Rohingya auf der Flucht: Die in Myanmar beheimateten Muslime sind die weltweit größte Gruppe staatenloser Menschen, denn Myanmar erkennt sie nicht als seine Staatsbürger an.

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Die 51-jährige Amina Kassim blickt auf ihre Leidensgeschichte zurück. "Ich fühlte mich als Sklave", sagt die Frau. Jahrzehntelang hatte ihr Heimatland Kenia ihr die Staatsbürgerschaft verweigert. Im Oktober 2016 aber erkannte Kenia die Volksgruppe der Makonde, zu der auch Amina gehört, als Staatsbürger an. "Ich fühle mich jetzt wie wiedergeboren", gibt Amina gegenüber dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR zu Protokoll.

Die etwa 4.000 Angehörigen der Makonde in Kenia hatten Glück. Zehn Millionen Menschen hingegen wie die Rohingya aus Myanmar leben weiter ohne Staatsbürgerschaft. Sie werden diskriminiert, verfolgt, getötet.

Staaten haben sechs Jahre Zeit

Die Vereinten Nationen machen sich jetzt für die Ausgestoßenen stark: "Die Staaten müssen entschlossen handeln, um die Staatenlosigkeit zu beenden", forderte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, am Freitag in Genf. Grandis Ziel: Bis 2024 sollen alle Staatenlosen in den Genuss einer Staatsbürgerschaft gelangen.

Aktueller Hintergrund dieses Vorstoßes ist die Tragödie der muslimischen Rohingya. Sie sind die größte staatenlose Minderheit weltweit. Die Streitkräfte Myanmars haben bereits mehr als 600.000 Rohingya nach Bangladesch vertrieben. Etliche Menschen starben.

Problem unter Flüchtlingen in der EU

Im Heimatkontinent der Rohingya, Asien, und in Afrika fristen die meisten Staatenlosen ihr Dasein. Das Phänomen taucht aber auch in Europa immer stärker auf: Unter den Flüchtlingen und Migranten, die das Mittelmeer überqueren, befinden sich viele Menschen ohne Papiere. "Die Schwierigkeiten der Geflohenen, die staatenlos sind, fangen schon bei der Registrierung an", erklärt Adrian Edwards, Sprecher des UNHCR.

Staatenlose sind in vielen Ländern von Gesundheitsversorgung und Schulbildung ausgeschlossen. Sie finden keine Arbeit. Sie dürfen weder eine Immobilie erwerben noch ein Bankkonto eröffnen. Sogar eine Heirat wird ihnen vielfach nicht gestattet. Besonders Kinder leiden unter dem Schicksal. Sie leben "wie in einem Schatten", fühlen sich wie "Straßenhunde". Das sind Aussagen von staatenlosen Mädchen und Jungen, die das UNHCR sammelte.

Ausgrenzung, Kriege, Gesetzeslücken als Ursachen

Wie werden Menschen staatenlos? Neben der Ausgrenzung von Minderheiten wie den Rohingya verursachen vor allem bewaffnete Konflikte wie in Syrien und das Auseinanderbrechen von Staaten wie im Fall der früheren Sowjetunion Staatenlosigkeit. Auch Lücken im Gesetz und das Fehlen von Geburtsregistern können Menschen zu einem Leben "im Schatten" verurteilen.

Um den Staatenlosen aber ein Leben in Sicherheit und Würde zu ermöglichen, listet Hochkommissar Grandi konkrete Forderungen auf. Die Staaten sollten alle Gesetze aufheben, die Menschen aufgrund von Ethnie, Religion oder Sprache eine Einbürgerung verwehren. Die Staaten sollten die Einbürgerung von Minderheiten erleichtern.

Mehr Rechte für Mütter

Auch müssten Staaten allen Kindern, die auf ihrem Territorium geboren werden, die Nationalität gewähren. Und alle Mütter müssten berechtigt sein, ihre Staatsbürgerschaft auf ihre Kinder zu übertragen. Es gehe darum, allen Menschen die "gleichen grundlegenden Rechte zu geben", fasst UN-Hochkommissar Grandi zusammen. (Jan Dirk Herbermann aus Genf, 5.11.2017)