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Nomen est omen: DIe Stadttaube, die von der Felsentaube abstammt, hat sich an der urbane Umfeld angepasst.

dpa

Toronto/Wien – Vermutungen darüber, dass sich die Großstadt auf Mensch und Tier auswirkt, gibt es schon lange. In den 1930er-Jahren etwa meinte der Verhaltensforscher Konrad Lorenz, dass die urbane Umgebung ohne biopolitische Eingriffe zur "Verhausschweinung" des Menschen und zum genetischen Verfall führen könnte.

Die damaligen Behauptungen waren freilich stark ideologisch motiviert: Das Landleben, wo noch so etwas wie "gesunde" Selektion herrsche, wurde damals mit der unnatürlichen Metropole kontrastiert, wo sich auch "Minderwertige" fortpflanzten.

Aufwendige Metastudie

Seitdem sind hunderte Untersuchungen erschienen, die Auswirkungen der städtischen Umgebung auf die Evolution von Tier und Mensch analysierten. Und zwei Forscher – Marc Johnson (University of Toronto Mississauga) und sein Kollege Jason Munshi-South – haben sich im Fachjournal "Science" die Mühe gemacht, in einem Überblicksartikel die wesentlichsten Erkenntnisse daraus zusammenzufassen.

Heute leben immerhin 55 Prozent aller Menschen in Städten, die Tendenz ist weiter steigend. Die Tiere, die den Menschen dorthin folgen, leben anders als ihre Artgenossen in freier Natur: Es gibt versiegelte Böden, isolierte Grünflächen, höhere Temperaturen, mehr Luft-, Licht- und Lärmverschmutzung. Daran passen sich viele Arten an, was zu einer beschleunigten Evolution führt.

Gründe für Mutationen

Die Gründe dafür sind indes vielfältig: So kann es Mutationen im Erbgut eines Tieres geben, die ihm besondere Vorteile verschaffen: Das klassische Beispiel dafür ist der Birkenspanner. Bei diesem Falter setzte sich im 19. Jahrhundert eine Mutation durch, die seine Flügel dunkel färbte. So war er auf Birkenstämmen, die durch den Ruß verschmutzt waren, besser getarnt.

Die Anpassungen entwickeln sich typischerweise als Antwort auf Pestizidgebrauch, Verschmutzung, lokales Klima oder die physische Struktur der Städte, schreiben Johnson und Munshi-South. So trennen Flüsse oder breite Straßen die Lebensbereiche vieler Tiere in der Stadt ab. Das wiederum führt dazu, dass sich bei der Weißfußmaus in New York die einzelnen Populationen in verschiedenen Stadtteilen deutlich unterscheiden.

Wirkungen auf den Menschen

Ein anderes Beispiel sind für die beiden Forscher Hausgimpel, die in US-Städten ihre Schnabelform weiterentwickelt haben, um die größeren Sonnenblumenkerne, die sie dort von Menschen bekommen, besser knacken zu können. Weitere Forschungen zur Tierevolution in der Stadt könnten künftig auch Menschen helfen, betont das Autorenduo – um etwa mehr über die Entwicklung von Schädlingen wie Bettwanzen und Kakerlaken zu erfahren.

Schließlich dürften sich in den Großstädten tatsächlich auch die Menschen evolutionär weiterentwickeln – aber eher in eine positive Richtung: Eine der ausgewerteten Studien etwa hat festgestellt, dass Menschen in alten Großstädten genetisch tendenziell resistenter gegen Infektionskrankheiten wie Lepra oder Tuberkulose sind als Landbewohner. Der Grund dafür: Die resistenten Städter stammen von anderen Stadtbewohnern ab, die mit diesen Krankheiten besser zurechtkamen. (tasch, 3.11.2017)