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Für die Bevölkerung wird die Kurz-Ära ein dickes Minus bringen.

Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

Bruno Kreisky prägte den Ausspruch, dass es ein politisches Armutszeichen sei, wenn einer Partei nichts Neueres einfiele, als ständig von Erneuerung zu sprechen. Dieser Begriff der Erneuerung ist in der ÖVP immer wieder aufgetaucht: in der ÖVP der 80er-Jahre als "Wende", im Wahlkampf 1995 als "Die neue ÖVP", in der derzeitigen ÖVP als "Veränderung". Dahinter steckt eine seit 1970 empfundene Demütigung durch die SPÖ, die zu überwinden der ÖVP bis heute nicht gelungen ist, und deren Ziel nicht ein Paradigmenwechsel (inhaltliche Veränderung), sondern ein Syntagmenwechsel (nominelle Änderung) ist.

In den 70er- und 80er-Jahren waren die Anläufe dazu von einer einfachen Taktik geprägt, einem Stellvertreterkrieg, in dem man sich mit jedem verbündete, der sich gegen die Regierung richtete. Die ÖVP applaudierte Kreiskys Sohn Peter, der als Initiator der Bewegung gegen das Kernkraftwerk Zwentendorf – beschlossen von einer ÖVP-Alleinregierung – auftrat. In den 80er-Jahren schlug man sich auf die Seite der Hainburg-Gegner. Die ÖVP konnte sofort jeden Inhalt opfern, wenn es darum ging, gegen die SPÖ-Regierung mobil zu machen.

Rückkehr des Negative Campaigning

Wolfgang Schüssel erkannte als Erster, dass diese Methode zur Deklassierung der SPÖ nicht ausreichte, und entdeckte die Medien, um diese Deklassierung voranzutreiben. Er engagierte erfahrene Berater, zum Beispiel Wolfgang Rosam, und brachte sich als Kanzler auf larmoyante Weise in den Vordergrund, indem er sich als Angegriffener darstellte. Schüssel machte vergessen, dass er bereits jahrelang in der großen Koalition mitregiert hatte, und fand Verbündete in den Medien, die die SPÖ ebenso hassten. Der ORF hat sorgfältig versucht, die Spuren einer Sendung zu verwischen, die im Jahr 2000 nach der Angelobung von Blau-Schwarz ausgestrahlt wurde, einem Tribunal, das der damalige ORF-Generalintendant Gerhard Weis einberufen hatte. Dort saßen Journalisten wie Paul Lendvai oder Andreas Unterberger, um das Land wieder einmal auf seine Lieblingsparole "Jetzt erst recht!" einzuschwören.

Zusammengeschweißt hat sie eines: der Hass auf die SPÖ. Mit gehirnwäscheartiger Routine spricht man von den Sozialisten, obwohl jeder weiß, dass die Partei seit langem Sozialdemokratische Partei heißt. Es ist die Rückkehr des Negative Campaigning, das mit Kreisky in den frühen 70er-Jahren verschwand und von Jörg Haider wieder aufgenommen wurde.

Genetischer SPÖ-Hass

Mit Sebastian Kurz tritt nun eine neue Generation an die Macht, die den Hass auf die SPÖ nicht mehr selbst herleiten kann, sondern bei der dieser Hass zum genetischen Code gehört. Verändert hat sich nichts, denn auch Kurz muss so tun, als wäre er nicht jahrelang in der Regierung gesessen, als wäre die ÖVP nicht 31 Jahre lang in der Regierung gesessen. Kurz hat in den letzten Jahren ganze Medienhäuser auf seine Seite gebracht. Der Zerfall der kritischen Medienlandschaft ist immer ein wesentlicher Teil beim Rechtsruck eines Landes.

Doch der ÖVP reicht die Selbstaufgabe, mit der sie sich bei der Kür von Kurz entschlossen hat, Bünde und Länder zu entmachten, nicht aus. Sie braucht die FPÖ. Inhaltliches Rezept: Auf jedem Gebiet der Politik wird die Zuwanderung für alle Probleme verantwortlich gemacht. Wie bizarr ist es, dass die FPÖ sich als soziale Partei plakatiert; besonders jetzt, wo die unsozialsten Maßnahmen seit 50 Jahren bevorstehen! Kurz hat keine Probleme damit, dass das FPÖ-Verhandlerteam mit Personen antritt, die in rechtsextremen Blättern schreiben; er hat kein Problem damit, einen Kassasturz anzuordnen, wo seine Partei doch seit Jahren den Finanzminister stellt; er hat kein Problem damit, die längst erfolgte Einigung mit der FPÖ als offenen Prozess darzustellen.

Human und Social Bots

Kurz spricht vom neuen Miteinander. Was die Verantwortung der ÖVP für die Facebook-Fanpages betrifft, mit denen die SPÖ und Christian Kern diskreditiert wurden, schweigt man und versteckt sich hinter der Ausrede, eine "ÖVP-nahe Person" oder ein "ehemaliger ÖVP-Mann" habe die Fäden gezogen. Als ob der klare Angriff auf den Kanzlerbonus nicht eine logische Strategie gewesen wäre, bei der nicht nur Social Bots, sondern auch Human Bots heftig und lautstark mitgeholfen haben. So twitterte Rosam, nachdem man die Facebook-Seiten der SPÖ in die Schuhe geschoben hatte: "Das war’s, SPÖ!"

Dieses Verhalten wirft ein Licht darauf, wie es vor sich gehen wird, wenn die FPÖ sich als europafreundliche Partei outen wird: Sie wird das mit einem Augenzwinkern tun. So wie diese Partei alle antisemitischen und das NS-Regime verherrlichenden Aussagen augenzwinkernd zurückgenommen hat, um Sympathisanten zu signalisieren, mit welchem Ernst sie das tut. Die ÖVP schaut zu, denn sie hat nur zwei Interessen: die Demütigung der SPÖ und den Rückbau der Reformen seit 1970. Das ist sehr wenig, um eine Regierung zu betreiben, um ein Land zu regieren, das größere Probleme hat als das unterentwickelte Selbstbewusstsein seiner Christlich-Sozialen.

Wo ist das Bürgertum?

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis in der ÖVP Wirtschaft und Unternehmer, denen es um ihre Interessen geht, gegen die eigene Partei aufstehen werden. Es gäbe mit einer ernsthaften ÖVP genug Inhalte zu diskutieren, die man für ein seriöses Regierungsprogramm brauchen könnte. Leider aber sind die Pakte mit dieser Partei kurzlebig geworden; ihre Zusagen gelten für ein paar Monate, selten aber für den Zeitraum einer Legislaturperiode. Hinter der am Wahlabend so gerühmten bürgerlichen Mehrheit stecken zwei Parteivorsitzende: ein Studienabbrecher und ein Schulabbrecher. Dem Bürgertum haben seine Werte schon einmal mehr bedeutet.

Für die Bevölkerung wird die Kurz-Ära ein dickes Minus bringen. Noch schlimmer: Die Rachegelüste der ÖVP werden kein Ende finden, und eine Zeit, in der Österreich eine bürgerliche Partei bekommt, die mit Seriosität die Interessen ihrer Gefolgschaft vertritt, rückt in weite Ferne. (Daniel Wisser, 3.11.2017)