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Aktivisten einer Pro-Grundeinkommen-Gruppe in der Schweiz packen Fünf-Rappen-Stücke aus, die später vor das Bundeshaus in Bern geschüttet werden sollten.

Foto: Reuters

I.Sollte es ein Grundeinkommen geben? Das Thema eignet sich gut, um grundlegende Fragen zu erörtern: Fragen der Menschenwürde, nach Anerkennung und gesellschaftlicher Integration, nach dem Sinn von Arbeit, nach der angemessenen Dimensionierung von Politik. Die Einführung eines Grundeinkommens beantwortet all diese Fragen keineswegs überzeugend. Aber die Forderung nach einem Grundeinkommen wirkt als gesellschaftspolitischer Lackmustest: Man erfährt viel über jene, die sich dazu zu Wort melden. Die Verwirklichung der Grundeinkommensidee aber bleibt in weiter Ferne. Woran liegt das? Die Diskussion befasst sich viel zu wenig mit Strategiefragen. Dieses Defizit hat die Grundeinkommensidee in eine Utopiefalle geführt.

II.Bedingungsloses Grundeinkommen für alle ist kaum denkbar. Ich ziehe es darum vor, von einem "garantierten Grundeinkommen" zu sprechen. Tatsächlich lenkt die Bezeichnung "bedingungslos" von unangenehmen Fragen ab. Zwei Einschränkungen der "Bedingungslosigkeit" sind unvermeidbar. 1. Der Kreis der Berechtigten ist immer räumlich begrenzt. Die Forderung "Grundeinkommen für alle" löst das Problem nicht, sondern verdeckt es. Ja, Ausschlüsse zu formulieren ist unangenehm. Aber ein Weltgrundeinkommen zu fordern ist eine billige Ausflucht. 2. Ab welchem Alter soll man zum Bezug des garantierten Grundeinkommens berechtigt sein? Niemand kann sagen, welchen Einfluss ein Grundeinkommen im jugendlichen Alter auf die gesamte Biografie hätte. Immerhin ist denkbar, dass es die Ausbildungs- und Arbeitsorientierung stört. Dazu kommt, dass dieser Einfluss nicht erst mit dem Zeitpunkt der Auszahlung entsteht, sondern schon durch die Aussicht darauf, also viel früher.

All die guten Argumente, dass die Leute mit einem Grundeinkommen ohnehin weiterarbeiten würden, beziehen ihre Plausibilität aus einer bereits erfolgten Arbeitssozialisation, treffen also für Erwachsene der ersten Generation in einem "Grundeinkommenszeitalter" zu. Für die Nachwachsenden lautet die Frage nicht: Werden ausreichend viele bereit sein, unangenehme, aber unvermeidbare Jobs zu übernehmen? Dieses Problem lässt sich mit ausreichend hohen Löhnen wohl lösen. Die entscheidende offene Frage ist vielmehr: Wie viele werden es überhaupt schaffen, in ein "tätiges Leben" (Hannah Arendt) zu finden? Mit wohlmeinenden Verweisen auf die angeborene Kreativität ist es nicht getan.

III.Das führt zu der großen Unsicherheit bezüglich der Frage, wie ein existenzsicherndes Grundeinkommen auf das Angebot an Arbeitskraft wirken würde. In diesem Punkt geht die Diskussion wild durcheinander. Hoffnungsvolle Erwartungen freigesetzter Kreativität stehen gegen düstere Prognosen einer allgemeinen Flucht aus der Arbeit. Die schulterzuckende Feststellung, es gebe eben unterschiedliche "Menschenbilder", ist unbefriedigend. Jede sinnvolle Diskussion sollte mit dem Eingeständnis beginnen, dass man über die Wirkung eines Grundeinkommens auf die Arbeitsorientierung wenig weiß.

Immerhin, ein paar Vermutungen scheinen mir nicht ganz aus der Luft gegriffen. Durch ein Grundeinkommen geht das Angebot an Arbeitskraft insgesamt leicht, im unteren Einkommensbereich stärker zurück. Hier verteuert sich die Arbeit, weil das Grundeinkommen als Lohnuntergrenze wirkt. Das führt gemeinsam mit dem verringerten Angebot im unteren Einkommensbereich zu Lohnsteigerungen. Allerdings wird längerfristig ein Teil dieses Effekts wieder aufgehoben, weil die Nachfrage nach bisher niedrig bezahlter Arbeitskraft zurückgeht, da durch Automatisierung, Übertragung von Arbeit auf Kunden etc. Arbeitskraft eingespart wird. Manchmal wird das Gegenteil behauptet: Das Angebot an Arbeitskraft im Niedriglohnsektor bleibt gleich oder weitet sich noch aus, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich durch ein Grundeinkommen auf noch niedrigere Löhne einigen können.

Plausibel ist diese Vermutung allerdings nur bei Arbeiten, die in allererster Linie um ihrer selbst willen und nicht aus Einkommensinteresse verrichtet werden. Das setzt sehr spezifische, altruistische Arbeitsmotive voraus. In solchen Fällen wirkt ein Grundeinkommen also nicht als Lohnuntergrenze, sondern als Lohnsubvention. Dagegen ist eine allgemeine Zweckentfremdung eines Grundeinkommens als Lohnsubvention unplausibel.

IV.Wie gesagt: Das sind Vermutungen. Insgesamt weiß man hinsichtlich der Wirkung eines garantierten Grundeinkommens auf das Arbeitskraftangebot sehr wenig. Auch Experimente helfen nur bedingt weiter. Grundeinkommensexperimente, wie sie gegenwärtig zum Beispiel in Finnland durchgeführt werden, sind stets auf Zeit angelegt, und sie erfassen immer nur ausgewählte Gruppen der Bevölkerung. Das muss so sein (sonst wäre es kein Experiment, sondern die Einführung eines Grundeinkommens), schränkt aber ihre Aussagekraft gerade bezüglich des Angebots an Arbeitskraft ein.

Erstens hängen Reaktionen davon ab, ob man ein Grundeinkommen für die nächsten zwei Jahre (Experiment) oder für immer (Einführung) erwarten kann. Wer wird denn ernsthaft daran denken, aus einem Job auszusteigen, wenn er weiß, dass das Grundeinkommen demnächst wieder weg ist? Zweitens wird ein Grundeinkommen sehr unterschiedlich wirken, je nachdem, ob alle ein Grundeinkommen beziehen oder nur die Testgruppe. Keinesfalls lässt sich an einer Testgruppe ablesen, ob ein Grundeinkommen einen grundlegenden kulturellen Wandel anstößt. Alles in allem: Man kann mit unterschiedlichen Versionen eines Grundeinkommens ausgestattete Testgruppen untereinander vergleichen, nicht aber von Testergebnissen auf die Gesellschaft hochrechnen. Will man wissen, ob und wie ein Grundeinkommen die Gesellschaft verändert, muss man es einführen.

V.Die unvermittelte Forderung nach einem garantierten Grundeinkommen hat etwas stark Entlastendes. Man bewegt sich in der heilen Welt des Normativen: Erst wird ein schlechter gesellschaftlicher Ist-Zustand diagnostiziert, dann wird ihm ein Grundeinkommen als Soll entgegengesetzt. Wie aber kommt man politisch von hier nach da? Wenn sich ein Grundeinkommen nur mit einem großen Sprung einführen lässt, dann lässt es sich überhaupt nicht einführen. Das ist die Utopiefalle. Um ihr zu entgehen, muss man die schrittweise Verwirklichung des Grundeinkommens ins Auge fassen. 1. Es erfordert Reformschritte, die unmittelbare Verbesserungen bringen und für die es politische Bündnispartner jenseits der Grundeinkommensszene gibt. 2. Man darf keinesfalls das Risiko eingehen, dass man bei den Schritten zur Einführung eines Grundeinkommens bei einem Zustand steckenbleibt, der schlechter ist als der gegenwärtige Status quo. Also: Jeder Reformtorso muss akzeptabel sein. 3. Das hat den Vorteil, dass sich schon an den Reformschritten in Richtung auf ein Grundeinkommen erkennen lässt, was damit beabsichtigt ist. So lässt sich das Durcheinander der weltanschaulich höchst unterschiedlich motivierten Vorschläge in der Diskussion praktisch auflösen.

VI.Die Digitalisierung wird bei der Einführung eines Grundeinkommens nicht viel helfen. Sie ist neu, aber die Idee, dass der Gesellschaft durch den technischen Fortschritt die Arbeit abhandenkommt, ist uralt. Die utopischen Romane des 19. Jahrhunderts sind voll davon. Nun könnte ja sein, dass gegenwärtig ein qualitativ völlig neuartiger Technologieschub stattfindet. Aber das müsste erst einmal gezeigt werden. Bei der Entwicklung der Dampfmaschine dachte man das auch schon. Dagegen spricht, dass in den meisten Industriegesellschaften Produktivitätszuwächse langfristig abnehmen. Damit erledigt sich eine verführerische Idee: Der technische Fortschritt beseitigt Arbeitsplätze und erweitert Verteilungsspielräume. Er schafft ein Problem und zugleich seine Lösung. Diese Vorstellung ist attraktiv, aber falsch. (Georg Vobruba, 3.11.2017)