder auf der Insel bekommen hatten, und den Feigen, die auf ihr wuchsen. Die Insel war ein beliebtes Ausflugsziel. Von nah und fern fuhren Menschen am Wochenende zu ihr hinüber. Sie war ein Idyll, das romantisiert wurde. Aber sie war auch ein wirklicher Ort, der durch den Bau eines wirklichen Damms zerstört wurde.

STANDARD: Gab es damals keinen Widerstand gegen die Zerstörung?

Thorpe: Ehemalige Bewohner erzählten, dass sie ihren Schmerz mit Alkohol betäubten. Weinend saßen sie am rumänischen Ufer und sahen zu, wie Soldaten ihrer eigenen Armee der Insel den Krieg erklärten. Sie befestigten Dynamit an den Gebäuden, der Moschee und den alten Zypressen auf dem Friedhof. Auf der jugoslawischen Seite der Donau weigerte sich ein Partisanenheld aus dem Zweiten Weltkrieg, die Küste zu verlassen. Sein Haus wurde überschwemmt, und er musste mit seiner Familie gerettet werden. Durch den Untergang der Insel stieg der Wasserspiegel enorm. Alle Häuser entlang der Küste donauabwärts versanken bis zum Dach im Wasser.

STANDARD: Ihre Reise an der unteren Donau führte Sie durch die ärmsten Gebiete Europas. Viele der Menschen, mit denen Sie sprachen, schienen hoffnungslos. Sind das vergessene Gebiete und vergessene Menschen?

Thorpe: Das sind sie, und eines meiner Anliegen ist es, ihnen eine Stimme zu geben und daran zu erinnern, dass sie nicht vergessen sein sollten. Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass einige der Schlepper, die im August 2015 für den Tod von Flüchtlingen in einem Kühllastwagen bei Parndorf verantwortlich waren, Roma aus Lom waren. Zwei Jahre zuvor hatte ich die Roma-Stadt in Bulgarien besucht. Die Tragödie war für mich eine Mahnung, wozu Hoffnungslosigkeit Menschen antreiben kann. Zugleich brachte sie mir ins Bewusstsein, dass die Donau ein Fluss der Schmuggler war und auch eine dunkle Seite hatte.

STANDARD: Magris suchte auf seiner Donau-Reise nach dem verschwundenen Mitteleuropa. Blicken die Menschen auf dem Balkan heute so auf die Ära des Kommunismus zurück wie frühere Generationen auf das Habsburgerreich?

Thorpe: Magris' Buch war für mich ein Wegweiser. Ich hatte es mit auf meinen Reisen. Auf beinahe jeder Seite findet sich das Wort "Melancholie". Ich wollte ohne dieses Wort auskommen. Gewiss schauen die Menschen in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens nostalgisch auf die Zeit Titos zurück. Nach dem Horror des Zweiten Weltkriegs war der Kommunismus eine Zeit der Stabilität. Das gilt auch für Rumänien, Bulgarien oder Ungarn. Der Kapitalismus war für Osteuropäer eine schockierende Erfahrung. Mit Österreich oder Deutschland aufzuholen, wie diese Länder sich das 1989 gern vorgestellt hatten, gelang ihnen nicht.

STANDARD: "Die Osmanen und die Habsburger gibt es nicht mehr: Aber es gibt Putin, und es gibt Brüssel. Und die Wunden sind noch offen", sagte der verstorbene ungarische Schriftsteller Péter Esterházy. Stimmen Sie ihm zu?

Thorpe: Die Wunden sind offen, aber nicht so groß, wie manche glauben machen wollen. Wenn ich durch die exkommunistischen Länder reise, spüre ich, wie wenig es gelang, diese Zeit zu verarbeiten. Auch manche historischen Wunden wirken fort. Es nähert sich der 100. Jahrestag des Vertrags von Trianon. Er legte die Gebietsabtretungen des Königreichs Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg fest. Viele Ungarn, nicht nur Nationalisten, sprechen mit Nostalgie von einer Zeit, als Transsylvanien, Teile Kroatiens und des Burgenlands ungarische Gebiete waren. Sie übersehen, dass dem Nationalismus weder im Habsburgerreich noch im Osmanischen Reich große Bedeutung zukam. Beide Reiche beherbergten eine Vielfalt an Menschen.

STANDARD: In Wien besuchten Sie das Heeresgeschichtliche Museum und sahen sich Gemälde und Objekte zu den westlichen Vorstößen des Osmanischen Reiches an ...

Thorpe: Ich lebe seit dreißig Jahren in Ungarn, einem Land, das Türken als historische Feinde beschwört. Dagegen stellte ich in der Türkei fest, dass man eine andere Sicht auf Ungarn hat und sie als verlorene Verwandte betrachtet. Ungarn wandten viel Mühe darauf, ihre Migration in Türkisch sprechende Länder zu leugnen. Das ist die Art, wie Politiker die Geschichte verdrehen, um sie ihren Zielen anzupassen. Während meiner Donau-Reise suchte ich nach Gegenerzählungen.

STANDARD: Sie beteiligen sich nicht an den Spekulationen über die Donauquellen. Ist dieser für vergangene Generationen rätselhafte Beginn der Donau erneut eine Parallele zwischen Nil und Donau?

Thorpe: Claudio Magris verbrachte viel Zeit an den Quellen. Eine meiner Lieblingsstellen in seinem Buch ist die These, die Donau entspringe einem Wasserhahn, den niemand richtig zudrehen könne. Als ich zu den Quellen der Donau hinaufstieg, fielen mir die britischen Entdecker ein, die im Viktorianischen Zeitalter nach den Quellen des Nils gesucht hatten. Für mich im Zeitalter von Satellitenlandkarten war es keine solche Suche. Es war eine Erkundung aus Neugierde. Der Reiz von Flüssen wie der Donau oder des Nils liegt darin, dass sie unsere Vorstellung anregen. (Ruth Renée Reif, Album, 4.11.2017)