Das Zwei-Grad-Ziel von Paris würde in Österreich ein Temperaturplus von bis zu 6,6 Grad Celsius bedeuten.

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Das würde nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch den Wintertourismus schädigen.

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Der österreichische Volkswirt und Klimawandelexperte Karl Steininger rät daher zu raschen klimapolitischen Maßnahmen, um den Schaden zu reduzieren.

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STANDARD: Vor kurzem haben Sie den Bericht "Das Treibhausgas-Budget für Österreich" präsentiert und dabei aus dem global ab 2017 noch verfügbaren Treibhausgasbudget jenes für Österreich abgeleitet. Bis wann ist es aufgebraucht?

Steininger: Großzügigst gerechnet, hat Österreich – wenn die Emissionen auf heutigem Niveau bleiben würden – sein Budget spätestens 2035 völlig aufgebraucht. Die Grundidee ist, dass wir bis 2050 nicht nur emissionsneutral sein müssen, wir dürften laut Pariser Klimavertrag bis dahin zudem insgesamt nur noch 1000 bis 1500 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente emittieren, deutlich weniger als wir in den letzten 25 Jahren emittiert haben. Wir müssen die Trendwende also sofort einleiten. Es handelt sich um keine Horrorszenarien, wir haben den Berechnungen ein für Österreich günstiges Modell zugrunde gelegt, das die heute hohen Emissionen erst bis 2050 auf global gleiche Pro-Kopf-Emissionen senkt.

STANDARD: Sie leiten auch die Studie "Costs of Inaction" (Coin). Wie teuer wird der Klimawandel?

Steininger: Wird nicht gegengesteuert, wird der Klimawandel um 2050 Schäden in Österreich in einer Höhe von vier bis zu 8,8 Milliarden Euro jährlich verursachen. Ich vergleiche die untere Grenze gern mit der letzten Steuerreform. Denselben Finanzierungsbetrag müssten wir dann jedes Jahr für die Bekämpfung der Klimawandelfolgen aufbringen. Die Klimaentwicklung bis zur Mitte des Jahrhunderts wird sich kaum noch verändern, sie ist durch Treibhausgase verursacht, die wir bereits emittiert haben.

STANDARD: Mit welchem Temperaturanstieg ist bei dem in Paris festgelegten Zwei-Grad-Ziel in Österreich zu rechnen?

Steininger: Das würde für Österreich einen durchschnittlichen Temperaturanstieg von 4,5 bis 6,6 Grad bedeuten.

STANDARD: In welchen Bereichen würden die Schäden die höchsten Kosten verursachen?

Steininger: Im Prinzip wären alle Wirtschaftsbereiche betroffen. Aber einige noch mehr, wie etwa der Tourismus. Mit schneebedeckten Bergen könnten wir dann keine Touristen mehr anlocken. Die Sommerfrische in den Alpen könnte das zum Teil ausgleichen, wenn es am Mittelmeer unerträglich heiß wird. Aber mit der Idee sind wir ja auch nicht allein. Im Sommer wird die Gebäudekühlung mehr Elektrizität benötigen. Im Gesundheitsbereich steigt die Belastung für alle, aber besonders für Kinder und ältere Menschen. Spitäler sind großteils noch nicht gegen Hitzewellen geschützt, das gilt ebenso für Altersheime. Durch Hochwässer und Wetterextreme steigen die Infrastrukturschäden.

STANDARD: Für die Landwirtschaft ergaben sich für ganz Österreich betrachtet unterschiedliche Ergebnisse. Wer profitiert, wer verliert?

Steininger: In der Landwirtschaft gibt es zwei Aspekte: Zum einen verlängern sich die Vegetationsphasen, und mehr CO2 wirkt auch als Dünger für die Pflanzen. Andererseits werden extreme Wetterereignisse zunehmen: Das bedeutet mehr und unkalkulierbarere Niederschläge oder lange Hitzeperioden. Selbst wenn die Produktion der Landwirtschaft insgesamt gleich bliebe, nutzt das jenem Landwirt nichts, der einen massiven Ernteausfall hat.

STANDARD: Welcher Arbeitsauftrag ergibt sich daraus für die künftige Regierung?

Steininger: Wir sollten beim Klimaschutz die Stoßrichtung vorgeben. Das können wir nur glaubhaft machen, wenn wir selbst Anpassungen und CO2-Drosselungen vornehmen. Wir haben mit dem ersten Coin-Bericht schon 2015 auf die finanziellen Folgen des Klimawandels aufmerksam gemacht und eine Übersicht geschaffen, wo man ansetzen kann.

STANDARD: Am Rande des Forums Alpbach kam es Ende August zu einem Treffen mit Sebastian Kurz und Elisabeth Köstinger. Welche Signale wurden vom ÖVP-Chef und Regierungsverhandler gesendet?

Steininger: Ich hatte den Eindruck, dass intensiv zugehört wurde. Nun warte ich gespannt auf das Regierungsprogramm. Es geht jetzt in einzelnen Punkten auch darum, wer den längeren Atem hat. Meine Hoffnung ist, dass sich die Idee, dass wir uns gegenseitig wieder zuhören, eine Chance hat, und zwar zuhören und gemeinsam Lösungen erarbeiten, bis diese tragfähig sind und wirklich umgesetzt werden. Das fehlte bislang im österreichischen Klima- und Umweltschutz meiner Meinung nach. Es bringt nichts, nur schnell ein Papier für die EU abzugeben.

STANDARD: Wie kann eine rasche Umstellung gelingen, ohne die Wirtschaft zu schädigen?

Steininger: Alle emissionsintensiven Sparten wie die Papier-, die Zement- oder die Stahlindustrie stehen vor der Frage, wie sie Emissionen reduzieren können. Nehmen wir das Beispiel Stahlerzeugung: Da könnte in den Hochöfen Koks durch Wasserstoff ersetzt werden. Statt CO2, das bei der chemischen Reaktion mit Koks entsteht, würde als Abfallprodukt Wasser anfallen. Doch dazu braucht es Investitionen, die Rahmen müssen klar sein. Es kann wohl nicht sein, dass zeitgleich hohe Abgaben und hohe Investitionen gezahlt werden.

STANDARD: Was kann der Einzelne tun?

Steininger: Lebensqualität ist unser menschliches Entwicklungsziel. Aber abgesehen von technischen Innovationen, ist die Frage wichtig: Was ist es, was wir letztlich wollen? Wir müssen etwa unseren Lebensraum in der Stadt zurückgewinnen, damit wir am Wochenende nicht auf das Land "flüchten" müssen. Eine Fahrt mit dem Auto sollte als Dienstleistung verkauft werden und nicht über den Besitz des Autos. (Julia Schilly, 7.11.2017)