Mit beiden Füßen im Kriminal: Dunkle Gestalten erleben "Abenteuer in Wien" (1952) am Westbahnhof.


Foto: Filmarchiv

Wien – Jede Gesellschaft schafft ihre eigenen Verbrechen. Dabei sind es weniger die spektakulären Mordfälle, die entsprechende Rückschlüsse zulassen, sondern es sind meist die "gewöhnlichen" Vergehen, die in dieser Hinsicht Einblicke gewähren. Was bei Strafe verboten ist, schreibt ohnehin das Gesetzbuch vor; über die Gründe der Übertretung kann man dort natürlich nichts lesen. Diese erfährt man allerdings, wenn sich der Kriminalfilm ihrer annimmt, umso öfter im Kino.

Denn hier taucht das Verbrechen kaum auf, ohne dass nicht auch dem dazugehörigen Motiv eine bedeutende Rolle zukäme: Der Mord aus Eifersucht bekommt dann ebenso eine entsprechende spektakuläre Vorgeschichte wie Planung und Ausführung des Bankraubs im sogenannten Heist-Movie. Man will auf der Leinwand eben immer genau sehen und wissen, was die Menschen, mit denen man sich identifizieren soll, zu ihren Taten treibt. Und ein bisschen Voyeurismus und Lust, dem anderen beim Gesetzesbruch zuzusehen, darf auch im Spiel sein.

Besonders im österreichischen Kriminalfilm wird das Verbrechen auffällig gerne erklärt – der Blick in die sogenannte Volksseele ist im heimischen Kino traditionell als Nabelschau angelegt, bei der den Ermittlern und Tätern gleichermaßen als Menschen, die sie auch sind, zugesetzt wird.

Ob man dem österreichischen Kriminalfilm überhaupt eine Tradition zugestehen will, lässt sich nun anhand der Retrospektive Come and shoot in Austria im Wiener Metrokino überprüfen. Denn das Genrekino hatte es – abgesehen vom unrühmlichen Heimatfilm – hierzulande schon immer schwer, überhaupt Fuß zu fassen und sich zu entwickeln.

Verhasste Unterdrücker

Der Hamburger Filmhistoriker Christoph Fuchs, der die aus 22 Arbeiten bestehende Reihe kuratiert und auf kanonisierte Klassiker wie Der dritte Mann weitgehend verzichtet hat (stilprägende Arbeiten wie Franz Novotnys Die Ausgesperrten, Kurt Steinwendners Flucht ins Schilf oder Niki Lists Müllers Büro sind dennoch zu finden), beruft sich in dieser Frage auf den Geschichtsphilosophen und Soziologen Siegfried Kracauer. Dieser stellte nämlich bereits in Von Caligari zu Hitler fest, dass "das Kriminalgenre nur in Staaten mit gesunder demokratischer Tradition gedeihen konnte. In Ländern mit obrigkeitsstaatlicher Tradition ist der Polizist als Unterdrücker verhasst, der Detektiv als Denunziant gefürchtet". Kein Wunder also, dass im Gegensatz zum französischen Gangsterfilm und dem amerikanischen Polizeithriller die österreichische Krimilandschaft mit Kleinganoven, Strizzis, Spitzeln und Ehebrecherinnen durchsetzt ist.

Trailer zum Kottan-Film "Den Tüchtigen gehört die Welt".
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Wie stark vor allem der heimische Kriminalfilm und seine Fernsehableger wie Kottan (gezeigt wird Peter Vogel im Bassenamilieu der Hartlgasse 16a) Klischees unterliegen, darauf verweist bereits der doppeldeutige Titel Come and shoot in Austria: Dieser steht nämlich auch auf jener Werbetafel mit kitschiger Gebirgslandschaft, die im Kottan-Film Den Tüchtigen gehört die Welt den US-Profikiller am Wiener Flughafen begrüßt. Geschossen wird dann natürlich trotzdem.

Die Filmschau, die mit Beispielen aus den 20er-Jahren wie Michael Kertész' Mörderinnendrama Frau Dorothys Bekenntnis und Géza von Bolvarys Revuekrimi Premiere mit Zarah Leander einsetzt, reicht bis zu Benjamin Heisenbergs Der Räuber (2010) mit Andreas Lust als "Pumpgun-Ronnie" und Florian Flickers Weibsteufel-Adaption Grenzgänger. Der Fokus liegt allerdings vornehmlich auf der Nachkriegszeit, als die Schatten lang und die Ecken in den Zinshäusern dunkel waren, und Filme wie Abenteuer in Wien (1952) das bis heute nachwirkende Gefühl von verräterischer Enge vermittelten.

Ausschnitt aus "Abenteuer in Wien" (1952).
HOANZL

Vielleicht ist ja das das typisch Österreichische im Krimi: sich im Kino etwas auszusetzen, was man in Wirklichkeit schon hat. (Michael Pekler, 4.11.2017)