Die in Wahrheit oft nur vordergründig pittoreske Ästhetik fotografischer Dokumente thematisiert eindringlich Klimawandel und Zerstörung

Zustand & Zuständigkeit

Für gewöhnlich gilt: "Schuld sind immer nur die Anderen. Der Rest der Welt ist ohnehin ganz woanders, auch wenn das Ende derselben naht." Der Klimawandel ist eine zivilisatorische Tatsache, auch wenn es viele Versuche gibt, diese zu negieren oder Beweise als "fake news" zu diffamieren. Claudius Schulze hat sich zur Aufgabe gemacht, den Status quo der Natur festzuhalten. Weltweit. Für sein Großprojekt begab er sich mit einem Kranwagen und einer Großbildkamera quer über den Globus, um Idyllen zu hinterfragen. Und wahrlich. Die auf den ersten Blick oft als schön und malerisch zu apostrophierenden Orte haben allesamt ihre Makel. Alpenpanoramen werden von Lawinenwänden zerschnitten, die Nordseeküste ist von Wellenbrechern und Palisadenzäunen zerfurcht, die Lagunenlandschaft vor Venedig ist künstlich generiert, ebenso wie die Küste vor den Niederlanden. Die Gefahren von Unwettern, Stürmen, Überschwemmungen, Lawinen und Erdrutschen nehmen in Zeiten des Klimawandels extrem zu. Dem Fotokünstler geht es nicht darum, Grenzen aufzuzeigen, sondern zu dekuvrieren, wie sehr der Mensch aktiv eingreift und für den Zustand des Planteten verantwortlich zeichnet.

Claudius Schulze, "State of Nature". (Engl.) € 55,- / 172 Seiten. Verlag der Hartmann Projects, Stuttgart 2017

Foto: Verlag der Hartmann Projects

Lebensraum & Cyberspace

Längst erfolgt es "auf eigene Gefahr", die Probleme der Welt zu negieren, konstatiert konsterniert Kofi Annan. Der ehemalige Uno-Generalsekretär und Ehrenpräsident des Prix Pictet appelliert daran, die "katastrophalen Verletzungen, die wir der Natur und den verwundbarsten unserer Mitmenschen beigebracht haben", zu sehen, zu erkunden, wahrzunehmen und als Aufruf zu verstehen, dagegen etwas zu unternehmen. Annan hegt auch unter widrigen Umständen noch "Hoffnung für uns alle", nicht aufzugeben. Seit seiner Einführung 2008 hat sich der Prix Pictet weltweit als Kunstpreis für Fotografie und Nachhaltigkeit etabliert, der die enormen sozialen, ökologischen und kulturellen Umwälzungen unserer Zeit reflektiert. Der siebte Zyklus lud Fotografen dazu ein, sich mit dem Thema Space auseinanderzusetzen. Das Ergebnis ist vielschichtig: Überbevölkerung, Abholzung, Luftverschmutzung, Cyberspace, territoriale Konflikte, sterbende, zugemüllte Meere, Ödland, Ausbreitung von Wüsten, Zusammenleben auf rapide enger werdendem Raum. Dabei geht es um alle Räume unserer natürlichen Welt, von den Ozeanen und Urwäldern bis hin zum Weltraum.

Stephen Barber (Hrsg.), Michael Benson, Prix Pictet Geneve, "Prix Pictet 7: Space ". (Engl./Dt./Frz.) € 49,90 / 132 Seiten, Verlag teNeues, Kempen 2017


Foto: Verlag teNeues

Lebensbaum & Zaubermeer

Ohne die Baobabs, die magischen, bis zu 40 Meter hohen Bäume, die von Einheimischen als "Mutter des Waldes" bezeichnet werden, die aussehen, als wären sie ausgerissen worden und im Zorn verkehrt herum mit neugierig in den Himmel gereckten Wurzeln wieder eingepflanzt worden, wären ganze Regionen Madagaskars heute wahrscheinlich verödet und menschenleer. Denn die mit einem Durchmesser von bis zu zehn Metern majestätischen "Bäume des Lebens" spenden laut madagassischer Legende nicht nur symbolische Kräfte, sondern ernähren, speichern Wasser und besitzen Heilkräfte. Die korkähnliche, selbstregenerierende Rinde und der große Stamm sind feuerbeständig und werden für die Herstellung von Tuch und Seil, die Blätter als Würzmittel und für Medikamente verwendet. Die Frucht, genannt "Affenbrot", ist essbar und voll von Vitamin C. Ausgehöhlt kann ein Baobab bis zu 9000 Liter Wasser speichern und versorgt damit hunderte Menschen während der Dürreperiode. Der Hohlraum gewährt Tier und Mensch Unterschlupf, neuen Lebensraum. Manche der stummen Riesen sind 1600 Jahre alt. Fotograf Pascal Maitre setzt dem Lebensbaum ein Denkmal. Würdig!

Pascal Maitre, "Baobab. Der Zauberbaum". € 49,90 / 112 Seiten. Edition Lammerhuber, Baden/Wien 2017

Foto: Edition Lammerhuber

Erhabenheit & Ausbeutung

Reaktionslos bleibt kaum ein Betrachter der Arbeiten von Han Sungpil. Der koreanische Fotograf setzt sich seit Jahren mit den Themen Umwelt, Energiegewinnung und dem menschlichen Einwirken auf die Natur auseinander. Was die Erhabenheit der Schöpfung einerseits und die Ausbeutung des Planeten andererseits über die Beziehung von Mensch und Natur aussagt, ist eindeutig. Erschreckend. Sungpil bereiste entlegene Gebiete wie die Eismeere der Arktis und der Antarktis, pendelte zwischen norwegischen Fjorden und dem Archipel der Shetland-Inseln. Ob malerische französische Landschaften mit Atomkraftwerken, die als perfekte Idylle inszeniert scheinen, oder die Spurensuche nach den Relikten des Walfangs oder des Kohleabbaus – kunstvoll und kritisch berichten seine Fotografien vom Ausbluten des Planeten. Aufnahmen von verlassenen Fangschiffen, Walfangstationen und Industriebrachen vor monumentalen Eislandschaften rücken die Ausbeutung ökologischer Ressourcen in den Fokus und lassen den Betrachter sprachlos zurück. Trotz pittoresker Schönheit sind die bizarren Landschaften subtil eine Mahnung an die Menschheit.

Han Sungpil, "Intervention". Hrsg. v. Ilwoo Foundation (Seoul), Texte v. Celina Lunsford. (Engl.) € 38,- / 176 Seiten. Verlag Hatje Cantz, Berlin 2017

Foto: Verlag Hatje Cantz

Landschaft & Gestaltung

Als Robert Zünd lebte, war die Welt, wie man so schön sagt, noch in Ordnung; war die Umwelt intakt, waren Landschaften weitgehend unberührt, und der Mensch lebte noch im Einklang mit der Natur. Bis heute begeistern die naturgetreuen und stimmungsvollen Landschaftsgemälde des Schweizer Malers Robert Zünd (1827-1909) durch ihre Komposition, ihre Naturtreue, ihren Detailreichtum und ihre Farbpalette. Fasziniert von der Präsenz und dem Realismus, der fast als Fotorealismus zu bezeichnen ist, trat der Fotograf Tobias Madörin in Dialog. Mit seiner Großbildkamera begab er sich auf die Fährte des Malers, suchte die Positionen und Standorte auf, von denen aus die Gemälde einst entstanden waren, und dokumentierte den Status quo von heute. Es entstand ein höchst interessantes Bild, eine Melange aus vergangener und gegenwärtiger Landschaft und Architektur. Im Gegenüberstellen und Überschneiden des Zeit-Raum-Kontinuums präsentiert uns der 1965 geborene Fotokünstler ein überraschendes Kaleidoskop, das genial die neue Schnittmenge zeigt. Großes Kino!

Kunstmuseum Luzern, Fanni Fetzer, Dominik Müller & Jonathan Steinberg, "Bellevue: Robert Zünd (1827-1909) – Tobias Madörin (1965)". (Deutsch / Englisch). € 48,- / 130 Seiten. Scheidegger & Spiess – Verlag, Zürich 2017

(Gregor Auenhammer, 7.11.2017)

Foto: Scheidegger & Spiess – Verlag