Metaller-Chefverhandler Rainer Wimmer und Johannes Collini geben einander zum heurigen Auftakt die Hand – Kollektivverträge in Aktion.

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Wien – Die "gesetzlichen Interessenvertretungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer" (vor allem Wirtschafts- und Arbeiterkammern) sind wesentlich geprägt vom System der Pflichtmitgliedschaft. Gerade diese Pflichtmitgliedschaft ist derzeit Gegenstand politischer Diskussionen. Während FPÖ und Neos deren Abschaffung fordern, weisen sowohl Repräsentanten der Sozialpartner als auch andere Experten auf mögliche Konsequenzen für die Institution des Kollektivvertrags hin.

Kollektivverträge werden zwischen "kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber einerseits und der Arbeitnehmer andererseits" (§ 2 Abs. 1 ArbVG) abgeschlossen. Darunter versteht man sowohl die Kammern als auch "auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Berufsvereinigungen" (§ 4 ArbVG) – in der Praxis der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) und einige Arbeitgeberverbände -, also die jeweilige Wirtschaftskammer bzw. deren Fachorganisation und nur fallweise einen freiwilligen Berufsverband.

Die Anwendung eines Kollektivvertrags auf Arbeitgeberseite ist – mit einigen Ausnahmen – gemäß § 8 ArbVG an die Mitgliedschaft des Unternehmens in der abschließenden Körperschaft gebunden. Für alle Unternehmen, die der Gewerbeordnung unterliegen – und das ist der weitaus größte Teil -, bedeutet das nach § 2 Wirtschaftskammergesetz 1998 (WKG) die Mitgliedschaft bei einer Wirtschaftskammer sowie deren Fachorganisationen.

Hoher Standard

Vor allem das System der "gesetzlichen Interessenvertretungen" – und hier besonders die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern – führt dazu, dass in Österreich etwa 98 Prozent aller Arbeitsverhältnisse einem Kollektivvertrag unterworfen sind, im internationalen Vergleich ein hoher Standard.

Somit können wesentliche Fragen für beinahe sämtliche Arbeitnehmer durch Verhandlungspartner mit gleicher Stärke sowie Fach- bzw. Branchenkenntnis auf Augenhöhe geregelt werden.

Eine Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern hätte die Folge, dass nicht nur die Zugehörigkeit zu einer Interessenvertretung, sondern auch die Kollektivvertragsangehörigkeit weitgehend der freien Disposition des einzelnen Unternehmers überlassen würde.

Nur Lückenschließung

Alternativen, um eine einigermaßen hohe Kollektivvertragsdichte zu gewährleisten, scheint es nicht zu geben: Zwar ermöglicht § 18 ArbVG, einen Kollektivvertrag durch Entscheidung des Bundeseinigungsamtes zur "Satzung" zu erklären, womit dieser auch für nicht einem bestimmten Berufsverband angehörige Unternehmer verbindlich ist. Diese Möglichkeit könnte aber schon deshalb kein Ersatz für das derzeitige System sein, weil für jeden einzelnen Kollektivvertrag (und dessen – oft jährliche – Änderung) auf Antrag ein entsprechendes Verfahren einzuleiten ist und dies nur unter bestimmten Voraussetzungen zum Ziel führen kann. Die "Satzung" von Kollektivverträgen ist somit nur zur Absicherung und Ergänzung der Kollektivverträge, also zur "Lückenschließung", gedacht.

Noch viel weniger kann der in § 22 ArbVG als "Kollektivvertragsersatz" vorgesehene Mindestlohntarif, der vom Bundeseinigungsamt auf Antrag zu erlassen ist, als Alternative angesehen werden. Dieser ist überdies nur auf die Festlegung von Entgelten/Auslagenersatz beschränkt.

Auch die – theoretisch denkbare – gesetzliche Vorschreibung einer Außenseiterwirkung auf Arbeitgeberseite wäre kaum geeignet, ein annähernd hohes Schutzniveau zu gewährleisten. Kollektivverträge müssten dann für sämtliche Arbeitgeber und Arbeitnehmer einer bestimmten Branche verbindlich sein, unabhängig von deren Mitgliedschaft in einer der abschließenden Körperschaften.

Damit würde man die Normwirkung des Kollektivvertrags jedoch von der Vereinbarung zwischen zwei Körperschaften für ihre Mitglieder sehr weit entkoppeln, was große Legitimationsprobleme mit sich bringen würde. Letztlich wäre es für die betroffenen Unternehmer auch ein viel schwerwiegenderer Eingriff als die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer. Derart weitreichende Außenseiterwirkungen auf Arbeitgeberseite sind international unüblich und wären politisch höchst umstritten.

Außenseiterwirkung

Davon zu unterscheiden ist die in § 12 ArbVG geregelte – und auch international häufig anzutreffende – Außenseiterwirkung für Arbeitnehmer; diese hat vor allem den Sinn, einheitliche Arbeitsbedingungen in ein und demselben Betrieb zu gewährleisten und einen Wettbewerb der Arbeitnehmer mit schlechteren Arbeitsbedingungen zu verhindern.

Das österreichische Kollektivvertragssystem baut somit auf jenem der "gesetzlichen Interessenvertretungen" auf und kann von diesem nicht sinnvoll getrennt werden; jedenfalls nicht, ohne den in Österreich nach wie vor hohen Standard hinsichtlich des sozialen Schutzzwecks des Kollektivvertrags, dessen Friedensfunktion und der Hintanhaltung wettbewerbsverzerrender Praktiken massiv infrage zu stellen. (Thomas Majoros, 7.11.2017)